Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

die nichts achten als die Nothdurft und sich über nichts freuen als über ihre Nützlichkeit. Wo sie hinkommen, wird alles platt und handwerksmäßig, selbst die Religion, die Alten und die Poesie, die auf ihrer Drechselbank nichts edler ist als Flachshecheln.



Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen, sich selbst litterarisch affiziren. Aus reiner Philosophie oder Poesie ohne Philologie kann man wohl nicht lesen.



Viele musikalische Komposizionen sind nur Übersetzungen des Gedichts in der Sprache der Musik.



Um aus den Alten ins Moderne vollkommen übersetzen zu können, müßte der Übersetzer desselben so mächtig seyn, daß er allenfalls alles Moderne machen könnte; zugleich aber das Antike so verstehn, daß ers nicht bloß nachmachen, sondern allenfalls wiederschaffen könnte.



Es ist ein großer Jrrthum, den Witz bloß auf die Gesellschaft einschränken zu wollen. Die besten Einfälle machen durch ihre zermalmende Kraft, ihren unendlichen Gehalt und ihre klassische Form oft einen unangenehmen Stillstand im Gespräch. Eigentlichen Witz kann man sich doch nur geschrieben denken, wie Gesetze; man muß seine Produkte nach dem Gewicht würdigen, wie Caesar die Perlen und Edelsteine

die nichts achten als die Nothdurft und sich uͤber nichts freuen als uͤber ihre Nuͤtzlichkeit. Wo sie hinkommen, wird alles platt und handwerksmaͤßig, selbst die Religion, die Alten und die Poesie, die auf ihrer Drechselbank nichts edler ist als Flachshecheln.



Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen, sich selbst litterarisch affiziren. Aus reiner Philosophie oder Poesie ohne Philologie kann man wohl nicht lesen.



Viele musikalische Komposizionen sind nur Übersetzungen des Gedichts in der Sprache der Musik.



Um aus den Alten ins Moderne vollkommen uͤbersetzen zu koͤnnen, muͤßte der Übersetzer desselben so maͤchtig seyn, daß er allenfalls alles Moderne machen koͤnnte; zugleich aber das Antike so verstehn, daß ers nicht bloß nachmachen, sondern allenfalls wiederschaffen koͤnnte.



Es ist ein großer Jrrthum, den Witz bloß auf die Gesellschaft einschraͤnken zu wollen. Die besten Einfaͤlle machen durch ihre zermalmende Kraft, ihren unendlichen Gehalt und ihre klassische Form oft einen unangenehmen Stillstand im Gespraͤch. Eigentlichen Witz kann man sich doch nur geschrieben denken, wie Gesetze; man muß seine Produkte nach dem Gewicht wuͤrdigen, wie Caesar die Perlen und Edelsteine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="121"/>
die nichts achten als die Nothdurft und sich u&#x0364;ber nichts freuen als u&#x0364;ber ihre Nu&#x0364;tzlichkeit. Wo sie hinkommen, wird alles platt und handwerksma&#x0364;ßig, selbst die Religion, die Alten und die Poesie, die auf ihrer Drechselbank nichts edler ist als Flachshecheln.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen, sich selbst litterarisch affiziren. Aus reiner Philosophie oder Poesie ohne Philologie kann man wohl nicht lesen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Viele musikalische Komposizionen sind nur Übersetzungen des Gedichts in der Sprache der Musik.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Um aus den Alten ins Moderne vollkommen u&#x0364;bersetzen zu ko&#x0364;nnen, mu&#x0364;ßte der Übersetzer desselben so ma&#x0364;chtig seyn, daß er allenfalls alles Moderne machen ko&#x0364;nnte; zugleich aber das Antike so verstehn, daß ers nicht bloß nachmachen, sondern allenfalls wiederschaffen ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Es ist ein großer Jrrthum, den Witz bloß auf die Gesellschaft einschra&#x0364;nken zu wollen. Die besten Einfa&#x0364;lle machen durch ihre zermalmende Kraft, ihren unendlichen Gehalt und ihre klassische Form oft einen unangenehmen Stillstand im Gespra&#x0364;ch. Eigentlichen Witz kann man sich doch nur geschrieben denken, wie Gesetze; man muß seine Produkte nach dem Gewicht wu&#x0364;rdigen, wie Caesar die Perlen und Edelsteine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0310] die nichts achten als die Nothdurft und sich uͤber nichts freuen als uͤber ihre Nuͤtzlichkeit. Wo sie hinkommen, wird alles platt und handwerksmaͤßig, selbst die Religion, die Alten und die Poesie, die auf ihrer Drechselbank nichts edler ist als Flachshecheln. Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen, sich selbst litterarisch affiziren. Aus reiner Philosophie oder Poesie ohne Philologie kann man wohl nicht lesen. Viele musikalische Komposizionen sind nur Übersetzungen des Gedichts in der Sprache der Musik. Um aus den Alten ins Moderne vollkommen uͤbersetzen zu koͤnnen, muͤßte der Übersetzer desselben so maͤchtig seyn, daß er allenfalls alles Moderne machen koͤnnte; zugleich aber das Antike so verstehn, daß ers nicht bloß nachmachen, sondern allenfalls wiederschaffen koͤnnte. Es ist ein großer Jrrthum, den Witz bloß auf die Gesellschaft einschraͤnken zu wollen. Die besten Einfaͤlle machen durch ihre zermalmende Kraft, ihren unendlichen Gehalt und ihre klassische Form oft einen unangenehmen Stillstand im Gespraͤch. Eigentlichen Witz kann man sich doch nur geschrieben denken, wie Gesetze; man muß seine Produkte nach dem Gewicht wuͤrdigen, wie Caesar die Perlen und Edelsteine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/310
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/310>, abgerufen am 26.12.2024.