Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Reden über die Religion, weil gewiß seit langer Zeit über diesen Gegenstand aller Gegenstände nicht größer und herrlicher ist geredet worden. Doch warum rede ich vergleichungsweise? Religion in dem Sinne, wie der Verfasser sie nimmt, ist, etwa einen unverstandenen Wink*) Lessings abgerechnet, eines von denen Dingen, die unser Zeitalter bis auf den Begriff verloren hat, und die erst von neuem wieder entdeckt werden müssen, ehe man einsehen kann, daß und wie sie auch in alten Zeiten in anderer Gestalt schon da waren. Der Lesermag ja vergessen, was er etwa von sogenannter Religionsphilosophie der Kantianer weiß, und weder Moral noch populär gemachte Exegese und Dogmatik erwarten. Wie der Gegenstand, so ist auch die Behandlung des Buchs nicht gewöhnlich. Es sind Reden, die ersten der Art, die wir im Deutschen haben, voll Kraft und Feuer und doch sehr kunstreich, in einem Styl, der eines Alten nicht unwürdig wäre. Es ist ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch; das eigenste, was wir haben, kann nicht eigner seyn. Und eben darum, weil es im Gewande der allgemeinsten Verständlichkeit *) Jch meyne die Stellen vom dritten Weltalter in der Erziehung des Menschengeschlechts, wo unter andern die merkwürdigen Worte stehn: "Ja es wird kommen das neue ewige Evangelium" u.s.w.; von welcher Stelle, wie von mancher andern Lessings Freunde uns unstreitig bald sagen werden, daß er sie unmöglich im Ernst meynen konnte.
Reden uͤber die Religion, weil gewiß seit langer Zeit uͤber diesen Gegenstand aller Gegenstaͤnde nicht groͤßer und herrlicher ist geredet worden. Doch warum rede ich vergleichungsweise? Religion in dem Sinne, wie der Verfasser sie nimmt, ist, etwa einen unverstandenen Wink*) Lessings abgerechnet, eines von denen Dingen, die unser Zeitalter bis auf den Begriff verloren hat, und die erst von neuem wieder entdeckt werden muͤssen, ehe man einsehen kann, daß und wie sie auch in alten Zeiten in anderer Gestalt schon da waren. Der Lesermag ja vergessen, was er etwa von sogenannter Religionsphilosophie der Kantianer weiß, und weder Moral noch populaͤr gemachte Exegese und Dogmatik erwarten. Wie der Gegenstand, so ist auch die Behandlung des Buchs nicht gewoͤhnlich. Es sind Reden, die ersten der Art, die wir im Deutschen haben, voll Kraft und Feuer und doch sehr kunstreich, in einem Styl, der eines Alten nicht unwuͤrdig waͤre. Es ist ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch; das eigenste, was wir haben, kann nicht eigner seyn. Und eben darum, weil es im Gewande der allgemeinsten Verstaͤndlichkeit *) Jch meyne die Stellen vom dritten Weltalter in der Erziehung des Menschengeschlechts, wo unter andern die merkwuͤrdigen Worte stehn: “Ja es wird kommen das neue ewige Evangelium” u.s.w.; von welcher Stelle, wie von mancher andern Lessings Freunde uns unstreitig bald sagen werden, daß er sie unmoͤglich im Ernst meynen konnte.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0299" n="289"/><hi rendition="#c">Reden uͤber die Religion,</hi> weil gewiß seit langer Zeit uͤber diesen Gegenstand aller Gegenstaͤnde nicht groͤßer und herrlicher ist geredet worden. Doch warum rede ich vergleichungsweise? <hi rendition="#g">Religion</hi> in dem Sinne, wie der Verfasser sie nimmt, ist, etwa einen unverstandenen Wink<note place="foot" n="*)">Jch meyne die Stellen vom <hi rendition="#g">dritten Weltalter</hi> in der Erziehung des Menschengeschlechts, wo unter andern die merkwuͤrdigen Worte stehn: “Ja es wird kommen das <hi rendition="#g">neue ewige Evangelium</hi>” u.s.w.; von welcher Stelle, wie von mancher andern Lessings <hi rendition="#g">Freunde</hi> uns unstreitig bald sagen werden, daß er sie unmoͤglich im Ernst meynen konnte.</note> Lessings abgerechnet, eines von denen Dingen, die unser Zeitalter bis auf den Begriff verloren hat, und die erst von neuem wieder <hi rendition="#g">entdeckt</hi> werden muͤssen, ehe man einsehen kann, <hi rendition="#g">daß</hi> und <hi rendition="#g">wie</hi> sie auch in alten Zeiten in anderer Gestalt schon da waren. Der Lesermag ja vergessen, was er etwa von sogenannter Religionsphilosophie der Kantianer weiß, und weder Moral noch populaͤr gemachte Exegese und Dogmatik erwarten.</p><lb/> <p>Wie der Gegenstand, so ist auch die Behandlung des Buchs nicht gewoͤhnlich. Es sind <hi rendition="#g">Reden</hi>, die ersten der Art, die wir im Deutschen haben, voll Kraft und Feuer und doch sehr kunstreich, in einem Styl, der eines Alten nicht unwuͤrdig waͤre. Es ist ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch; das eigenste, was wir haben, kann nicht eigner seyn. Und eben darum, weil es im Gewande der allgemeinsten Verstaͤndlichkeit </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [289/0299]
Reden uͤber die Religion, weil gewiß seit langer Zeit uͤber diesen Gegenstand aller Gegenstaͤnde nicht groͤßer und herrlicher ist geredet worden. Doch warum rede ich vergleichungsweise? Religion in dem Sinne, wie der Verfasser sie nimmt, ist, etwa einen unverstandenen Wink *) Lessings abgerechnet, eines von denen Dingen, die unser Zeitalter bis auf den Begriff verloren hat, und die erst von neuem wieder entdeckt werden muͤssen, ehe man einsehen kann, daß und wie sie auch in alten Zeiten in anderer Gestalt schon da waren. Der Lesermag ja vergessen, was er etwa von sogenannter Religionsphilosophie der Kantianer weiß, und weder Moral noch populaͤr gemachte Exegese und Dogmatik erwarten.
Wie der Gegenstand, so ist auch die Behandlung des Buchs nicht gewoͤhnlich. Es sind Reden, die ersten der Art, die wir im Deutschen haben, voll Kraft und Feuer und doch sehr kunstreich, in einem Styl, der eines Alten nicht unwuͤrdig waͤre. Es ist ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch; das eigenste, was wir haben, kann nicht eigner seyn. Und eben darum, weil es im Gewande der allgemeinsten Verstaͤndlichkeit
*) Jch meyne die Stellen vom dritten Weltalter in der Erziehung des Menschengeschlechts, wo unter andern die merkwuͤrdigen Worte stehn: “Ja es wird kommen das neue ewige Evangelium” u.s.w.; von welcher Stelle, wie von mancher andern Lessings Freunde uns unstreitig bald sagen werden, daß er sie unmoͤglich im Ernst meynen konnte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/299 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/299>, abgerufen am 16.02.2025. |