Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

mitsprechen zu dürfen, der eine Konjektur oder einen Kommentar machen kann, oder etwa in Jtalien gewesen ist. Hier glauben sie einmal dem Jnstinkt zu viel: denn übrigens mag es wohl eine Foderung der Vernunft seyn, daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph seyn solle, und die Foderungen der Vernunft, sagt man, ziehen den Glauben nach sich. Man könnte diese Gattung des Naiven das philologische Naive nennen.



Das beständige Wiederhohlen des Themas in der Philosophie entspringt aus zwey verschiedenen Ursachen. Entweder der Autor hat etwas entdeckt, er weiß aber selbst noch nicht recht was; und in diesem Sinne sind Kants Schriften musikalisch genug. Oder er hat etwas Neues gehört, ohne es gehörig zu vernehmen, und in diesem Sinne sind die Kantianer die größten Tonkünstler der Litteratur.



Daß ein Prophet nicht in seinem Vaterlande gilt ist wohl der Grund, warum kluge Schriftsteller es so häufig vermeiden, ein Vaterland im Gebiete der Künste und Wissenschaften zu haben. Sie legen sich lieber aufs Reisen, Reisebeschreibungen, oder aufs Lesen und Übersetzen von Reisebeschreibungen, und erhalten das Lob der Universalität.



Alle Gattungen sind gut, sagt Voltaire, ausgenommen die langweilige Gattung. Aber welches ist denn nun die langweilige Gattung? Sie mag größer

mitsprechen zu duͤrfen, der eine Konjektur oder einen Kommentar machen kann, oder etwa in Jtalien gewesen ist. Hier glauben sie einmal dem Jnstinkt zu viel: denn uͤbrigens mag es wohl eine Foderung der Vernunft seyn, daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph seyn solle, und die Foderungen der Vernunft, sagt man, ziehen den Glauben nach sich. Man koͤnnte diese Gattung des Naiven das philologische Naive nennen.



Das bestaͤndige Wiederhohlen des Themas in der Philosophie entspringt aus zwey verschiedenen Ursachen. Entweder der Autor hat etwas entdeckt, er weiß aber selbst noch nicht recht was; und in diesem Sinne sind Kants Schriften musikalisch genug. Oder er hat etwas Neues gehoͤrt, ohne es gehoͤrig zu vernehmen, und in diesem Sinne sind die Kantianer die groͤßten Tonkuͤnstler der Litteratur.



Daß ein Prophet nicht in seinem Vaterlande gilt ist wohl der Grund, warum kluge Schriftsteller es so haͤufig vermeiden, ein Vaterland im Gebiete der Kuͤnste und Wissenschaften zu haben. Sie legen sich lieber aufs Reisen, Reisebeschreibungen, oder aufs Lesen und Übersetzen von Reisebeschreibungen, und erhalten das Lob der Universalitaͤt.



Alle Gattungen sind gut, sagt Voltaire, ausgenommen die langweilige Gattung. Aber welches ist denn nun die langweilige Gattung? Sie mag groͤßer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="90"/>
mitsprechen zu du&#x0364;rfen, der eine Konjektur oder einen Kommentar machen kann, oder etwa in Jtalien gewesen ist. Hier glauben sie einmal dem Jnstinkt zu viel: denn u&#x0364;brigens mag es wohl eine Foderung der Vernunft seyn, daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph seyn solle, und die Foderungen der Vernunft, sagt man, ziehen den Glauben nach sich. Man ko&#x0364;nnte diese Gattung des Naiven das philologische Naive nennen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Das besta&#x0364;ndige Wiederhohlen des Themas in der Philosophie entspringt aus zwey verschiedenen Ursachen. Entweder der Autor hat etwas entdeckt, er weiß aber selbst noch nicht recht was; und in diesem Sinne sind Kants Schriften musikalisch genug. Oder er hat etwas Neues geho&#x0364;rt, ohne es geho&#x0364;rig zu vernehmen, und in diesem Sinne sind die Kantianer die gro&#x0364;ßten Tonku&#x0364;nstler der Litteratur.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Daß ein Prophet nicht in seinem Vaterlande gilt ist wohl der Grund, warum kluge Schriftsteller es so ha&#x0364;ufig vermeiden, ein Vaterland im Gebiete der Ku&#x0364;nste und Wissenschaften zu haben. Sie legen sich lieber aufs Reisen, Reisebeschreibungen, oder aufs Lesen und Übersetzen von Reisebeschreibungen, und erhalten das Lob der Universalita&#x0364;t.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Alle Gattungen sind gut, sagt Voltaire, ausgenommen die langweilige Gattung. Aber welches ist denn nun die langweilige Gattung? Sie mag gro&#x0364;ßer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0279] mitsprechen zu duͤrfen, der eine Konjektur oder einen Kommentar machen kann, oder etwa in Jtalien gewesen ist. Hier glauben sie einmal dem Jnstinkt zu viel: denn uͤbrigens mag es wohl eine Foderung der Vernunft seyn, daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph seyn solle, und die Foderungen der Vernunft, sagt man, ziehen den Glauben nach sich. Man koͤnnte diese Gattung des Naiven das philologische Naive nennen. Das bestaͤndige Wiederhohlen des Themas in der Philosophie entspringt aus zwey verschiedenen Ursachen. Entweder der Autor hat etwas entdeckt, er weiß aber selbst noch nicht recht was; und in diesem Sinne sind Kants Schriften musikalisch genug. Oder er hat etwas Neues gehoͤrt, ohne es gehoͤrig zu vernehmen, und in diesem Sinne sind die Kantianer die groͤßten Tonkuͤnstler der Litteratur. Daß ein Prophet nicht in seinem Vaterlande gilt ist wohl der Grund, warum kluge Schriftsteller es so haͤufig vermeiden, ein Vaterland im Gebiete der Kuͤnste und Wissenschaften zu haben. Sie legen sich lieber aufs Reisen, Reisebeschreibungen, oder aufs Lesen und Übersetzen von Reisebeschreibungen, und erhalten das Lob der Universalitaͤt. Alle Gattungen sind gut, sagt Voltaire, ausgenommen die langweilige Gattung. Aber welches ist denn nun die langweilige Gattung? Sie mag groͤßer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/279
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/279>, abgerufen am 26.08.2024.