Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Urtheile, seiner Wünsche, geben Stoff für das doppelte Jnteresse des Verstandes und des Gefühls. Jhr größter Reiz ist, daß sie nicht für einen dritten dastehn, und was der dritte nun darin findet, um so mehr der Grund seiner Seele war. Sie sind wie ächte Liebesbriefe, die zufällig in fremde Hände fallen. Der Mann kann lächeln über die Wärme seiner Jugendtage, aber er wird nur auf diesem Wege ein Mann. Wer Müllers Schweizergeschichte kennt, muß diese Briefe lesen, um sie noch besser zu verstehn; wer sie nicht kennt, muß sie lesen, um sich dafür empfänglich zu machen. Was Geschichte ist, darüber kann die Heiligkeit aufklären, womit Müller sie behandelt. Es klingt wie ein Mährchen, der längst verschwundne Anton Wall sey wieder auferstanden, und ergötze durch Erzählung von Bagatellen; und es ist auch wirklich eins, und zwar ein Persisches, Amathonte genannt. Eine Bagatelle verdient es zu heißen, und das ist keine Kleinigkeit: dabey ist es artig, schalkhaft, und oft von Französischer Leichtigkeit beflügelt. Gewisse Kunstrichter werden mehr Moral und Allegorie verlangen, während die, welchen ein Mährchen nichts ist als die gaukelnden Farben der Fantasie im vielfach geschliffnen Glase der Bizarrerie gebrochen, es vielleicht noch nicht orientalisch und feenhaft genug finden. Jn der anfangs gehegten Hoffnung, der Zauberer werde alle vier Brüder zum Besten haben, wird man getäuscht: Urtheile, seiner Wuͤnsche, geben Stoff fuͤr das doppelte Jnteresse des Verstandes und des Gefuͤhls. Jhr groͤßter Reiz ist, daß sie nicht fuͤr einen dritten dastehn, und was der dritte nun darin findet, um so mehr der Grund seiner Seele war. Sie sind wie aͤchte Liebesbriefe, die zufaͤllig in fremde Haͤnde fallen. Der Mann kann laͤcheln uͤber die Waͤrme seiner Jugendtage, aber er wird nur auf diesem Wege ein Mann. Wer Muͤllers Schweizergeschichte kennt, muß diese Briefe lesen, um sie noch besser zu verstehn; wer sie nicht kennt, muß sie lesen, um sich dafuͤr empfaͤnglich zu machen. Was Geschichte ist, daruͤber kann die Heiligkeit aufklaͤren, womit Muͤller sie behandelt. Es klingt wie ein Maͤhrchen, der laͤngst verschwundne Anton Wall sey wieder auferstanden, und ergoͤtze durch Erzaͤhlung von Bagatellen; und es ist auch wirklich eins, und zwar ein Persisches, Amathonte genannt. Eine Bagatelle verdient es zu heißen, und das ist keine Kleinigkeit: dabey ist es artig, schalkhaft, und oft von Franzoͤsischer Leichtigkeit befluͤgelt. Gewisse Kunstrichter werden mehr Moral und Allegorie verlangen, waͤhrend die, welchen ein Maͤhrchen nichts ist als die gaukelnden Farben der Fantasie im vielfach geschliffnen Glase der Bizarrerie gebrochen, es vielleicht noch nicht orientalisch und feenhaft genug finden. Jn der anfangs gehegten Hoffnung, der Zauberer werde alle vier Bruͤder zum Besten haben, wird man getaͤuscht: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0326" n="316"/> Urtheile, seiner Wuͤnsche, geben Stoff fuͤr das doppelte Jnteresse des Verstandes und des Gefuͤhls. Jhr groͤßter Reiz ist, daß sie nicht fuͤr einen dritten dastehn, und was der dritte nun darin findet, um so mehr der Grund seiner Seele war. Sie sind wie aͤchte Liebesbriefe, die zufaͤllig in fremde Haͤnde fallen. Der Mann kann laͤcheln uͤber die Waͤrme seiner Jugendtage, aber er wird nur auf diesem Wege ein Mann.</p><lb/> <p>Wer Muͤllers Schweizergeschichte kennt, muß diese Briefe lesen, um sie noch besser zu verstehn; wer sie nicht kennt, muß sie lesen, um sich dafuͤr empfaͤnglich zu machen. Was Geschichte ist, daruͤber kann die Heiligkeit aufklaͤren, womit Muͤller sie behandelt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es klingt wie ein Maͤhrchen, der laͤngst verschwundne <hi rendition="#g">Anton Wall</hi> sey wieder auferstanden, und ergoͤtze durch Erzaͤhlung von Bagatellen; und es ist auch wirklich eins, und zwar ein Persisches, <hi rendition="#g">Amathonte</hi> genannt. Eine Bagatelle verdient es zu heißen, und das ist keine Kleinigkeit: dabey ist es artig, schalkhaft, und oft von Franzoͤsischer Leichtigkeit befluͤgelt. Gewisse Kunstrichter werden mehr Moral und Allegorie verlangen, waͤhrend die, welchen ein Maͤhrchen nichts ist als die gaukelnden Farben der Fantasie im vielfach geschliffnen Glase der Bizarrerie gebrochen, es vielleicht noch nicht orientalisch und feenhaft genug finden. Jn der anfangs gehegten Hoffnung, der Zauberer werde alle vier Bruͤder zum Besten haben, wird man getaͤuscht: </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [316/0326]
Urtheile, seiner Wuͤnsche, geben Stoff fuͤr das doppelte Jnteresse des Verstandes und des Gefuͤhls. Jhr groͤßter Reiz ist, daß sie nicht fuͤr einen dritten dastehn, und was der dritte nun darin findet, um so mehr der Grund seiner Seele war. Sie sind wie aͤchte Liebesbriefe, die zufaͤllig in fremde Haͤnde fallen. Der Mann kann laͤcheln uͤber die Waͤrme seiner Jugendtage, aber er wird nur auf diesem Wege ein Mann.
Wer Muͤllers Schweizergeschichte kennt, muß diese Briefe lesen, um sie noch besser zu verstehn; wer sie nicht kennt, muß sie lesen, um sich dafuͤr empfaͤnglich zu machen. Was Geschichte ist, daruͤber kann die Heiligkeit aufklaͤren, womit Muͤller sie behandelt.
Es klingt wie ein Maͤhrchen, der laͤngst verschwundne Anton Wall sey wieder auferstanden, und ergoͤtze durch Erzaͤhlung von Bagatellen; und es ist auch wirklich eins, und zwar ein Persisches, Amathonte genannt. Eine Bagatelle verdient es zu heißen, und das ist keine Kleinigkeit: dabey ist es artig, schalkhaft, und oft von Franzoͤsischer Leichtigkeit befluͤgelt. Gewisse Kunstrichter werden mehr Moral und Allegorie verlangen, waͤhrend die, welchen ein Maͤhrchen nichts ist als die gaukelnden Farben der Fantasie im vielfach geschliffnen Glase der Bizarrerie gebrochen, es vielleicht noch nicht orientalisch und feenhaft genug finden. Jn der anfangs gehegten Hoffnung, der Zauberer werde alle vier Bruͤder zum Besten haben, wird man getaͤuscht:
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