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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Schaden weggenommen werden kann. Jn einer Rücksicht würde Dir Spinosa leichter seyn, als die andern. Er war einzig und allein bemüht, seinen Geist in sich selbst zu vollenden, und seine Gedanken zu einem geordneten Werke zu verbinden. Er nimmt wenig Rücksicht auf die Meynungen anderer, und auf specielle Wissenschaften. Denn das bleibt die größte Schwierigkeit, die durch keine Vermittlung und Milderung weggenommen werden kann. Die Philosophie ist nothwendig auch Philosophie der Philosophie, und selbst nichts anders als Wissenschaft der Wissenschaften. Jhr ganzes Wesen bestehet darin, die Kraft und den Geist, den sie zuerst den einzelnen Wissenschaften einhauchte, wechselsweise einzusaugen, und mächtiger auszuströmen, damit sie reicher wiederkehren. Man muß also alles wissen um etwas zu wissen, und man versteht keinen Philosophen wenn man nicht alle versteht. Eben daraus siehst Du aber auch, daß die Philosophie unendlich ist, und nie vollendet werden kann. Und mit Rücksicht auf diese Unermeßlichkeit des Wissens kann Dir der Unterschied zwischen Deinem Verstande und der Einsicht des künstlichsten und gelehrtesten Denkers nicht mehr so groß erscheinen, daß er Deinen Muth niederschlagen sollte. Wenn Du nur Sinn für das Höchste hast, so ist eure Erkenntniß bloß dem Grade nach verschieden, und ihr steht auf derselben Stufe. Ueberhaupt kommt in der Philosophie wenig oder nichts auf die Form an, ja auch der Stoff und der Gegenstand macht es nicht. Es giebt Schriften, die ihrem Jnhalte nach gar nicht

Schaden weggenommen werden kann. Jn einer Ruͤcksicht wuͤrde Dir Spinosa leichter seyn, als die andern. Er war einzig und allein bemuͤht, seinen Geist in sich selbst zu vollenden, und seine Gedanken zu einem geordneten Werke zu verbinden. Er nimmt wenig Ruͤcksicht auf die Meynungen anderer, und auf specielle Wissenschaften. Denn das bleibt die groͤßte Schwierigkeit, die durch keine Vermittlung und Milderung weggenommen werden kann. Die Philosophie ist nothwendig auch Philosophie der Philosophie, und selbst nichts anders als Wissenschaft der Wissenschaften. Jhr ganzes Wesen bestehet darin, die Kraft und den Geist, den sie zuerst den einzelnen Wissenschaften einhauchte, wechselsweise einzusaugen, und maͤchtiger auszustroͤmen, damit sie reicher wiederkehren. Man muß also alles wissen um etwas zu wissen, und man versteht keinen Philosophen wenn man nicht alle versteht. Eben daraus siehst Du aber auch, daß die Philosophie unendlich ist, und nie vollendet werden kann. Und mit Ruͤcksicht auf diese Unermeßlichkeit des Wissens kann Dir der Unterschied zwischen Deinem Verstande und der Einsicht des kuͤnstlichsten und gelehrtesten Denkers nicht mehr so groß erscheinen, daß er Deinen Muth niederschlagen sollte. Wenn Du nur Sinn fuͤr das Hoͤchste hast, so ist eure Erkenntniß bloß dem Grade nach verschieden, und ihr steht auf derselben Stufe. Ueberhaupt kommt in der Philosophie wenig oder nichts auf die Form an, ja auch der Stoff und der Gegenstand macht es nicht. Es giebt Schriften, die ihrem Jnhalte nach gar nicht

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[33/0041] Schaden weggenommen werden kann. Jn einer Ruͤcksicht wuͤrde Dir Spinosa leichter seyn, als die andern. Er war einzig und allein bemuͤht, seinen Geist in sich selbst zu vollenden, und seine Gedanken zu einem geordneten Werke zu verbinden. Er nimmt wenig Ruͤcksicht auf die Meynungen anderer, und auf specielle Wissenschaften. Denn das bleibt die groͤßte Schwierigkeit, die durch keine Vermittlung und Milderung weggenommen werden kann. Die Philosophie ist nothwendig auch Philosophie der Philosophie, und selbst nichts anders als Wissenschaft der Wissenschaften. Jhr ganzes Wesen bestehet darin, die Kraft und den Geist, den sie zuerst den einzelnen Wissenschaften einhauchte, wechselsweise einzusaugen, und maͤchtiger auszustroͤmen, damit sie reicher wiederkehren. Man muß also alles wissen um etwas zu wissen, und man versteht keinen Philosophen wenn man nicht alle versteht. Eben daraus siehst Du aber auch, daß die Philosophie unendlich ist, und nie vollendet werden kann. Und mit Ruͤcksicht auf diese Unermeßlichkeit des Wissens kann Dir der Unterschied zwischen Deinem Verstande und der Einsicht des kuͤnstlichsten und gelehrtesten Denkers nicht mehr so groß erscheinen, daß er Deinen Muth niederschlagen sollte. Wenn Du nur Sinn fuͤr das Hoͤchste hast, so ist eure Erkenntniß bloß dem Grade nach verschieden, und ihr steht auf derselben Stufe. Ueberhaupt kommt in der Philosophie wenig oder nichts auf die Form an, ja auch der Stoff und der Gegenstand macht es nicht. Es giebt Schriften, die ihrem Jnhalte nach gar nicht

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/41>, abgerufen am 24.11.2024.