Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Es heißt, in Englischen und Deutschen Trauerspielen wären doch so viel Verstoße gegen den Geschmack. Die Französischen sind nur ein einziger großer Verstoß. Denn was kann geschmackwidriger seyn, als ganz außerhalb der Natur zu schreiben, und vorzustellen? Hemsterhuys vereinigt Plato's schöne Seherflüge mit dem strengen Ernst des Systematikers. Jacobi hat nicht dieses harmonische Ebenmaß der Geisteskräfte, aber desto freyer wirkende Tiefe und Gewalt; den Jnstinkt des Göttlichen haben sie mit einander gemein. Hemsterhuys Werke mögen intellektuelle Gedichte heißen. Jacobi bildete keine untadeligen vollendeten Antiken, er gab Bruchstücke voll Originalität, Adel, und Jnnigkeit. Vielleicht wirkt Hemsterhuys Schwärmerey mächtiger, weil sie sich immer in den Gränzen des Schönen ergießt; hingegen setzt sich die Vernunft sogleich in wehrbaren Stand, wenn sie die Leidenschaftlichkeit des gegen sie eindringenden Gefühls gewahr wird. Man kann Niemand zwingen, die Alten für klassisch zu halten, oder für alt; das hängt zuletzt von Maximen ab. Das goldne Zeitalter der römischen Litteratur war genialischer und der Poesie günstiger; das sogenannte silberne in der Prosa ungleich korrekter. Es heißt, in Englischen und Deutschen Trauerspielen waͤren doch so viel Verstoße gegen den Geschmack. Die Franzoͤsischen sind nur ein einziger großer Verstoß. Denn was kann geschmackwidriger seyn, als ganz außerhalb der Natur zu schreiben, und vorzustellen? Hemsterhuys vereinigt Plato's schoͤne Seherfluͤge mit dem strengen Ernst des Systematikers. Jacobi hat nicht dieses harmonische Ebenmaß der Geisteskraͤfte, aber desto freyer wirkende Tiefe und Gewalt; den Jnstinkt des Goͤttlichen haben sie mit einander gemein. Hemsterhuys Werke moͤgen intellektuelle Gedichte heißen. Jacobi bildete keine untadeligen vollendeten Antiken, er gab Bruchstuͤcke voll Originalitaͤt, Adel, und Jnnigkeit. Vielleicht wirkt Hemsterhuys Schwaͤrmerey maͤchtiger, weil sie sich immer in den Graͤnzen des Schoͤnen ergießt; hingegen setzt sich die Vernunft sogleich in wehrbaren Stand, wenn sie die Leidenschaftlichkeit des gegen sie eindringenden Gefuͤhls gewahr wird. Man kann Niemand zwingen, die Alten fuͤr klassisch zu halten, oder fuͤr alt; das haͤngt zuletzt von Maximen ab. Das goldne Zeitalter der roͤmischen Litteratur war genialischer und der Poesie guͤnstiger; das sogenannte silberne in der Prosa ungleich korrekter. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0226" n="37"/> <p>Es heißt, in Englischen und Deutschen Trauerspielen waͤren doch so viel Verstoße gegen den Geschmack. Die Franzoͤsischen sind nur ein einziger großer Verstoß. Denn was kann geschmackwidriger seyn, als ganz außerhalb der Natur zu schreiben, und vorzustellen?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Hemsterhuys vereinigt Plato's schoͤne Seherfluͤge mit dem strengen Ernst des Systematikers. Jacobi hat nicht dieses harmonische Ebenmaß der Geisteskraͤfte, aber desto freyer wirkende Tiefe und Gewalt; den Jnstinkt des Goͤttlichen haben sie mit einander gemein. Hemsterhuys Werke moͤgen intellektuelle Gedichte heißen. Jacobi bildete keine untadeligen vollendeten Antiken, er gab Bruchstuͤcke voll Originalitaͤt, Adel, und Jnnigkeit. Vielleicht wirkt Hemsterhuys Schwaͤrmerey maͤchtiger, weil sie sich immer in den Graͤnzen des Schoͤnen ergießt; hingegen setzt sich die Vernunft sogleich in wehrbaren Stand, wenn sie die Leidenschaftlichkeit des gegen sie eindringenden Gefuͤhls gewahr wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Man kann Niemand zwingen, die Alten fuͤr klassisch zu halten, oder fuͤr alt; das haͤngt zuletzt von Maximen ab.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Das goldne Zeitalter der roͤmischen Litteratur war genialischer und der Poesie guͤnstiger; das sogenannte silberne in der Prosa ungleich korrekter.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0226]
Es heißt, in Englischen und Deutschen Trauerspielen waͤren doch so viel Verstoße gegen den Geschmack. Die Franzoͤsischen sind nur ein einziger großer Verstoß. Denn was kann geschmackwidriger seyn, als ganz außerhalb der Natur zu schreiben, und vorzustellen?
Hemsterhuys vereinigt Plato's schoͤne Seherfluͤge mit dem strengen Ernst des Systematikers. Jacobi hat nicht dieses harmonische Ebenmaß der Geisteskraͤfte, aber desto freyer wirkende Tiefe und Gewalt; den Jnstinkt des Goͤttlichen haben sie mit einander gemein. Hemsterhuys Werke moͤgen intellektuelle Gedichte heißen. Jacobi bildete keine untadeligen vollendeten Antiken, er gab Bruchstuͤcke voll Originalitaͤt, Adel, und Jnnigkeit. Vielleicht wirkt Hemsterhuys Schwaͤrmerey maͤchtiger, weil sie sich immer in den Graͤnzen des Schoͤnen ergießt; hingegen setzt sich die Vernunft sogleich in wehrbaren Stand, wenn sie die Leidenschaftlichkeit des gegen sie eindringenden Gefuͤhls gewahr wird.
Man kann Niemand zwingen, die Alten fuͤr klassisch zu halten, oder fuͤr alt; das haͤngt zuletzt von Maximen ab.
Das goldne Zeitalter der roͤmischen Litteratur war genialischer und der Poesie guͤnstiger; das sogenannte silberne in der Prosa ungleich korrekter.
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