Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.äußern Glanze ihre Existenz finden, und nichts wollen und mögen als Eleganz, denen das Eins und Alles ist, so läßt sich nichts dagegen einwenden. Poesie -- ich nehme das Wort wie immer im weitesten Sinne -- Poesie allein kann dieser Eleganz wenigstens einen Schimmer von Seele leihen und auch den Geist elegant erhalten. Andere haben Anlage zur Religion und Liebe, aber sie wurden irre in ihren Gedanken, weil sie in der feinen Welt für etwas unächten Witz Mißtrauen gegen alles Göttliche eintauschten. Auch diese müssen wohl erst mit der Poesie schwärmen und über verlornen Glauben klagen, ehe sie inne werden können, daß man sich selbst und die Liebe nie verlieren kann, mag es auch auf eine Zeit so scheinen, und wenn sie das inne sind, bey der Erinnerung an ihren Unglauben lächeln. Du siehst, ich bin nicht so begeistert für meine Meynung, daß ich die unendliche Verschiedenheit der Charaktere und Situazionen vergessen sollte, und ich bin dabey so gelassen geblieben, daß ich sogar über die Eleganz reflektiren konnte. Jch gestehe also gern, daß die Poesie die nächsten Ansprüche auf viele Frauen hat, und daß sie allen heilsam und unentbehrlich sey. Ueberhaupt ist es gar nicht darauf abgesehen, die Musen zu trennen. Schon der Gedanke wäre Frevel. Poesie und Philosophie sind ein untheilbares Ganzes, ewig verbunden, obgleich selten beysammen, wie Kastor und Pollux. Das äußerste Gebiet großer und erhabner Menschheit theilen sie unter sich. Aber in der Mitte begegnen sich ihre verschiedenen Richtungen; hier im aͤußern Glanze ihre Existenz finden, und nichts wollen und moͤgen als Eleganz, denen das Eins und Alles ist, so laͤßt sich nichts dagegen einwenden. Poesie — ich nehme das Wort wie immer im weitesten Sinne — Poesie allein kann dieser Eleganz wenigstens einen Schimmer von Seele leihen und auch den Geist elegant erhalten. Andere haben Anlage zur Religion und Liebe, aber sie wurden irre in ihren Gedanken, weil sie in der feinen Welt fuͤr etwas unaͤchten Witz Mißtrauen gegen alles Goͤttliche eintauschten. Auch diese muͤssen wohl erst mit der Poesie schwaͤrmen und uͤber verlornen Glauben klagen, ehe sie inne werden koͤnnen, daß man sich selbst und die Liebe nie verlieren kann, mag es auch auf eine Zeit so scheinen, und wenn sie das inne sind, bey der Erinnerung an ihren Unglauben laͤcheln. Du siehst, ich bin nicht so begeistert fuͤr meine Meynung, daß ich die unendliche Verschiedenheit der Charaktere und Situazionen vergessen sollte, und ich bin dabey so gelassen geblieben, daß ich sogar uͤber die Eleganz reflektiren konnte. Jch gestehe also gern, daß die Poesie die naͤchsten Anspruͤche auf viele Frauen hat, und daß sie allen heilsam und unentbehrlich sey. Ueberhaupt ist es gar nicht darauf abgesehen, die Musen zu trennen. Schon der Gedanke waͤre Frevel. Poesie und Philosophie sind ein untheilbares Ganzes, ewig verbunden, obgleich selten beysammen, wie Kastor und Pollux. Das aͤußerste Gebiet großer und erhabner Menschheit theilen sie unter sich. Aber in der Mitte begegnen sich ihre verschiedenen Richtungen; hier im <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0029" n="21"/> aͤußern Glanze ihre Existenz finden, und nichts wollen und moͤgen als Eleganz, denen das Eins und Alles ist, so laͤßt sich nichts dagegen einwenden. Poesie — ich nehme das Wort wie immer im weitesten Sinne — Poesie allein kann dieser Eleganz wenigstens einen Schimmer von Seele leihen und auch den Geist elegant erhalten. Andere haben Anlage zur Religion und Liebe, aber sie wurden irre in ihren Gedanken, weil sie in der feinen Welt fuͤr etwas unaͤchten Witz Mißtrauen gegen alles Goͤttliche eintauschten. Auch diese muͤssen wohl erst mit der Poesie schwaͤrmen und uͤber verlornen Glauben klagen, ehe sie inne werden koͤnnen, daß man sich selbst und die Liebe nie verlieren kann, mag es auch auf eine Zeit so scheinen, und wenn sie das inne sind, bey der Erinnerung an ihren Unglauben laͤcheln.</p><lb/> <p>Du siehst, ich bin nicht so begeistert fuͤr meine Meynung, daß ich die unendliche Verschiedenheit der Charaktere und Situazionen vergessen sollte, und ich bin dabey so gelassen geblieben, daß ich sogar uͤber die Eleganz reflektiren konnte. Jch gestehe also gern, daß die Poesie die naͤchsten Anspruͤche auf viele Frauen hat, und daß sie allen heilsam und unentbehrlich sey. Ueberhaupt ist es gar nicht darauf abgesehen, die Musen zu trennen. Schon der Gedanke waͤre Frevel. Poesie und Philosophie sind ein untheilbares Ganzes, ewig verbunden, obgleich selten beysammen, wie Kastor und Pollux. Das aͤußerste Gebiet großer und erhabner Menschheit theilen sie unter sich. Aber in der Mitte begegnen sich ihre verschiedenen Richtungen; hier im </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0029]
aͤußern Glanze ihre Existenz finden, und nichts wollen und moͤgen als Eleganz, denen das Eins und Alles ist, so laͤßt sich nichts dagegen einwenden. Poesie — ich nehme das Wort wie immer im weitesten Sinne — Poesie allein kann dieser Eleganz wenigstens einen Schimmer von Seele leihen und auch den Geist elegant erhalten. Andere haben Anlage zur Religion und Liebe, aber sie wurden irre in ihren Gedanken, weil sie in der feinen Welt fuͤr etwas unaͤchten Witz Mißtrauen gegen alles Goͤttliche eintauschten. Auch diese muͤssen wohl erst mit der Poesie schwaͤrmen und uͤber verlornen Glauben klagen, ehe sie inne werden koͤnnen, daß man sich selbst und die Liebe nie verlieren kann, mag es auch auf eine Zeit so scheinen, und wenn sie das inne sind, bey der Erinnerung an ihren Unglauben laͤcheln.
Du siehst, ich bin nicht so begeistert fuͤr meine Meynung, daß ich die unendliche Verschiedenheit der Charaktere und Situazionen vergessen sollte, und ich bin dabey so gelassen geblieben, daß ich sogar uͤber die Eleganz reflektiren konnte. Jch gestehe also gern, daß die Poesie die naͤchsten Anspruͤche auf viele Frauen hat, und daß sie allen heilsam und unentbehrlich sey. Ueberhaupt ist es gar nicht darauf abgesehen, die Musen zu trennen. Schon der Gedanke waͤre Frevel. Poesie und Philosophie sind ein untheilbares Ganzes, ewig verbunden, obgleich selten beysammen, wie Kastor und Pollux. Das aͤußerste Gebiet großer und erhabner Menschheit theilen sie unter sich. Aber in der Mitte begegnen sich ihre verschiedenen Richtungen; hier im
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/29>, abgerufen am 16.02.2025. |