Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Eine etwas andre Bewandtniß hat es mit der Art den Aeschylus aufzufassen, dessen Darstellungen ursprünglich für eine sichtbare Erscheinung auf der Bühne bestimmt waren. Wie die idealische Schauspielkunst der Griechen auf der einen Seite der Musik verschwistert war, so strebte sie auf der andern mit den plastischen Künsten gleichen Schritt zu halten, und es ist wohl klar, daß die Griechen auf dem Theater immer lieber etwas von dem Leben und der Leidenschaft als von der Größe und Schönheit der Gestalten und Bewegungen aufopferten. Gewiß kann man sich den Anblick ihrer Tragödien nicht leicht zu herrlich und majestätisch vorstellen; allein wenn wir auch besser in Stand gesetzt wären, einen anschaulichen Begriff davon zu geben, so könnte man dem Zeichner doch nicht rathen, daß er dieß zu seinem Ziel machte. Wir würden den Dichter erst aus der zweyten Hand empfangen, wenn er ihn durch das Medium der theatralischen Darstellung zu komponiren versuchte; und da jede dieser Künste durch ihre verschiednen Mittel und Zwecke oft weit von der andern abweichen muß, so würde er sich unnöthiger Weise den Beschränkungen beyder unterwerfen. Es versteht sich von selbst, daß der moderne Künstler dasjenige in seinen Bildern, was uns in die Heroenwelt des Homer und Aeschylus versetzt, nicht aus der Luft greifen oder aus eignen Mitteln hervorbringen konnte. Man erwartet schon ein vertrautes Studium der Antike darin zu erkennen. Flaxman hat dieses aber nicht bloß in dem Umfange getrieben, wo es ihn als Bildhauer besonders anging; vielmehr wird man bey Eine etwas andre Bewandtniß hat es mit der Art den Aeschylus aufzufassen, dessen Darstellungen urspruͤnglich fuͤr eine sichtbare Erscheinung auf der Buͤhne bestimmt waren. Wie die idealische Schauspielkunst der Griechen auf der einen Seite der Musik verschwistert war, so strebte sie auf der andern mit den plastischen Kuͤnsten gleichen Schritt zu halten, und es ist wohl klar, daß die Griechen auf dem Theater immer lieber etwas von dem Leben und der Leidenschaft als von der Groͤße und Schoͤnheit der Gestalten und Bewegungen aufopferten. Gewiß kann man sich den Anblick ihrer Tragoͤdien nicht leicht zu herrlich und majestaͤtisch vorstellen; allein wenn wir auch besser in Stand gesetzt waͤren, einen anschaulichen Begriff davon zu geben, so koͤnnte man dem Zeichner doch nicht rathen, daß er dieß zu seinem Ziel machte. Wir wuͤrden den Dichter erst aus der zweyten Hand empfangen, wenn er ihn durch das Medium der theatralischen Darstellung zu komponiren versuchte; und da jede dieser Kuͤnste durch ihre verschiednen Mittel und Zwecke oft weit von der andern abweichen muß, so wuͤrde er sich unnoͤthiger Weise den Beschraͤnkungen beyder unterwerfen. Es versteht sich von selbst, daß der moderne Kuͤnstler dasjenige in seinen Bildern, was uns in die Heroenwelt des Homer und Aeschylus versetzt, nicht aus der Luft greifen oder aus eignen Mitteln hervorbringen konnte. Man erwartet schon ein vertrautes Studium der Antike darin zu erkennen. Flaxman hat dieses aber nicht bloß in dem Umfange getrieben, wo es ihn als Bildhauer besonders anging; vielmehr wird man bey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0242" n="232"/> <p>Eine etwas andre Bewandtniß hat es mit der Art den Aeschylus aufzufassen, dessen Darstellungen urspruͤnglich fuͤr eine sichtbare Erscheinung auf der Buͤhne bestimmt waren. Wie die idealische Schauspielkunst der Griechen auf der einen Seite der Musik verschwistert war, so strebte sie auf der andern mit den plastischen Kuͤnsten gleichen Schritt zu halten, und es ist wohl klar, daß die Griechen auf dem Theater immer lieber etwas von dem Leben und der Leidenschaft als von der Groͤße und Schoͤnheit der Gestalten und Bewegungen aufopferten. Gewiß kann man sich den Anblick ihrer Tragoͤdien nicht leicht zu herrlich und majestaͤtisch vorstellen; allein wenn wir auch besser in Stand gesetzt waͤren, einen anschaulichen Begriff davon zu geben, so koͤnnte man dem Zeichner doch nicht rathen, daß er dieß zu seinem Ziel machte. Wir wuͤrden den Dichter erst aus der zweyten Hand empfangen, wenn er ihn durch das Medium der theatralischen Darstellung zu komponiren versuchte; und da jede dieser Kuͤnste durch ihre verschiednen Mittel und Zwecke oft weit von der andern abweichen muß, so wuͤrde er sich unnoͤthiger Weise den Beschraͤnkungen beyder unterwerfen.</p><lb/> <p>Es versteht sich von selbst, daß der moderne Kuͤnstler dasjenige in seinen Bildern, was uns in die Heroenwelt des Homer und Aeschylus versetzt, nicht aus der Luft greifen oder aus eignen Mitteln hervorbringen konnte. Man erwartet schon ein vertrautes Studium der Antike darin zu erkennen. Flaxman hat dieses aber nicht bloß in dem Umfange getrieben, wo es ihn als Bildhauer besonders anging; vielmehr wird man bey </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [232/0242]
Eine etwas andre Bewandtniß hat es mit der Art den Aeschylus aufzufassen, dessen Darstellungen urspruͤnglich fuͤr eine sichtbare Erscheinung auf der Buͤhne bestimmt waren. Wie die idealische Schauspielkunst der Griechen auf der einen Seite der Musik verschwistert war, so strebte sie auf der andern mit den plastischen Kuͤnsten gleichen Schritt zu halten, und es ist wohl klar, daß die Griechen auf dem Theater immer lieber etwas von dem Leben und der Leidenschaft als von der Groͤße und Schoͤnheit der Gestalten und Bewegungen aufopferten. Gewiß kann man sich den Anblick ihrer Tragoͤdien nicht leicht zu herrlich und majestaͤtisch vorstellen; allein wenn wir auch besser in Stand gesetzt waͤren, einen anschaulichen Begriff davon zu geben, so koͤnnte man dem Zeichner doch nicht rathen, daß er dieß zu seinem Ziel machte. Wir wuͤrden den Dichter erst aus der zweyten Hand empfangen, wenn er ihn durch das Medium der theatralischen Darstellung zu komponiren versuchte; und da jede dieser Kuͤnste durch ihre verschiednen Mittel und Zwecke oft weit von der andern abweichen muß, so wuͤrde er sich unnoͤthiger Weise den Beschraͤnkungen beyder unterwerfen.
Es versteht sich von selbst, daß der moderne Kuͤnstler dasjenige in seinen Bildern, was uns in die Heroenwelt des Homer und Aeschylus versetzt, nicht aus der Luft greifen oder aus eignen Mitteln hervorbringen konnte. Man erwartet schon ein vertrautes Studium der Antike darin zu erkennen. Flaxman hat dieses aber nicht bloß in dem Umfange getrieben, wo es ihn als Bildhauer besonders anging; vielmehr wird man bey
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/242 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/242>, abgerufen am 16.02.2025. |