Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.richtig zu begreifen, und unsre Vorstellung von ihr muß sich sogleich als eine bloße Täuschung offenbaren. Die Verschiedenheit der Urtheile verschlägt in der Sache übrigens nichts, und ist nothwendig nur scheinbar. Denn wir beobachten mit einer und derselben Vernunft eines und dasselbe, und finden überall auch eines und dasselbe, wo wir so weise schon waren, unsern eignen Augen und Ohren zu glauben. Darin wird sich auch am Ende aller Widerstreit auflösen, sobald wir nur erst überzeugt sind, daß die Pupille nicht siehet, und das Trommelfell nicht höret, sondern daß der Sinn, der in uns wahrnimmt, mit dem Jnnersten unsers Wesens das gleiche und selbe ist. Sind daher die Menschen als Menschen sich gleich, so müssen sie es bleiben Kraft ihrer Natur, die sie nie verlieren können. Denn das Daseyn freier Wesen ist immer ursprünglich, und bleibt daher ewig die erste Umarmung einer liebenden Natur. Dennoch liegt uns allen daran, unsre gegenseitigen Urtheile wo möglich auszugleichen, und eben dies feste und unermüdete Bestreben ist der sicherste Beweis von dem Frieden unsrer Geister, den wir nur sehen dürfen, um ihn so fort in unsern Handlungen auch auszudrücken. Die Beantwortung der Frage über die natürliche Gleichheit der Menschen ist ein Urtheil über das ursprüngliche Verhältniß der Menschen. Dieses Verhältniß also suchen wir, um durch seine Bestimmung uns die Wahrheit von jener anschaulich zu machen. richtig zu begreifen, und unsre Vorstellung von ihr muß sich sogleich als eine bloße Taͤuschung offenbaren. Die Verschiedenheit der Urtheile verschlaͤgt in der Sache uͤbrigens nichts, und ist nothwendig nur scheinbar. Denn wir beobachten mit einer und derselben Vernunft eines und dasselbe, und finden uͤberall auch eines und dasselbe, wo wir so weise schon waren, unsern eignen Augen und Ohren zu glauben. Darin wird sich auch am Ende aller Widerstreit aufloͤsen, sobald wir nur erst uͤberzeugt sind, daß die Pupille nicht siehet, und das Trommelfell nicht hoͤret, sondern daß der Sinn, der in uns wahrnimmt, mit dem Jnnersten unsers Wesens das gleiche und selbe ist. Sind daher die Menschen als Menschen sich gleich, so muͤssen sie es bleiben Kraft ihrer Natur, die sie nie verlieren koͤnnen. Denn das Daseyn freier Wesen ist immer urspruͤnglich, und bleibt daher ewig die erste Umarmung einer liebenden Natur. Dennoch liegt uns allen daran, unsre gegenseitigen Urtheile wo moͤglich auszugleichen, und eben dies feste und unermuͤdete Bestreben ist der sicherste Beweis von dem Frieden unsrer Geister, den wir nur sehen duͤrfen, um ihn so fort in unsern Handlungen auch auszudruͤcken. Die Beantwortung der Frage uͤber die natuͤrliche Gleichheit der Menschen ist ein Urtheil uͤber das urspruͤngliche Verhaͤltniß der Menschen. Dieses Verhaͤltniß also suchen wir, um durch seine Bestimmung uns die Wahrheit von jener anschaulich zu machen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0171" n="163"/> richtig zu begreifen, und unsre Vorstellung von ihr muß sich sogleich als eine bloße Taͤuschung offenbaren.</p><lb/> <p>Die Verschiedenheit der Urtheile verschlaͤgt in der Sache uͤbrigens nichts, und ist nothwendig nur scheinbar. Denn wir beobachten mit einer und derselben Vernunft eines und dasselbe, und finden uͤberall auch eines und dasselbe, wo wir so weise schon waren, unsern eignen Augen und Ohren zu glauben. Darin wird sich auch am Ende aller Widerstreit aufloͤsen, sobald wir nur erst uͤberzeugt sind, daß die Pupille nicht siehet, und das Trommelfell nicht hoͤret, sondern daß der Sinn, der in uns wahrnimmt, mit dem Jnnersten unsers Wesens das gleiche und selbe ist. Sind daher die Menschen als Menschen sich gleich, so muͤssen sie es bleiben Kraft ihrer Natur, die sie nie verlieren koͤnnen. Denn das Daseyn freier Wesen ist immer <hi rendition="#g">urspruͤnglich</hi>, und bleibt daher ewig die <hi rendition="#g">erste</hi> Umarmung einer liebenden Natur.</p><lb/> <p>Dennoch liegt uns allen daran, unsre gegenseitigen Urtheile wo moͤglich auszugleichen, und eben dies feste und unermuͤdete Bestreben ist der sicherste Beweis von dem Frieden unsrer Geister, den wir nur sehen duͤrfen, um ihn so fort in unsern Handlungen auch auszudruͤcken.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die Beantwortung der Frage uͤber die natuͤrliche Gleichheit der Menschen ist ein Urtheil uͤber das urspruͤngliche Verhaͤltniß der Menschen. Dieses Verhaͤltniß also suchen wir, um durch seine Bestimmung uns die Wahrheit von jener anschaulich zu machen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0171]
richtig zu begreifen, und unsre Vorstellung von ihr muß sich sogleich als eine bloße Taͤuschung offenbaren.
Die Verschiedenheit der Urtheile verschlaͤgt in der Sache uͤbrigens nichts, und ist nothwendig nur scheinbar. Denn wir beobachten mit einer und derselben Vernunft eines und dasselbe, und finden uͤberall auch eines und dasselbe, wo wir so weise schon waren, unsern eignen Augen und Ohren zu glauben. Darin wird sich auch am Ende aller Widerstreit aufloͤsen, sobald wir nur erst uͤberzeugt sind, daß die Pupille nicht siehet, und das Trommelfell nicht hoͤret, sondern daß der Sinn, der in uns wahrnimmt, mit dem Jnnersten unsers Wesens das gleiche und selbe ist. Sind daher die Menschen als Menschen sich gleich, so muͤssen sie es bleiben Kraft ihrer Natur, die sie nie verlieren koͤnnen. Denn das Daseyn freier Wesen ist immer urspruͤnglich, und bleibt daher ewig die erste Umarmung einer liebenden Natur.
Dennoch liegt uns allen daran, unsre gegenseitigen Urtheile wo moͤglich auszugleichen, und eben dies feste und unermuͤdete Bestreben ist der sicherste Beweis von dem Frieden unsrer Geister, den wir nur sehen duͤrfen, um ihn so fort in unsern Handlungen auch auszudruͤcken.
Die Beantwortung der Frage uͤber die natuͤrliche Gleichheit der Menschen ist ein Urtheil uͤber das urspruͤngliche Verhaͤltniß der Menschen. Dieses Verhaͤltniß also suchen wir, um durch seine Bestimmung uns die Wahrheit von jener anschaulich zu machen.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/171>, abgerufen am 16.02.2025. |