Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Buchstaben, und öfter einfache als verbundne, vor den Stimmen hergehn, die schönere; seltner sey der Vokal an beyden Seiten mit Konsonanten eingefaßt, oder bestehe die Sylbe bloß aus jenem. Die Mannichfaltigkeit erfordert jedoch Einmischung der weniger schönen Folgen und Anordnungen, damit das Ohr nicht durch Wohlklang übersättigt werde. Jm Ganzen genommen sey das Verhältniß der Vokale und Konsonanten ungefähr gleich. Überwiegen jene zu merklich, so geht der Karakter der Rede verloren; diese, so hemmt das Geräusch nicht nur den Ausdruck der Stimme, sondern zerstört auch durch die entgegengesetzten und sich abstoßenden Bewegungen der Sprachorgane die fließende Stetigkeit der Töne. Grammatik. Und warum haben nur so wenige Völker ihre Sprachen nach diesen Gesetzen gebildet? Poesie. Wie die Natur den Menschen berührt, so giebt er es ihr zurück. Ein von selbst ergiebiger Boden, eine warme Sonne machen ihm das Leben leicht. Seine Brust hebt sich dem beseelenden Odem der reinen Luft entgegen. Sein ganzes Wesen wird elastisch und expansiv. Das schöne Gemählde der Natur steigt in heitern leichten Farben vor seinen Blicken auf, und die Bewegungen des Lebens um ihn gleiten in vollen Melodien, nicht verworren oder schreyend, vor seinem innern Sinn vorüber. Sein Geist sondert und ordnet die Gegenstände schnell und mit Leichtigkeit; er darf nicht mühselig ihre Merkmahle häufen, um sie festzuhalten. Die Empfindung Buchstaben, und oͤfter einfache als verbundne, vor den Stimmen hergehn, die schoͤnere; seltner sey der Vokal an beyden Seiten mit Konsonanten eingefaßt, oder bestehe die Sylbe bloß aus jenem. Die Mannichfaltigkeit erfordert jedoch Einmischung der weniger schoͤnen Folgen und Anordnungen, damit das Ohr nicht durch Wohlklang uͤbersaͤttigt werde. Jm Ganzen genommen sey das Verhaͤltniß der Vokale und Konsonanten ungefaͤhr gleich. Überwiegen jene zu merklich, so geht der Karakter der Rede verloren; diese, so hemmt das Geraͤusch nicht nur den Ausdruck der Stimme, sondern zerstoͤrt auch durch die entgegengesetzten und sich abstoßenden Bewegungen der Sprachorgane die fließende Stetigkeit der Toͤne. Grammatik. Und warum haben nur so wenige Voͤlker ihre Sprachen nach diesen Gesetzen gebildet? Poesie. Wie die Natur den Menschen beruͤhrt, so giebt er es ihr zuruͤck. Ein von selbst ergiebiger Boden, eine warme Sonne machen ihm das Leben leicht. Seine Brust hebt sich dem beseelenden Odem der reinen Luft entgegen. Sein ganzes Wesen wird elastisch und expansiv. Das schoͤne Gemaͤhlde der Natur steigt in heitern leichten Farben vor seinen Blicken auf, und die Bewegungen des Lebens um ihn gleiten in vollen Melodien, nicht verworren oder schreyend, vor seinem innern Sinn voruͤber. Sein Geist sondert und ordnet die Gegenstaͤnde schnell und mit Leichtigkeit; er darf nicht muͤhselig ihre Merkmahle haͤufen, um sie festzuhalten. Die Empfindung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="21"/> Buchstaben, und oͤfter einfache als verbundne, vor den Stimmen hergehn, die schoͤnere; seltner sey der Vokal an beyden Seiten mit Konsonanten eingefaßt, oder bestehe die Sylbe bloß aus jenem. Die Mannichfaltigkeit erfordert jedoch Einmischung der weniger schoͤnen Folgen und Anordnungen, damit das Ohr nicht durch Wohlklang uͤbersaͤttigt werde. Jm Ganzen genommen sey das Verhaͤltniß der Vokale und Konsonanten ungefaͤhr gleich. Überwiegen jene zu merklich, so geht der Karakter der Rede verloren; diese, so hemmt das Geraͤusch nicht nur den Ausdruck der Stimme, sondern zerstoͤrt auch durch die entgegengesetzten und sich abstoßenden Bewegungen der Sprachorgane die fließende Stetigkeit der Toͤne.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Und warum haben nur so wenige Voͤlker ihre Sprachen nach diesen Gesetzen gebildet?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Wie die Natur den Menschen beruͤhrt, so giebt er es ihr zuruͤck. Ein von selbst ergiebiger Boden, eine warme Sonne machen ihm das Leben leicht. Seine Brust hebt sich dem beseelenden Odem der reinen Luft entgegen. Sein ganzes Wesen wird elastisch und expansiv. Das schoͤne Gemaͤhlde der Natur steigt in heitern leichten Farben vor seinen Blicken auf, und die Bewegungen des Lebens um ihn gleiten in vollen Melodien, nicht verworren oder schreyend, vor seinem innern Sinn voruͤber. Sein Geist sondert und ordnet die Gegenstaͤnde schnell und mit Leichtigkeit; er darf nicht muͤhselig ihre Merkmahle haͤufen, um sie festzuhalten. Die Empfindung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0032]
Buchstaben, und oͤfter einfache als verbundne, vor den Stimmen hergehn, die schoͤnere; seltner sey der Vokal an beyden Seiten mit Konsonanten eingefaßt, oder bestehe die Sylbe bloß aus jenem. Die Mannichfaltigkeit erfordert jedoch Einmischung der weniger schoͤnen Folgen und Anordnungen, damit das Ohr nicht durch Wohlklang uͤbersaͤttigt werde. Jm Ganzen genommen sey das Verhaͤltniß der Vokale und Konsonanten ungefaͤhr gleich. Überwiegen jene zu merklich, so geht der Karakter der Rede verloren; diese, so hemmt das Geraͤusch nicht nur den Ausdruck der Stimme, sondern zerstoͤrt auch durch die entgegengesetzten und sich abstoßenden Bewegungen der Sprachorgane die fließende Stetigkeit der Toͤne.
Grammatik. Und warum haben nur so wenige Voͤlker ihre Sprachen nach diesen Gesetzen gebildet?
Poesie. Wie die Natur den Menschen beruͤhrt, so giebt er es ihr zuruͤck. Ein von selbst ergiebiger Boden, eine warme Sonne machen ihm das Leben leicht. Seine Brust hebt sich dem beseelenden Odem der reinen Luft entgegen. Sein ganzes Wesen wird elastisch und expansiv. Das schoͤne Gemaͤhlde der Natur steigt in heitern leichten Farben vor seinen Blicken auf, und die Bewegungen des Lebens um ihn gleiten in vollen Melodien, nicht verworren oder schreyend, vor seinem innern Sinn voruͤber. Sein Geist sondert und ordnet die Gegenstaͤnde schnell und mit Leichtigkeit; er darf nicht muͤhselig ihre Merkmahle haͤufen, um sie festzuhalten. Die Empfindung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/32 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/32>, abgerufen am 16.02.2025. |