Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

lenden Laertes; und selbst die unbedeutendsten Ne-
bengestalten wie der Wundarzt sind mit Absicht höchst
wunderlich. Der eigentliche Mittelpunkt dieser Will-
kührlichkeit ist die geheime Gesellschaft des reinen Ver-
standes, die Wilhelmen und sich selbst zum besten hat,
und zuletzt noch rechtlich und nützlich und ökonomisch
wird. Dagegen ist aber der Zufall selbst hier ein
gebildeter Mann, und da die Darstellung alles an-
dern im Großen nimmt und giebt, warum sollte sie
sich nicht auch der hergebrachten Lizenzen der Poesie
im Großen bedienen? Es versteht sich von selbst,
daß eine Behandlung dieser Art und dieses Geistes
nicht alle Fäden lang und langsam ausspinnen wird.
Jndessen erinnert doch auch der erst eilende dann
aber unerwartet zögernde Schluß des vierten Ban-
des, wie Wilhelms allegorischer Traum im Anfange
desselben, an vieles von allem, was das Jnteressan-
teste und Bedeutendste im Ganzen ist. Unter andern
sind der segnende Graf, die schwangre Philine vor
dem Spiegel, als ein warnendes Beyspiel der komi-
schen Nemesis und der sterbend geglaubte Knabe,
welcher ein Butterbrodt verlangt, gleichsam die ganz
bürlesken Spitzen des Lustigen und Lächerlichen.

Wenn bescheidner Reiz den ersten Band dieses
Romans, glänzende Schönheit den zweyten und tiefe
Künstlichkeit und Absichtlichkeit den dritten unterschei-
det; so ist Größe der eigentliche Karakter des letzten,
und mit ihm des ganzen Werks. Selbst der Glieder-
bau ist erhabner, und Licht und Farben heller und
höher; alles ist gediegen und hinreißend, und die

lenden Laertes; und selbst die unbedeutendsten Ne-
bengestalten wie der Wundarzt sind mit Absicht hoͤchst
wunderlich. Der eigentliche Mittelpunkt dieser Will-
kuͤhrlichkeit ist die geheime Gesellschaft des reinen Ver-
standes, die Wilhelmen und sich selbst zum besten hat,
und zuletzt noch rechtlich und nuͤtzlich und oͤkonomisch
wird. Dagegen ist aber der Zufall selbst hier ein
gebildeter Mann, und da die Darstellung alles an-
dern im Großen nimmt und giebt, warum sollte sie
sich nicht auch der hergebrachten Lizenzen der Poesie
im Großen bedienen? Es versteht sich von selbst,
daß eine Behandlung dieser Art und dieses Geistes
nicht alle Faͤden lang und langsam ausspinnen wird.
Jndessen erinnert doch auch der erst eilende dann
aber unerwartet zoͤgernde Schluß des vierten Ban-
des, wie Wilhelms allegorischer Traum im Anfange
desselben, an vieles von allem, was das Jnteressan-
teste und Bedeutendste im Ganzen ist. Unter andern
sind der segnende Graf, die schwangre Philine vor
dem Spiegel, als ein warnendes Beyspiel der komi-
schen Nemesis und der sterbend geglaubte Knabe,
welcher ein Butterbrodt verlangt, gleichsam die ganz
buͤrlesken Spitzen des Lustigen und Laͤcherlichen.

Wenn bescheidner Reiz den ersten Band dieses
Romans, glaͤnzende Schoͤnheit den zweyten und tiefe
Kuͤnstlichkeit und Absichtlichkeit den dritten unterschei-
det; so ist Groͤße der eigentliche Karakter des letzten,
und mit ihm des ganzen Werks. Selbst der Glieder-
bau ist erhabner, und Licht und Farben heller und
hoͤher; alles ist gediegen und hinreißend, und die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0365" n="176"/>
lenden Laertes; und selbst die unbedeutendsten Ne-<lb/>
bengestalten wie der Wundarzt sind mit Absicht ho&#x0364;chst<lb/>
wunderlich. Der eigentliche Mittelpunkt dieser Will-<lb/>
ku&#x0364;hrlichkeit ist die geheime Gesellschaft des reinen Ver-<lb/>
standes, die Wilhelmen und sich selbst zum besten hat,<lb/>
und zuletzt noch rechtlich und nu&#x0364;tzlich und o&#x0364;konomisch<lb/>
wird. Dagegen ist aber der Zufall selbst hier ein<lb/>
gebildeter Mann, und da die Darstellung alles an-<lb/>
dern im Großen nimmt und giebt, warum sollte sie<lb/>
sich nicht auch der hergebrachten Lizenzen der Poesie<lb/>
im Großen bedienen? Es versteht sich von selbst,<lb/>
daß eine Behandlung dieser Art und dieses Geistes<lb/>
nicht alle Fa&#x0364;den lang und langsam ausspinnen wird.<lb/>
Jndessen erinnert doch auch der erst eilende dann<lb/>
aber unerwartet zo&#x0364;gernde Schluß des vierten Ban-<lb/>
des, wie Wilhelms allegorischer Traum im Anfange<lb/>
desselben, an vieles von allem, was das Jnteressan-<lb/>
teste und Bedeutendste im Ganzen ist. Unter andern<lb/>
sind der segnende Graf, die schwangre Philine vor<lb/>
dem Spiegel, als ein warnendes Beyspiel der komi-<lb/>
schen Nemesis und der sterbend geglaubte Knabe,<lb/>
welcher ein Butterbrodt verlangt, gleichsam die ganz<lb/>
bu&#x0364;rlesken Spitzen des Lustigen und La&#x0364;cherlichen.</p><lb/>
          <p>Wenn bescheidner Reiz den ersten Band dieses<lb/>
Romans, gla&#x0364;nzende Scho&#x0364;nheit den zweyten und tiefe<lb/>
Ku&#x0364;nstlichkeit und Absichtlichkeit den dritten unterschei-<lb/>
det; so ist Gro&#x0364;ße der eigentliche Karakter des letzten,<lb/>
und mit ihm des ganzen Werks. Selbst der Glieder-<lb/>
bau ist erhabner, und Licht und Farben heller und<lb/>
ho&#x0364;her; alles ist gediegen und hinreißend, und die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0365] lenden Laertes; und selbst die unbedeutendsten Ne- bengestalten wie der Wundarzt sind mit Absicht hoͤchst wunderlich. Der eigentliche Mittelpunkt dieser Will- kuͤhrlichkeit ist die geheime Gesellschaft des reinen Ver- standes, die Wilhelmen und sich selbst zum besten hat, und zuletzt noch rechtlich und nuͤtzlich und oͤkonomisch wird. Dagegen ist aber der Zufall selbst hier ein gebildeter Mann, und da die Darstellung alles an- dern im Großen nimmt und giebt, warum sollte sie sich nicht auch der hergebrachten Lizenzen der Poesie im Großen bedienen? Es versteht sich von selbst, daß eine Behandlung dieser Art und dieses Geistes nicht alle Faͤden lang und langsam ausspinnen wird. Jndessen erinnert doch auch der erst eilende dann aber unerwartet zoͤgernde Schluß des vierten Ban- des, wie Wilhelms allegorischer Traum im Anfange desselben, an vieles von allem, was das Jnteressan- teste und Bedeutendste im Ganzen ist. Unter andern sind der segnende Graf, die schwangre Philine vor dem Spiegel, als ein warnendes Beyspiel der komi- schen Nemesis und der sterbend geglaubte Knabe, welcher ein Butterbrodt verlangt, gleichsam die ganz buͤrlesken Spitzen des Lustigen und Laͤcherlichen. Wenn bescheidner Reiz den ersten Band dieses Romans, glaͤnzende Schoͤnheit den zweyten und tiefe Kuͤnstlichkeit und Absichtlichkeit den dritten unterschei- det; so ist Groͤße der eigentliche Karakter des letzten, und mit ihm des ganzen Werks. Selbst der Glieder- bau ist erhabner, und Licht und Farben heller und hoͤher; alles ist gediegen und hinreißend, und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/365
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/365>, abgerufen am 24.11.2024.