Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

Anlage der Menschheit und ein selbständiger Theil der Bildung sey. Vielleicht konnte er das auch nicht wollen. Aber durch die Bildung, mit der er sie behandelt, hat er sie zur Mitbürgerin im Reiche der Bildung constituirt.

Das Gebildete finde ich vorzüglich darin, daß hier alle die Zufälligkeiten, mit denen die jetzigen Anhänger einer höhern Mystik sie aufputzen zu müssen glauben, und zu überladen pflegen, hier so ganz vernachläßigt und verachtet sind, und doch das große Wesentliche der Religion und des Christenthums in einfacher Glorie immer herrlicher strahlt. Aber auch im Aeußern. Richte Dein Auge auf den Styl, und sage mir, ob Dir neben der herrschenden Schreiberey unsrer Stylisten nicht auch so zu Muthe dabey wird, als sähest Du nach der aufgedunsenen Manier eines Rubens wieder den kräftigen braunen Farbenton und die großen Formen der besten Jtaliäner. Jn dieser Rücksicht empfehle ich Dir besonders die erste und die dritte Rede. Aber wie schön sind auch die andern gebaut? Wie groß hebt sich die zweyte mit immer neuem Anflug? Wie majestätisch wölbt sich die vierte gleich der Kuppel eines Tempels? Wie wunderbar entwickelt sich die letzte aus sich selbst immer größer und wirft am Schluß ein neues Licht auf das Ganze zurück? --

Doch das alles siehst Du ja ohne Zweifel eben so gut und besser als ich. Nur noch eins. Jst es Dir nun einmal nicht gegeben, die Religion für ein Wesen eigner Art und eignen Ursprungs anzuerkennen, so setze das ganz bey Seite, und halte Dich an den Sinn, worin

Anlage der Menschheit und ein selbstaͤndiger Theil der Bildung sey. Vielleicht konnte er das auch nicht wollen. Aber durch die Bildung, mit der er sie behandelt, hat er sie zur Mitbuͤrgerin im Reiche der Bildung constituirt.

Das Gebildete finde ich vorzuͤglich darin, daß hier alle die Zufaͤlligkeiten, mit denen die jetzigen Anhaͤnger einer hoͤhern Mystik sie aufputzen zu muͤssen glauben, und zu uͤberladen pflegen, hier so ganz vernachlaͤßigt und verachtet sind, und doch das große Wesentliche der Religion und des Christenthums in einfacher Glorie immer herrlicher strahlt. Aber auch im Aeußern. Richte Dein Auge auf den Styl, und sage mir, ob Dir neben der herrschenden Schreiberey unsrer Stylisten nicht auch so zu Muthe dabey wird, als saͤhest Du nach der aufgedunsenen Manier eines Rubens wieder den kraͤftigen braunen Farbenton und die großen Formen der besten Jtaliaͤner. Jn dieser Ruͤcksicht empfehle ich Dir besonders die erste und die dritte Rede. Aber wie schoͤn sind auch die andern gebaut? Wie groß hebt sich die zweyte mit immer neuem Anflug? Wie majestaͤtisch woͤlbt sich die vierte gleich der Kuppel eines Tempels? Wie wunderbar entwickelt sich die letzte aus sich selbst immer groͤßer und wirft am Schluß ein neues Licht auf das Ganze zuruͤck? —

