Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Wenn Nichts zuviel so viel bedeutet als Alles ein wenig: so ist Garve der größte deutsche Philosoph. Heraklit sagte, man lerne die Vernunft nicht durch Vielwisserey. Jetzt scheint es nöthiger zu erinnern, daß man durch reine Vernunft allein noch nicht gelehrt werde. Um einseitig seyn zu können, muß man wenigstens eine Seite haben. Dieß ist gar nicht der Fall der Menschen, (die gleich ächten Rhapsoden nach Platos Karakteristik dieser Gattung) nur für Eins Sinn haben, nicht weil es ihr Alles, sondern weil es ihr Einziges ist, und immer dasselbe absingen. Jhr Geist ist nicht so wohl in enge Gränzen eingeschlossen; er hört vielmehr gleich auf, und wo er aufhört, geht unmittelbar der leere Raum an. Jhr ganzes Wesen ist wie ein Punkt, der aber doch die Aehnlichkeit mit dem Golde hat, das er sich zu einem unglaublich dünnen Plättchen sehr weit auseinanderschlagen läßt. Warum fehlt in den modigen Verzeichnissen aller möglichen Grundsätze der Moral immer das Ridicüle? Etwa weil dieses Prinzip nur in der Praxis allgemein gilt? Über das geringste Handwerk der Alten wird keiner zu urtheilen wagen, der es nicht versteht. Über die Poesie und Philosophie der Alten glaubt jeder Wenn Nichts zuviel so viel bedeutet als Alles ein wenig: so ist Garve der groͤßte deutsche Philosoph. Heraklit sagte, man lerne die Vernunft nicht durch Vielwisserey. Jetzt scheint es noͤthiger zu erinnern, daß man durch reine Vernunft allein noch nicht gelehrt werde. Um einseitig seyn zu koͤnnen, muß man wenigstens eine Seite haben. Dieß ist gar nicht der Fall der Menschen, (die gleich aͤchten Rhapsoden nach Platos Karakteristik dieser Gattung) nur fuͤr Eins Sinn haben, nicht weil es ihr Alles, sondern weil es ihr Einziges ist, und immer dasselbe absingen. Jhr Geist ist nicht so wohl in enge Graͤnzen eingeschlossen; er hoͤrt vielmehr gleich auf, und wo er aufhoͤrt, geht unmittelbar der leere Raum an. Jhr ganzes Wesen ist wie ein Punkt, der aber doch die Aehnlichkeit mit dem Golde hat, das er sich zu einem unglaublich duͤnnen Plaͤttchen sehr weit auseinanderschlagen laͤßt. Warum fehlt in den modigen Verzeichnissen aller moͤglichen Grundsaͤtze der Moral immer das Ridicuͤle? Etwa weil dieses Prinzip nur in der Praxis allgemein gilt? Über das geringste Handwerk der Alten wird keiner zu urtheilen wagen, der es nicht versteht. Über die Poesie und Philosophie der Alten glaubt jeder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0278" n="89"/> <p>Wenn Nichts zuviel so viel bedeutet als Alles ein wenig: so ist Garve der groͤßte deutsche Philosoph.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Heraklit sagte, man lerne die Vernunft nicht durch Vielwisserey. Jetzt scheint es noͤthiger zu erinnern, daß man durch reine Vernunft allein noch nicht gelehrt werde.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Um einseitig seyn zu koͤnnen, muß man wenigstens eine Seite haben. Dieß ist gar nicht der Fall der Menschen, (die gleich aͤchten Rhapsoden nach Platos Karakteristik dieser Gattung) nur fuͤr Eins Sinn haben, nicht weil es ihr Alles, sondern weil es ihr Einziges ist, und immer dasselbe absingen. Jhr Geist ist nicht so wohl in enge Graͤnzen eingeschlossen; er hoͤrt vielmehr gleich auf, und wo er aufhoͤrt, geht unmittelbar der leere Raum an. Jhr ganzes Wesen ist wie ein Punkt, der aber doch die Aehnlichkeit mit dem Golde hat, das er sich zu einem unglaublich duͤnnen Plaͤttchen sehr weit auseinanderschlagen laͤßt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Warum fehlt in den modigen Verzeichnissen aller moͤglichen Grundsaͤtze der Moral immer das Ridicuͤle? Etwa weil dieses Prinzip nur in der Praxis allgemein gilt?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Über das geringste Handwerk der Alten wird keiner zu urtheilen wagen, der es nicht versteht. Über die Poesie und Philosophie der Alten glaubt jeder<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0278]
Wenn Nichts zuviel so viel bedeutet als Alles ein wenig: so ist Garve der groͤßte deutsche Philosoph.
Heraklit sagte, man lerne die Vernunft nicht durch Vielwisserey. Jetzt scheint es noͤthiger zu erinnern, daß man durch reine Vernunft allein noch nicht gelehrt werde.
Um einseitig seyn zu koͤnnen, muß man wenigstens eine Seite haben. Dieß ist gar nicht der Fall der Menschen, (die gleich aͤchten Rhapsoden nach Platos Karakteristik dieser Gattung) nur fuͤr Eins Sinn haben, nicht weil es ihr Alles, sondern weil es ihr Einziges ist, und immer dasselbe absingen. Jhr Geist ist nicht so wohl in enge Graͤnzen eingeschlossen; er hoͤrt vielmehr gleich auf, und wo er aufhoͤrt, geht unmittelbar der leere Raum an. Jhr ganzes Wesen ist wie ein Punkt, der aber doch die Aehnlichkeit mit dem Golde hat, das er sich zu einem unglaublich duͤnnen Plaͤttchen sehr weit auseinanderschlagen laͤßt.
Warum fehlt in den modigen Verzeichnissen aller moͤglichen Grundsaͤtze der Moral immer das Ridicuͤle? Etwa weil dieses Prinzip nur in der Praxis allgemein gilt?
Über das geringste Handwerk der Alten wird keiner zu urtheilen wagen, der es nicht versteht. Über die Poesie und Philosophie der Alten glaubt jeder
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |