Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Massen von Gold oder Silber, und Fertigkeiten des Geistes, die so sicher und so vollendet sind, daß sie willkührlich werden, und so zufällig entstanden, daß sie angebohren scheinen können? Und doch fällt es in die Augen, daß man Talente nur hat, besitzt, wie Sachen, die doch ihren soliden Werth behalten, wenn sie gleich den Jnhaber selbst nicht adeln können. Genie kann man eigentlich nie haben, nur seyn. Auch giebt es keinen Pluralis von Genie, der hier schon im Singularis steckt. Genie ist nemlich ein System von Talenten. Den Witz achten sie darum so wenig, weil seine Äußerungen nicht lang, und nicht breit genug sind, denn ihre Empfindung ist nur eine dunkel vorgestellte Mathematik; und weil sie dabey lachen, welches gegen den Respekt wäre, wenn der Witz wahre Würde hätte. Der Witz ist wie einer, der nach der Regel repräsentiren sollte, und statt dessen bloß handelt. Eine Jdee, ist ein bis zur Jronie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken. Ein Jdeal ist zugleich Jdee und Faktum. Haben die Jdeale für den Denker nicht so viel Jndividualität wie die Götter des Alterthums für den Künstler, so ist alle Beschäftigung mit Jdeen nichts als ein langweiliges und mühsames Würfelspiel mit hohlen Formeln, oder ein nach Art der Chinesischen Bonzen, hinbrütendes Anschauen seiner eignen Nase. Massen von Gold oder Silber, und Fertigkeiten des Geistes, die so sicher und so vollendet sind, daß sie willkuͤhrlich werden, und so zufaͤllig entstanden, daß sie angebohren scheinen koͤnnen? Und doch faͤllt es in die Augen, daß man Talente nur hat, besitzt, wie Sachen, die doch ihren soliden Werth behalten, wenn sie gleich den Jnhaber selbst nicht adeln koͤnnen. Genie kann man eigentlich nie haben, nur seyn. Auch giebt es keinen Pluralis von Genie, der hier schon im Singularis steckt. Genie ist nemlich ein System von Talenten. Den Witz achten sie darum so wenig, weil seine Äußerungen nicht lang, und nicht breit genug sind, denn ihre Empfindung ist nur eine dunkel vorgestellte Mathematik; und weil sie dabey lachen, welches gegen den Respekt waͤre, wenn der Witz wahre Wuͤrde haͤtte. Der Witz ist wie einer, der nach der Regel repraͤsentiren sollte, und statt dessen bloß handelt. Eine Jdee, ist ein bis zur Jronie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken. Ein Jdeal ist zugleich Jdee und Faktum. Haben die Jdeale fuͤr den Denker nicht so viel Jndividualitaͤt wie die Goͤtter des Alterthums fuͤr den Kuͤnstler, so ist alle Beschaͤftigung mit Jdeen nichts als ein langweiliges und muͤhsames Wuͤrfelspiel mit hohlen Formeln, oder ein nach Art der Chinesischen Bonzen, hinbruͤtendes Anschauen seiner eignen Nase. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0220" n="31"/> Massen von Gold oder Silber, und Fertigkeiten des Geistes, die so sicher und so vollendet sind, daß sie willkuͤhrlich werden, und so zufaͤllig entstanden, daß sie angebohren scheinen koͤnnen? Und doch faͤllt es in die Augen, daß man Talente nur hat, besitzt, wie Sachen, die doch ihren soliden Werth behalten, wenn sie gleich den Jnhaber selbst nicht adeln koͤnnen. Genie kann man eigentlich nie haben, nur seyn. Auch giebt es keinen Pluralis von Genie, der hier schon im Singularis steckt. Genie ist nemlich ein System von Talenten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Den Witz achten sie darum so wenig, weil seine Äußerungen nicht lang, und nicht breit genug sind, denn ihre Empfindung ist nur eine dunkel vorgestellte Mathematik; und weil sie dabey lachen, welches gegen den Respekt waͤre, wenn der Witz wahre Wuͤrde haͤtte. Der Witz ist wie einer, der nach der Regel repraͤsentiren sollte, und statt dessen bloß handelt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Eine Jdee, ist ein bis zur Jronie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken. Ein Jdeal ist zugleich Jdee und Faktum. Haben die Jdeale fuͤr den Denker nicht so viel Jndividualitaͤt wie die Goͤtter des Alterthums fuͤr den Kuͤnstler, so ist alle Beschaͤftigung mit Jdeen nichts als ein langweiliges und muͤhsames Wuͤrfelspiel mit hohlen Formeln, oder ein nach Art der Chinesischen Bonzen, hinbruͤtendes Anschauen seiner eignen Nase.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0220]
Massen von Gold oder Silber, und Fertigkeiten des Geistes, die so sicher und so vollendet sind, daß sie willkuͤhrlich werden, und so zufaͤllig entstanden, daß sie angebohren scheinen koͤnnen? Und doch faͤllt es in die Augen, daß man Talente nur hat, besitzt, wie Sachen, die doch ihren soliden Werth behalten, wenn sie gleich den Jnhaber selbst nicht adeln koͤnnen. Genie kann man eigentlich nie haben, nur seyn. Auch giebt es keinen Pluralis von Genie, der hier schon im Singularis steckt. Genie ist nemlich ein System von Talenten.
Den Witz achten sie darum so wenig, weil seine Äußerungen nicht lang, und nicht breit genug sind, denn ihre Empfindung ist nur eine dunkel vorgestellte Mathematik; und weil sie dabey lachen, welches gegen den Respekt waͤre, wenn der Witz wahre Wuͤrde haͤtte. Der Witz ist wie einer, der nach der Regel repraͤsentiren sollte, und statt dessen bloß handelt.
Eine Jdee, ist ein bis zur Jronie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken. Ein Jdeal ist zugleich Jdee und Faktum. Haben die Jdeale fuͤr den Denker nicht so viel Jndividualitaͤt wie die Goͤtter des Alterthums fuͤr den Kuͤnstler, so ist alle Beschaͤftigung mit Jdeen nichts als ein langweiliges und muͤhsames Wuͤrfelspiel mit hohlen Formeln, oder ein nach Art der Chinesischen Bonzen, hinbruͤtendes Anschauen seiner eignen Nase.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/220>, abgerufen am 28.07.2024. |