Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.allgemeinen für den katholischen Glauben einen sehr prosaischen Gesichtspunkt. Waller. Der Katholik hat ihn auch, wenn er seine Religion nicht liberal und menschlich behandelt. Wir müssen uns erst bewußt seyn, daß wir etwas selbst in uns erschaffen, ehe wir uns erlauben, es durch ein dichterisches Spiel zu veredeln. Ein schöner Gottesdienst kann nie Aberglaube seyn: aber die priesterliche Zaubermacht wird dadurch am stärksten bewährt, daß sie den Menschen das Häßliche, Lächerliche, Armselige in Heiliges verwandelt. Louise. Es wäre also schon Liberalität von den Päbsten und andern Geistlichen gewesen, wenn sie die Talente großer Künstler zum Dienste der Religion aufboten? Waller. Unstreitig; sie war aber durch den allgemeinen religiösen Luxus viel früher vorbereitet. Auf jeden Fall verdanken wir ihr einige von den eigenthümlichsten Schöpfungen der modernen Kunst. Jch habe es oft beklagen hören, daß die großen Mahler immerfort Madonnen, heilige Familien, Apostel, Heilige, Himmelfahrten und so weiter gemahlt. Nach meinem Bedünken ist es vielmehr ein unschätzbarer Vortheil, einen bestimmten mythischen Kreis zu haben, wo die Gegenstände schon bekannt und von lange her mahlerisch organisirt sind, und die Aufmerksamkeit sich daher um soungetheilter auf die Behandlung richten kann. Reinhold. Jndessen sehen wir, daß die heutigen Künstler Himmel und Erde bewegen, um aus dieser Beschränkung herauszukommen. Sie versteigen sich allgemeinen fuͤr den katholischen Glauben einen sehr prosaischen Gesichtspunkt. Waller. Der Katholik hat ihn auch, wenn er seine Religion nicht liberal und menschlich behandelt. Wir muͤssen uns erst bewußt seyn, daß wir etwas selbst in uns erschaffen, ehe wir uns erlauben, es durch ein dichterisches Spiel zu veredeln. Ein schoͤner Gottesdienst kann nie Aberglaube seyn: aber die priesterliche Zaubermacht wird dadurch am staͤrksten bewaͤhrt, daß sie den Menschen das Haͤßliche, Laͤcherliche, Armselige in Heiliges verwandelt. Louise. Es waͤre also schon Liberalitaͤt von den Paͤbsten und andern Geistlichen gewesen, wenn sie die Talente großer Kuͤnstler zum Dienste der Religion aufboten? Waller. Unstreitig; sie war aber durch den allgemeinen religioͤsen Luxus viel fruͤher vorbereitet. Auf jeden Fall verdanken wir ihr einige von den eigenthuͤmlichsten Schoͤpfungen der modernen Kunst. Jch habe es oft beklagen hoͤren, daß die großen Mahler immerfort Madonnen, heilige Familien, Apostel, Heilige, Himmelfahrten und so weiter gemahlt. Nach meinem Beduͤnken ist es vielmehr ein unschaͤtzbarer Vortheil, einen bestimmten mythischen Kreis zu haben, wo die Gegenstaͤnde schon bekannt und von lange her mahlerisch organisirt sind, und die Aufmerksamkeit sich daher um soungetheilter auf die Behandlung richten kann. Reinhold. Jndessen sehen wir, daß die heutigen Kuͤnstler Himmel und Erde bewegen, um aus dieser Beschraͤnkung herauszukommen. Sie versteigen sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0143" n="135"/> allgemeinen fuͤr den katholischen Glauben einen sehr prosaischen Gesichtspunkt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Der Katholik hat ihn auch, wenn er seine Religion nicht liberal und menschlich behandelt. Wir muͤssen uns erst bewußt seyn, daß wir etwas selbst in uns erschaffen, ehe wir uns erlauben, es durch ein dichterisches Spiel zu veredeln. Ein schoͤner Gottesdienst kann nie Aberglaube seyn: aber die priesterliche Zaubermacht wird dadurch am staͤrksten bewaͤhrt, daß sie den Menschen das Haͤßliche, Laͤcherliche, Armselige in Heiliges verwandelt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Es waͤre also schon Liberalitaͤt von den Paͤbsten und andern Geistlichen gewesen, wenn sie die Talente großer Kuͤnstler zum Dienste der Religion aufboten?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Unstreitig; sie war aber durch den allgemeinen religioͤsen Luxus viel fruͤher vorbereitet. Auf jeden Fall verdanken wir ihr einige von den eigenthuͤmlichsten Schoͤpfungen der modernen Kunst. Jch habe es oft beklagen hoͤren, daß die großen Mahler immerfort Madonnen, heilige Familien, Apostel, Heilige, Himmelfahrten und so weiter gemahlt. Nach meinem Beduͤnken ist es vielmehr ein unschaͤtzbarer Vortheil, einen bestimmten mythischen Kreis zu haben, wo die Gegenstaͤnde schon bekannt und von lange her mahlerisch organisirt sind, und die Aufmerksamkeit sich daher um soungetheilter auf die Behandlung richten kann.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Jndessen sehen wir, daß die heutigen Kuͤnstler Himmel und Erde bewegen, um aus dieser Beschraͤnkung herauszukommen. Sie versteigen sich </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0143]
allgemeinen fuͤr den katholischen Glauben einen sehr prosaischen Gesichtspunkt.
Waller. Der Katholik hat ihn auch, wenn er seine Religion nicht liberal und menschlich behandelt. Wir muͤssen uns erst bewußt seyn, daß wir etwas selbst in uns erschaffen, ehe wir uns erlauben, es durch ein dichterisches Spiel zu veredeln. Ein schoͤner Gottesdienst kann nie Aberglaube seyn: aber die priesterliche Zaubermacht wird dadurch am staͤrksten bewaͤhrt, daß sie den Menschen das Haͤßliche, Laͤcherliche, Armselige in Heiliges verwandelt.
Louise. Es waͤre also schon Liberalitaͤt von den Paͤbsten und andern Geistlichen gewesen, wenn sie die Talente großer Kuͤnstler zum Dienste der Religion aufboten?
Waller. Unstreitig; sie war aber durch den allgemeinen religioͤsen Luxus viel fruͤher vorbereitet. Auf jeden Fall verdanken wir ihr einige von den eigenthuͤmlichsten Schoͤpfungen der modernen Kunst. Jch habe es oft beklagen hoͤren, daß die großen Mahler immerfort Madonnen, heilige Familien, Apostel, Heilige, Himmelfahrten und so weiter gemahlt. Nach meinem Beduͤnken ist es vielmehr ein unschaͤtzbarer Vortheil, einen bestimmten mythischen Kreis zu haben, wo die Gegenstaͤnde schon bekannt und von lange her mahlerisch organisirt sind, und die Aufmerksamkeit sich daher um soungetheilter auf die Behandlung richten kann.
Reinhold. Jndessen sehen wir, daß die heutigen Kuͤnstler Himmel und Erde bewegen, um aus dieser Beschraͤnkung herauszukommen. Sie versteigen sich
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/143>, abgerufen am 15.08.2024. |