Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.dem andern seine Verwandtschaft im zwanzigsten Grade vorrechnet, die dieser nicht anerkennen will. Engländer. Man möchte ihm antworten: ich will glauben, daß ihr mein Vetter seyd; aber ich weiß gewiß, daß ich eurer nicht bin. Grieche. Wir streiten zu lange über die Herkunft. Welcher Verständige giebt bey Menschen und Sprachen etwas darauf, wenn sie sich nicht durch Verdienst bewährt? Hatte eure Sprache gleiche Abstammung mit der unsrigen, desto schlimmer für euch, daß ihr nichts gefälligers aus ihr gemacht. Doch da sie in ihrer Kindheit einen mildern Himmel gewohnt war, so hat sie sich vermuthlich in den feuchten Wildnissen Germaniens erkältet, und seitdem eine heisere Stimme behalten. Römer. Die Verwandtschaft der Lateinischen Sprache mit der Griechischen war, denke ich, von ganz andrer Art. Und dennoch wäre sie bey den Jtaliäner. Da das Lateinische aus den ältesten Mundarten des Griechischen, das Jtaliänische aber aus der Vermischung von jenem mit dem Gothischen und Longobardischen entstanden ist, welches Deutsche Sprachen waren, so haben sich ja in uns die beyden Zweige der Familie wieder vereinigt. Franzose. Auch in uns die Franken mit den Lateinisch gewordenen Galliern. Wir hätten also sämtlich dem andern seine Verwandtschaft im zwanzigsten Grade vorrechnet, die dieser nicht anerkennen will. Englaͤnder. Man moͤchte ihm antworten: ich will glauben, daß ihr mein Vetter seyd; aber ich weiß gewiß, daß ich eurer nicht bin. Grieche. Wir streiten zu lange uͤber die Herkunft. Welcher Verstaͤndige giebt bey Menschen und Sprachen etwas darauf, wenn sie sich nicht durch Verdienst bewaͤhrt? Hatte eure Sprache gleiche Abstammung mit der unsrigen, desto schlimmer fuͤr euch, daß ihr nichts gefaͤlligers aus ihr gemacht. Doch da sie in ihrer Kindheit einen mildern Himmel gewohnt war, so hat sie sich vermuthlich in den feuchten Wildnissen Germaniens erkaͤltet, und seitdem eine heisere Stimme behalten. Roͤmer. Die Verwandtschaft der Lateinischen Sprache mit der Griechischen war, denke ich, von ganz andrer Art. Und dennoch waͤre sie bey den Jtaliaͤner. Da das Lateinische aus den aͤltesten Mundarten des Griechischen, das Jtaliaͤnische aber aus der Vermischung von jenem mit dem Gothischen und Longobardischen entstanden ist, welches Deutsche Sprachen waren, so haben sich ja in uns die beyden Zweige der Familie wieder vereinigt. Franzose. Auch in uns die Franken mit den Lateinisch gewordenen Galliern. Wir haͤtten also saͤmtlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0023" n="12"/> dem andern seine Verwandtschaft im zwanzigsten Grade vorrechnet, die dieser nicht anerkennen will.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Englaͤnder.</hi> Man moͤchte ihm antworten: ich will glauben, daß ihr mein Vetter seyd; aber ich weiß gewiß, daß ich eurer nicht bin.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche.</hi> Wir streiten zu lange uͤber die Herkunft. Welcher Verstaͤndige giebt bey Menschen und Sprachen etwas darauf, wenn sie sich nicht durch Verdienst bewaͤhrt? Hatte eure Sprache gleiche Abstammung mit der unsrigen, desto schlimmer fuͤr euch, daß ihr nichts gefaͤlligers aus ihr gemacht. Doch da sie in ihrer Kindheit einen mildern Himmel gewohnt war, so hat sie sich vermuthlich in den feuchten Wildnissen Germaniens erkaͤltet, und seitdem eine heisere Stimme behalten.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Roͤmer. </hi> Die Verwandtschaft der Lateinischen Sprache mit der Griechischen war, denke ich, von ganz andrer Art. Und dennoch waͤre sie bey den<lb/><hi rendition="#et">„Versen, welche vordem die Faunen und Priester gesungen,“</hi><lb/> geblieben, haͤtte die Siegerin nicht die Erziehung ihrer Überwundnen empfangen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Jtaliaͤner.</hi> Da das Lateinische aus den aͤltesten Mundarten des Griechischen, das Jtaliaͤnische aber aus der Vermischung von jenem mit dem Gothischen und Longobardischen entstanden ist, welches Deutsche Sprachen waren, so haben sich ja in uns die beyden Zweige der Familie wieder vereinigt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Franzose.</hi> Auch in uns die Franken mit den Lateinisch gewordenen Galliern. Wir haͤtten also saͤmtlich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [12/0023]
dem andern seine Verwandtschaft im zwanzigsten Grade vorrechnet, die dieser nicht anerkennen will.
Englaͤnder. Man moͤchte ihm antworten: ich will glauben, daß ihr mein Vetter seyd; aber ich weiß gewiß, daß ich eurer nicht bin.
Grieche. Wir streiten zu lange uͤber die Herkunft. Welcher Verstaͤndige giebt bey Menschen und Sprachen etwas darauf, wenn sie sich nicht durch Verdienst bewaͤhrt? Hatte eure Sprache gleiche Abstammung mit der unsrigen, desto schlimmer fuͤr euch, daß ihr nichts gefaͤlligers aus ihr gemacht. Doch da sie in ihrer Kindheit einen mildern Himmel gewohnt war, so hat sie sich vermuthlich in den feuchten Wildnissen Germaniens erkaͤltet, und seitdem eine heisere Stimme behalten.
Roͤmer. Die Verwandtschaft der Lateinischen Sprache mit der Griechischen war, denke ich, von ganz andrer Art. Und dennoch waͤre sie bey den
„Versen, welche vordem die Faunen und Priester gesungen,“
geblieben, haͤtte die Siegerin nicht die Erziehung ihrer Überwundnen empfangen.
Jtaliaͤner. Da das Lateinische aus den aͤltesten Mundarten des Griechischen, das Jtaliaͤnische aber aus der Vermischung von jenem mit dem Gothischen und Longobardischen entstanden ist, welches Deutsche Sprachen waren, so haben sich ja in uns die beyden Zweige der Familie wieder vereinigt.
Franzose. Auch in uns die Franken mit den Lateinisch gewordenen Galliern. Wir haͤtten also saͤmtlich
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