Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.schlechthin unmöglich seyn möchte. Denn es wäre widersprechend, diese Sicherheit mit dem Verluste der Freyheit erkaufen zu wollen. So ist das Heiligste unendlich zart und flüchtig, und die Sittlichkeit der einzelnen Menschen, wie des ganzen Geschlechts, muß ein Spiel des Zufalls scheinen, weil sie unmittelbar von der Willkühr abhängt. Jn andern Arten seines Wirkens, in Künsten und Wissenschaften, ist der Gang des menschlichen Geistes bestimmt und festen Gesetzen unterworfen. Hier ist alles in beständigem Fortschreiten und nichts kann verloren gehen. So kann auch keine Stufe übersprungen werden, die jetzige hängt eben so nothwendig mit der vorigen und der folgenden zusammen, und was Jahrhunderte lang veraltet schien, lebt mit neuer Jugendkraft auf, wenn die Zeit gekommen ist, daß der Geist sich seiner erinnern und zu ihm zurückkehren soll. Hier ist die steigende Vervollkommnung und der natürliche Kreislauf der Bildung nicht etwa eine gutmüthige Hoffnung, oder ein wissenschaftlicher Glaubenssatz, den man nothwendig voraussetzen dürfte, um nur nicht gar alles vernünftige Denken aufgeben zu müssen. Nein es ist reine Thatsache; nur mit dem Unterschiede, daß der natürliche Kreislauf, welcher mehr in den Künsten und in der alten Geschichte einheimisch ist, in einzelnen Beyspielen ganz vor uns liegt; da hingegen die steigende Vervollkommnung, die sich in der Philosophie und der modernen Geschichte am glänzendsten offenbart, eine Thatsache ist, die nie vollendet werden kann. Nicht so im Gebiete der Sittlichkeit; da heißt es überall: Nichts oder schlechthin unmoͤglich seyn moͤchte. Denn es waͤre widersprechend, diese Sicherheit mit dem Verluste der Freyheit erkaufen zu wollen. So ist das Heiligste unendlich zart und fluͤchtig, und die Sittlichkeit der einzelnen Menschen, wie des ganzen Geschlechts, muß ein Spiel des Zufalls scheinen, weil sie unmittelbar von der Willkuͤhr abhaͤngt. Jn andern Arten seines Wirkens, in Kuͤnsten und Wissenschaften, ist der Gang des menschlichen Geistes bestimmt und festen Gesetzen unterworfen. Hier ist alles in bestaͤndigem Fortschreiten und nichts kann verloren gehen. So kann auch keine Stufe uͤbersprungen werden, die jetzige haͤngt eben so nothwendig mit der vorigen und der folgenden zusammen, und was Jahrhunderte lang veraltet schien, lebt mit neuer Jugendkraft auf, wenn die Zeit gekommen ist, daß der Geist sich seiner erinnern und zu ihm zuruͤckkehren soll. Hier ist die steigende Vervollkommnung und der natuͤrliche Kreislauf der Bildung nicht etwa eine gutmuͤthige Hoffnung, oder ein wissenschaftlicher Glaubenssatz, den man nothwendig voraussetzen duͤrfte, um nur nicht gar alles vernuͤnftige Denken aufgeben zu muͤssen. Nein es ist reine Thatsache; nur mit dem Unterschiede, daß der natuͤrliche Kreislauf, welcher mehr in den Kuͤnsten und in der alten Geschichte einheimisch ist, in einzelnen Beyspielen ganz vor uns liegt; da hingegen die steigende Vervollkommnung, die sich in der Philosophie und der modernen Geschichte am glaͤnzendsten offenbart, eine Thatsache ist, die nie vollendet werden kann. Nicht so im Gebiete der Sittlichkeit; da heißt es uͤberall: Nichts oder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0035" n="27"/> schlechthin unmoͤglich seyn moͤchte. Denn es waͤre widersprechend, diese Sicherheit mit dem Verluste der Freyheit erkaufen zu wollen. So ist das Heiligste unendlich zart und fluͤchtig, und die Sittlichkeit der einzelnen Menschen, wie des ganzen Geschlechts, muß ein Spiel des Zufalls scheinen, weil sie unmittelbar von der Willkuͤhr abhaͤngt. Jn andern Arten seines Wirkens, in Kuͤnsten und Wissenschaften, ist der Gang des menschlichen Geistes bestimmt und festen Gesetzen unterworfen. Hier ist alles in bestaͤndigem Fortschreiten und nichts kann verloren gehen. So kann auch keine Stufe uͤbersprungen werden, die jetzige haͤngt eben so nothwendig mit der vorigen und der folgenden zusammen, und was Jahrhunderte lang veraltet schien, lebt mit neuer Jugendkraft auf, wenn die Zeit gekommen ist, daß der Geist sich seiner erinnern und zu ihm zuruͤckkehren soll. Hier ist die steigende Vervollkommnung und der natuͤrliche Kreislauf der Bildung nicht etwa eine gutmuͤthige Hoffnung, oder ein wissenschaftlicher Glaubenssatz, den man nothwendig voraussetzen duͤrfte, um nur nicht gar alles vernuͤnftige Denken aufgeben zu muͤssen. Nein es ist reine <hi rendition="#g">Thatsache</hi>; nur mit dem Unterschiede, daß der natuͤrliche Kreislauf, welcher mehr in den Kuͤnsten und in der alten Geschichte einheimisch ist, in einzelnen Beyspielen ganz vor uns liegt; da hingegen die steigende Vervollkommnung, die sich in der Philosophie und der modernen Geschichte am glaͤnzendsten offenbart, eine Thatsache ist, die nie vollendet werden kann. Nicht so im Gebiete der Sittlichkeit; da heißt es uͤberall: Nichts oder </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0035]
schlechthin unmoͤglich seyn moͤchte. Denn es waͤre widersprechend, diese Sicherheit mit dem Verluste der Freyheit erkaufen zu wollen. So ist das Heiligste unendlich zart und fluͤchtig, und die Sittlichkeit der einzelnen Menschen, wie des ganzen Geschlechts, muß ein Spiel des Zufalls scheinen, weil sie unmittelbar von der Willkuͤhr abhaͤngt. Jn andern Arten seines Wirkens, in Kuͤnsten und Wissenschaften, ist der Gang des menschlichen Geistes bestimmt und festen Gesetzen unterworfen. Hier ist alles in bestaͤndigem Fortschreiten und nichts kann verloren gehen. So kann auch keine Stufe uͤbersprungen werden, die jetzige haͤngt eben so nothwendig mit der vorigen und der folgenden zusammen, und was Jahrhunderte lang veraltet schien, lebt mit neuer Jugendkraft auf, wenn die Zeit gekommen ist, daß der Geist sich seiner erinnern und zu ihm zuruͤckkehren soll. Hier ist die steigende Vervollkommnung und der natuͤrliche Kreislauf der Bildung nicht etwa eine gutmuͤthige Hoffnung, oder ein wissenschaftlicher Glaubenssatz, den man nothwendig voraussetzen duͤrfte, um nur nicht gar alles vernuͤnftige Denken aufgeben zu muͤssen. Nein es ist reine Thatsache; nur mit dem Unterschiede, daß der natuͤrliche Kreislauf, welcher mehr in den Kuͤnsten und in der alten Geschichte einheimisch ist, in einzelnen Beyspielen ganz vor uns liegt; da hingegen die steigende Vervollkommnung, die sich in der Philosophie und der modernen Geschichte am glaͤnzendsten offenbart, eine Thatsache ist, die nie vollendet werden kann. Nicht so im Gebiete der Sittlichkeit; da heißt es uͤberall: Nichts oder
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |