Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.großen Oekonomie; es giebt wohl auch eine Alchemie der Art. Die chemische Natur des Romans, der Kritik, des Witzes, der Geselligkeit, der neuesten Rhetorik und der bisherigen Historie leuchtet von selbst ein. Ehe man nicht zu einer Karakteristik des Universums und zu einer Eintheilung der Menschheit gelangt ist, muß man sich nur mit Notizen über den Grundton und einzelne Manieren des Zeitalters begnügen lassen, ohne den Riesen auch nur silhouettiren zu können. Denn wie wollte man ohne jene Vorkenntnisse bestimmen, ob das Zeitalter wirklich ein Jndividuum, oder vielleicht nur ein Collisionspunkt andrer Zeitalter sey; wo es bestimmt anfange und endige? Wie wäre es möglich, die gegenwärtige Periode der Welt richtig zu verstehen und zu interpungiren, wenn man nicht wenigstens den allgemeinen Karakter der nächstfolgenden anticipiren dürfte? Nach der Analogie jenes Gedankens würde auf das chemische ein organisches Zeitalter folgen, und dann dürften die Erdbürger des nächsten Sonnenumlaufs wohl bey weitem nicht so groß von uns denken wie wir selbst, und vieles was jetzt bloß angestaunt wird, nur für nützliche Jugendübungen der Menschheit halten. Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat desselben ist ein Faktum. Was ein Faktum seyn soll, muß strenge Jndividualität haben, zugleich ein Geheimniß und ein Experiment seyn, nämlich ein Experiment der bildenden Natur. Geheimniß und Mysterie ist alles großen Oekonomie; es giebt wohl auch eine Alchemie der Art. Die chemische Natur des Romans, der Kritik, des Witzes, der Geselligkeit, der neuesten Rhetorik und der bisherigen Historie leuchtet von selbst ein. Ehe man nicht zu einer Karakteristik des Universums und zu einer Eintheilung der Menschheit gelangt ist, muß man sich nur mit Notizen uͤber den Grundton und einzelne Manieren des Zeitalters begnuͤgen lassen, ohne den Riesen auch nur silhouettiren zu koͤnnen. Denn wie wollte man ohne jene Vorkenntnisse bestimmen, ob das Zeitalter wirklich ein Jndividuum, oder vielleicht nur ein Collisionspunkt andrer Zeitalter sey; wo es bestimmt anfange und endige? Wie waͤre es moͤglich, die gegenwaͤrtige Periode der Welt richtig zu verstehen und zu interpungiren, wenn man nicht wenigstens den allgemeinen Karakter der naͤchstfolgenden anticipiren duͤrfte? Nach der Analogie jenes Gedankens wuͤrde auf das chemische ein organisches Zeitalter folgen, und dann duͤrften die Erdbuͤrger des naͤchsten Sonnenumlaufs wohl bey weitem nicht so groß von uns denken wie wir selbst, und vieles was jetzt bloß angestaunt wird, nur fuͤr nuͤtzliche Jugenduͤbungen der Menschheit halten. Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat desselben ist ein Faktum. Was ein Faktum seyn soll, muß strenge Jndividualitaͤt haben, zugleich ein Geheimniß und ein Experiment seyn, naͤmlich ein Experiment der bildenden Natur. Geheimniß und Mysterie ist alles <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0324" n="135"/> großen Oekonomie; es giebt wohl auch eine Alchemie der Art. Die chemische Natur des Romans, der Kritik, des Witzes, der Geselligkeit, der neuesten Rhetorik und der bisherigen Historie leuchtet von selbst ein. Ehe man nicht zu einer Karakteristik des Universums und zu einer Eintheilung der Menschheit gelangt ist, muß man sich nur mit Notizen uͤber den Grundton und einzelne Manieren des Zeitalters begnuͤgen lassen, ohne den Riesen auch nur silhouettiren zu koͤnnen. Denn wie wollte man ohne jene Vorkenntnisse bestimmen, ob das Zeitalter wirklich ein Jndividuum, oder vielleicht nur ein Collisionspunkt andrer Zeitalter sey; wo es bestimmt anfange und endige? Wie waͤre es moͤglich, die gegenwaͤrtige Periode der Welt richtig zu verstehen und zu interpungiren, wenn man nicht wenigstens den allgemeinen Karakter der naͤchstfolgenden anticipiren duͤrfte? Nach der Analogie jenes Gedankens wuͤrde auf das chemische ein organisches Zeitalter folgen, und dann duͤrften die Erdbuͤrger des naͤchsten Sonnenumlaufs wohl bey weitem nicht so groß von uns denken wie wir selbst, und vieles was jetzt bloß angestaunt wird, nur fuͤr nuͤtzliche Jugenduͤbungen der Menschheit halten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat desselben ist ein Faktum. Was ein Faktum seyn soll, muß strenge Jndividualitaͤt haben, zugleich ein Geheimniß und ein Experiment seyn, naͤmlich ein Experiment der bildenden Natur. Geheimniß und Mysterie ist alles<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0324]
großen Oekonomie; es giebt wohl auch eine Alchemie der Art. Die chemische Natur des Romans, der Kritik, des Witzes, der Geselligkeit, der neuesten Rhetorik und der bisherigen Historie leuchtet von selbst ein. Ehe man nicht zu einer Karakteristik des Universums und zu einer Eintheilung der Menschheit gelangt ist, muß man sich nur mit Notizen uͤber den Grundton und einzelne Manieren des Zeitalters begnuͤgen lassen, ohne den Riesen auch nur silhouettiren zu koͤnnen. Denn wie wollte man ohne jene Vorkenntnisse bestimmen, ob das Zeitalter wirklich ein Jndividuum, oder vielleicht nur ein Collisionspunkt andrer Zeitalter sey; wo es bestimmt anfange und endige? Wie waͤre es moͤglich, die gegenwaͤrtige Periode der Welt richtig zu verstehen und zu interpungiren, wenn man nicht wenigstens den allgemeinen Karakter der naͤchstfolgenden anticipiren duͤrfte? Nach der Analogie jenes Gedankens wuͤrde auf das chemische ein organisches Zeitalter folgen, und dann duͤrften die Erdbuͤrger des naͤchsten Sonnenumlaufs wohl bey weitem nicht so groß von uns denken wie wir selbst, und vieles was jetzt bloß angestaunt wird, nur fuͤr nuͤtzliche Jugenduͤbungen der Menschheit halten.
Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat desselben ist ein Faktum. Was ein Faktum seyn soll, muß strenge Jndividualitaͤt haben, zugleich ein Geheimniß und ein Experiment seyn, naͤmlich ein Experiment der bildenden Natur. Geheimniß und Mysterie ist alles
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/324>, abgerufen am 16.02.2025. |