Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.ihm den unbegreiflich hohen Ausdruck, glaube ich. So auch das kurze Haar, das emporstrebend den Kopf umgiebt. Die Augen scheinen zwey unbewegliche Sterne; sie liegen tief, die Stirn ist voll Nachdenken. Und doch kann man nicht sagen, dieser Knabe ist schon ein Mann. Es ist keine Ueberreife, aber Uebermenschlichkeit. Denn so weit sich das Göttliche in kindischer Hülle offenbaren kann, ist es hier geschehn, und ich kann mir den Mann zu diesem Kinde nicht einmal denken. Waller. Jst das auch einer von Jhren Gründen, warum Sie einen Christuskopf für unmöglich halten? Louise. Ja ich gestehe Jhnen, ich sehe den Erlöser der Welt am liebsten als Kind. Das Geheimniß der Vermischung beyder Naturen scheint mir in dem wunderbaren Geheimniß der Kindheit überhaupt am besten gelöset, die so gränzenlos in ihrem Wesen wie begränzt ist. Waller. Fast möchte ich Jhrer Meynung werden. Louise. Nun nehmt einmal die Mutter und das Kind zusammen. Welch ein erhabnes Daseyn, und ganz allein durch das bloße Daseyn, ohne Prunk und Nebenwerk! Man möchte sagen, auch ohne Beleuchtung: ein geschloßnes Helldunkel ist wenigstens nicht da, keine Magie der Erscheinung. Reinhold. Es ist aber doch in den kräftigsten Farben, und ganz in Raphaels herrlichster Weise gemahlt. Louise. Dagegen ging meine Bemerkung eigentlich nicht. Müßte das Bild nicht beynah ohne Kolorit ihm den unbegreiflich hohen Ausdruck, glaube ich. So auch das kurze Haar, das emporstrebend den Kopf umgiebt. Die Augen scheinen zwey unbewegliche Sterne; sie liegen tief, die Stirn ist voll Nachdenken. Und doch kann man nicht sagen, dieser Knabe ist schon ein Mann. Es ist keine Ueberreife, aber Uebermenschlichkeit. Denn so weit sich das Goͤttliche in kindischer Huͤlle offenbaren kann, ist es hier geschehn, und ich kann mir den Mann zu diesem Kinde nicht einmal denken. Waller. Jst das auch einer von Jhren Gruͤnden, warum Sie einen Christuskopf fuͤr unmoͤglich halten? Louise. Ja ich gestehe Jhnen, ich sehe den Erloͤser der Welt am liebsten als Kind. Das Geheimniß der Vermischung beyder Naturen scheint mir in dem wunderbaren Geheimniß der Kindheit uͤberhaupt am besten geloͤset, die so graͤnzenlos in ihrem Wesen wie begraͤnzt ist. Waller. Fast moͤchte ich Jhrer Meynung werden. Louise. Nun nehmt einmal die Mutter und das Kind zusammen. Welch ein erhabnes Daseyn, und ganz allein durch das bloße Daseyn, ohne Prunk und Nebenwerk! Man moͤchte sagen, auch ohne Beleuchtung: ein geschloßnes Helldunkel ist wenigstens nicht da, keine Magie der Erscheinung. Reinhold. Es ist aber doch in den kraͤftigsten Farben, und ganz in Raphaels herrlichster Weise gemahlt. Louise. Dagegen ging meine Bemerkung eigentlich nicht. Muͤßte das Bild nicht beynah ohne Kolorit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0137" n="129"/> ihm den unbegreiflich hohen Ausdruck, glaube ich. So auch das kurze Haar, das emporstrebend den Kopf umgiebt. Die Augen scheinen zwey unbewegliche Sterne; sie liegen tief, die Stirn ist voll Nachdenken. Und doch kann man nicht sagen, dieser Knabe ist schon ein Mann. Es ist keine Ueberreife, aber Uebermenschlichkeit. Denn so weit sich das Goͤttliche in kindischer Huͤlle offenbaren kann, ist es hier geschehn, und ich kann mir den Mann zu diesem Kinde nicht einmal denken.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Jst das auch einer von Jhren Gruͤnden, warum Sie einen Christuskopf fuͤr unmoͤglich halten?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Ja ich gestehe Jhnen, ich sehe den Erloͤser der Welt am liebsten als Kind. Das Geheimniß der Vermischung beyder Naturen scheint mir in dem wunderbaren Geheimniß der Kindheit uͤberhaupt am besten geloͤset, die so graͤnzenlos in ihrem Wesen wie begraͤnzt ist.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Fast moͤchte ich Jhrer Meynung werden.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Nun nehmt einmal die Mutter und das Kind zusammen. Welch ein erhabnes Daseyn, und ganz allein durch das bloße Daseyn, ohne Prunk und Nebenwerk! Man moͤchte sagen, auch ohne Beleuchtung: ein geschloßnes Helldunkel ist wenigstens nicht da, keine Magie der Erscheinung.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Es ist aber doch in den kraͤftigsten Farben, und ganz in Raphaels herrlichster Weise gemahlt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Dagegen ging meine Bemerkung eigentlich nicht. Muͤßte das Bild nicht beynah ohne Kolorit </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0137]
ihm den unbegreiflich hohen Ausdruck, glaube ich. So auch das kurze Haar, das emporstrebend den Kopf umgiebt. Die Augen scheinen zwey unbewegliche Sterne; sie liegen tief, die Stirn ist voll Nachdenken. Und doch kann man nicht sagen, dieser Knabe ist schon ein Mann. Es ist keine Ueberreife, aber Uebermenschlichkeit. Denn so weit sich das Goͤttliche in kindischer Huͤlle offenbaren kann, ist es hier geschehn, und ich kann mir den Mann zu diesem Kinde nicht einmal denken.
Waller. Jst das auch einer von Jhren Gruͤnden, warum Sie einen Christuskopf fuͤr unmoͤglich halten?
Louise. Ja ich gestehe Jhnen, ich sehe den Erloͤser der Welt am liebsten als Kind. Das Geheimniß der Vermischung beyder Naturen scheint mir in dem wunderbaren Geheimniß der Kindheit uͤberhaupt am besten geloͤset, die so graͤnzenlos in ihrem Wesen wie begraͤnzt ist.
Waller. Fast moͤchte ich Jhrer Meynung werden.
Louise. Nun nehmt einmal die Mutter und das Kind zusammen. Welch ein erhabnes Daseyn, und ganz allein durch das bloße Daseyn, ohne Prunk und Nebenwerk! Man moͤchte sagen, auch ohne Beleuchtung: ein geschloßnes Helldunkel ist wenigstens nicht da, keine Magie der Erscheinung.
Reinhold. Es ist aber doch in den kraͤftigsten Farben, und ganz in Raphaels herrlichster Weise gemahlt.
Louise. Dagegen ging meine Bemerkung eigentlich nicht. Muͤßte das Bild nicht beynah ohne Kolorit
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