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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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nur darauf an, die Sachen so zu haben, als ob man sie nicht hätte. Noch künstlicher und noch cynischer ists aber, die Sachen so nicht zu haben, als ob man sie hätte.



Niemand beurtheilt eine Dekorazionsmahlerey und ein Altarblatt, eine Operette und eine Kirchenmusik, eine Predigt und eine philosophische Abhandlung nach demselben Maßstabe. Warum macht man also an die rhetorische Poesie, welche nur auf der Bühne existirt, Foderungen, die nur durch höhere dramatische Kunst erfüllt werden können?



Manche witzige Einfälle sind wie das überraschende Wiedersehen zwey befreundeter Gedanken nach einer langen Trennung.



Die Geduld, sagte S., verhält sich zu Chamforts etat d'epigramme wie die Religion zur Philosophie.



Die meisten Gedanken sind nur Profile von Gedanken. Diese muß man umkehren, und mit ihren Antipoden synthesiren. Viele philosophische Schriften, die es sonst nicht haben würden, erhalten dadurch ein großes Jnteresse.



Noten zu einem Gedicht, sind wie anatomische Vorlesungen über einen Braten.



nur darauf an, die Sachen so zu haben, als ob man sie nicht haͤtte. Noch kuͤnstlicher und noch cynischer ists aber, die Sachen so nicht zu haben, als ob man sie haͤtte.



Niemand beurtheilt eine Dekorazionsmahlerey und ein Altarblatt, eine Operette und eine Kirchenmusik, eine Predigt und eine philosophische Abhandlung nach demselben Maßstabe. Warum macht man also an die rhetorische Poesie, welche nur auf der Buͤhne existirt, Foderungen, die nur durch hoͤhere dramatische Kunst erfuͤllt werden koͤnnen?



Manche witzige Einfaͤlle sind wie das uͤberraschende Wiedersehen zwey befreundeter Gedanken nach einer langen Trennung.



Die Geduld, sagte S., verhaͤlt sich zu Chamforts état d'epigramme wie die Religion zur Philosophie.



Die meisten Gedanken sind nur Profile von Gedanken. Diese muß man umkehren, und mit ihren Antipoden synthesiren. Viele philosophische Schriften, die es sonst nicht haben wuͤrden, erhalten dadurch ein großes Jnteresse.



Noten zu einem Gedicht, sind wie anatomische Vorlesungen uͤber einen Braten.



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[12/0201] nur darauf an, die Sachen so zu haben, als ob man sie nicht haͤtte. Noch kuͤnstlicher und noch cynischer ists aber, die Sachen so nicht zu haben, als ob man sie haͤtte. Niemand beurtheilt eine Dekorazionsmahlerey und ein Altarblatt, eine Operette und eine Kirchenmusik, eine Predigt und eine philosophische Abhandlung nach demselben Maßstabe. Warum macht man also an die rhetorische Poesie, welche nur auf der Buͤhne existirt, Foderungen, die nur durch hoͤhere dramatische Kunst erfuͤllt werden koͤnnen? Manche witzige Einfaͤlle sind wie das uͤberraschende Wiedersehen zwey befreundeter Gedanken nach einer langen Trennung. Die Geduld, sagte S., verhaͤlt sich zu Chamforts état d'epigramme wie die Religion zur Philosophie. Die meisten Gedanken sind nur Profile von Gedanken. Diese muß man umkehren, und mit ihren Antipoden synthesiren. Viele philosophische Schriften, die es sonst nicht haben wuͤrden, erhalten dadurch ein großes Jnteresse. Noten zu einem Gedicht, sind wie anatomische Vorlesungen uͤber einen Braten.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/201>, abgerufen am 22.11.2024.