Doch das alles siehst Du ja ohne Zweifel eben so gut und besser als ich. Nur noch eins. Jst es Dir nun einmal nicht gegeben, die Religion fuͤr ein Wesen eigner Art und eignen Ursprungs anzuerkennen, so setze das ganz bey Seite, und halte Dich an den Sinn, worin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="292"/>
Anlage der Menschheit und ein selbsta&#x0364;ndiger Theil der Bildung sey. Vielleicht konnte er das auch nicht wollen. Aber durch die Bildung, mit der er sie behandelt, hat er sie zur Mitbu&#x0364;rgerin im Reiche der Bildung <hi rendition="#g">constituirt</hi>.</p><lb/>
          <p>Das Gebildete finde ich vorzu&#x0364;glich darin, daß hier alle die Zufa&#x0364;lligkeiten, mit denen die jetzigen Anha&#x0364;nger einer ho&#x0364;hern Mystik sie aufputzen zu mu&#x0364;ssen glauben, und zu u&#x0364;berladen pflegen, hier so ganz vernachla&#x0364;ßigt und verachtet sind, und doch das große Wesentliche der Religion und des Christenthums in einfacher Glorie immer herrlicher strahlt. Aber auch im Aeußern. Richte Dein Auge auf den Styl, und sage mir, ob Dir neben der herrschenden Schreiberey unsrer Stylisten nicht auch so zu Muthe dabey wird, als sa&#x0364;hest Du nach der aufgedunsenen Manier eines Rubens wieder den kra&#x0364;ftigen braunen Farbenton und die großen Formen der besten Jtalia&#x0364;ner. Jn dieser Ru&#x0364;cksicht empfehle ich Dir besonders die erste und die dritte Rede. Aber wie scho&#x0364;n sind auch die andern gebaut? Wie groß hebt sich die zweyte mit immer neuem Anflug? Wie majesta&#x0364;tisch wo&#x0364;lbt sich die vierte gleich der Kuppel eines Tempels? Wie wunderbar entwickelt sich die letzte aus sich selbst immer gro&#x0364;ßer und wirft am Schluß ein neues Licht auf das Ganze zuru&#x0364;ck? &#x2014; </p><lb/>
          <p>Doch das alles siehst Du ja ohne Zweifel eben so gut und besser als ich. Nur noch eins. Jst es Dir nun einmal nicht gegeben, die Religion fu&#x0364;r ein Wesen eigner Art und eignen Ursprungs anzuerkennen, so setze das ganz bey Seite, und halte Dich an den Sinn, worin
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0302] Anlage der Menschheit und ein selbstaͤndiger Theil der Bildung sey. Vielleicht konnte er das auch nicht wollen. Aber durch die Bildung, mit der er sie behandelt, hat er sie zur Mitbuͤrgerin im Reiche der Bildung constituirt. Das Gebildete finde ich vorzuͤglich darin, daß hier alle die Zufaͤlligkeiten, mit denen die jetzigen Anhaͤnger einer hoͤhern Mystik sie aufputzen zu muͤssen glauben, und zu uͤberladen pflegen, hier so ganz vernachlaͤßigt und verachtet sind, und doch das große Wesentliche der Religion und des Christenthums in einfacher Glorie immer herrlicher strahlt. Aber auch im Aeußern. Richte Dein Auge auf den Styl, und sage mir, ob Dir neben der herrschenden Schreiberey unsrer Stylisten nicht auch so zu Muthe dabey wird, als saͤhest Du nach der aufgedunsenen Manier eines Rubens wieder den kraͤftigen braunen Farbenton und die großen Formen der besten Jtaliaͤner. Jn dieser Ruͤcksicht empfehle ich Dir besonders die erste und die dritte Rede. Aber wie schoͤn sind auch die andern gebaut? Wie groß hebt sich die zweyte mit immer neuem Anflug? Wie majestaͤtisch woͤlbt sich die vierte gleich der Kuppel eines Tempels? Wie wunderbar entwickelt sich die letzte aus sich selbst immer groͤßer und wirft am Schluß ein neues Licht auf das Ganze zuruͤck? — Doch das alles siehst Du ja ohne Zweifel eben so gut und besser als ich. Nur noch eins. Jst es Dir nun einmal nicht gegeben, die Religion fuͤr ein Wesen eigner Art und eignen Ursprungs anzuerkennen, so setze das ganz bey Seite, und halte Dich an den Sinn, worin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/302
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/302>, abgerufen am 22.11.2024.