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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Jch habe sonst wohl mit eingestimmt, aber ich bin überzeugt, die Sprache thäte es nicht ohne den Willen, den Eifer und den Sinn derer, die sie gebrauchen. Wie lange Zeit haben auch die Deutschen eben so dürftig manierirt übersetzt, wie die Franzosen nur immer thun können! Sehen Sie nur die gegen die Mitte dieses Jahrhunderts erschienenen Dollmetschungen von Französischen Tragödien, vom Tasso und aus den Alten, alle gleichermaßen in Alexandrinern. Mir scheint, unser wesentlicher Vorzug ist nur, von unausrottbaren grammatischen und prosodischen Vorurtheilen frey zu seyn und zu rechter Zeit eingelenkt zu haben. Wären wir nicht jetzt durch die ängstliche Gebundenheit der Wortfolge geplagt, wenn die Sache nicht durch Klopstock zuerst eine andere Wendung genommen hätte? -- Zu Ronsards Zeiten konnte man sich im Französischen noch zur Nachbildung eines Dante oder Petrarca erheben; jetzt ist das vorbey. Eben so erscheinen die älteren Römischen Dichter, bis auf den Catull herunter etwa, mit großer Wahrheit Griechische Poesien übertragen zu haben, sie machten sogar die dem Geist der Lateinischen Sprache widersprechenden zusammengesetzten Beywörter nach. Späterhin, sobald sich ein gewisser akademischer Begriff von Korrektheit und Politur festgesetzt hatte, verlor sich diese Fähigkeit. Daß es uns nicht auch einmal so geht, wie es schon öfter nahe daran zu seyn schien! Die Sprache der Römer konnte nur durch unsägliche Mühe und Gewalt für die Poesie urbar gemacht werden, und so hat auch bey uns die Undankbarkeit des Bodens zu einer mühsameren Cultur genöthigt. Unsre Sprache

Jch habe sonst wohl mit eingestimmt, aber ich bin uͤberzeugt, die Sprache thaͤte es nicht ohne den Willen, den Eifer und den Sinn derer, die sie gebrauchen. Wie lange Zeit haben auch die Deutschen eben so duͤrftig manierirt uͤbersetzt, wie die Franzosen nur immer thun koͤnnen! Sehen Sie nur die gegen die Mitte dieses Jahrhunderts erschienenen Dollmetschungen von Franzoͤsischen Tragoͤdien, vom Tasso und aus den Alten, alle gleichermaßen in Alexandrinern. Mir scheint, unser wesentlicher Vorzug ist nur, von unausrottbaren grammatischen und prosodischen Vorurtheilen frey zu seyn und zu rechter Zeit eingelenkt zu haben. Waͤren wir nicht jetzt durch die aͤngstliche Gebundenheit der Wortfolge geplagt, wenn die Sache nicht durch Klopstock zuerst eine andere Wendung genommen haͤtte? — Zu Ronsards Zeiten konnte man sich im Franzoͤsischen noch zur Nachbildung eines Dante oder Petrarca erheben; jetzt ist das vorbey. Eben so erscheinen die aͤlteren Roͤmischen Dichter, bis auf den Catull herunter etwa, mit großer Wahrheit Griechische Poesien uͤbertragen zu haben, sie machten sogar die dem Geist der Lateinischen Sprache widersprechenden zusammengesetzten Beywoͤrter nach. Spaͤterhin, sobald sich ein gewisser akademischer Begriff von Korrektheit und Politur festgesetzt hatte, verlor sich diese Faͤhigkeit. Daß es uns nicht auch einmal so geht, wie es schon oͤfter nahe daran zu seyn schien! Die Sprache der Roͤmer konnte nur durch unsaͤgliche Muͤhe und Gewalt fuͤr die Poesie urbar gemacht werden, und so hat auch bey uns die Undankbarkeit des Bodens zu einer muͤhsameren Cultur genoͤthigt. Unsre Sprache

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[282/0292] Jch habe sonst wohl mit eingestimmt, aber ich bin uͤberzeugt, die Sprache thaͤte es nicht ohne den Willen, den Eifer und den Sinn derer, die sie gebrauchen. Wie lange Zeit haben auch die Deutschen eben so duͤrftig manierirt uͤbersetzt, wie die Franzosen nur immer thun koͤnnen! Sehen Sie nur die gegen die Mitte dieses Jahrhunderts erschienenen Dollmetschungen von Franzoͤsischen Tragoͤdien, vom Tasso und aus den Alten, alle gleichermaßen in Alexandrinern. Mir scheint, unser wesentlicher Vorzug ist nur, von unausrottbaren grammatischen und prosodischen Vorurtheilen frey zu seyn und zu rechter Zeit eingelenkt zu haben. Waͤren wir nicht jetzt durch die aͤngstliche Gebundenheit der Wortfolge geplagt, wenn die Sache nicht durch Klopstock zuerst eine andere Wendung genommen haͤtte? — Zu Ronsards Zeiten konnte man sich im Franzoͤsischen noch zur Nachbildung eines Dante oder Petrarca erheben; jetzt ist das vorbey. Eben so erscheinen die aͤlteren Roͤmischen Dichter, bis auf den Catull herunter etwa, mit großer Wahrheit Griechische Poesien uͤbertragen zu haben, sie machten sogar die dem Geist der Lateinischen Sprache widersprechenden zusammengesetzten Beywoͤrter nach. Spaͤterhin, sobald sich ein gewisser akademischer Begriff von Korrektheit und Politur festgesetzt hatte, verlor sich diese Faͤhigkeit. Daß es uns nicht auch einmal so geht, wie es schon oͤfter nahe daran zu seyn schien! Die Sprache der Roͤmer konnte nur durch unsaͤgliche Muͤhe und Gewalt fuͤr die Poesie urbar gemacht werden, und so hat auch bey uns die Undankbarkeit des Bodens zu einer muͤhsameren Cultur genoͤthigt. Unsre Sprache

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/292>, abgerufen am 22.11.2024.