Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Da die Natur der Elegie so historisch, und da Goethe dem Propertius so ähnlich ist, scheint es beynah überflüßig, vor dem irrigen Sprachgebrauch der Neuern, und den damit verknüpften Vorurtheilen, wie vor allen nicht geschichtlichen Begriffen von der Elegie zu warnen. Jener Sprachgebrauch scheint das Wesen der Elegie in klagende Empfindsamkeit zu setzen, welche in dem großen Gebiet der alten nur eine sehr kleine Stelle einnimmt. Zwar redet auch im Mimnermos und Solon eine schöne Trauer über die Nichtigkeit des flüchtigen Lebens; und zur Zeit des Simonides, Pindaros, Euripides und Antimachos verstand man unter Elegie oft vorzugsweise Klaggesänge, besonders über verstorbene Geliebte. Aber wie vieles umfaßte nicht selbst die alte und mittlere Elegie der Griechen, was außerhalb der Gränzen jenes Begriffs liegt? Schlachtgesänge voll befehlender Würde und geflügelter Kraft, wie die von Kallinos und Tyrtaeos, sinnreiche Bemerkungen und Einfälle über die Natur sittlicher und über die sittlichen Verhältnisse natürlicher Dinge, wie die von Theognis und viele von Solon und Mimnermos. Und die Muse der spätern Elegie, welche die sonst das Aeltere gern vorziehenden Griechen am höchsten schätzten, und die Römer mit Bewunderung nachbildeten, ist die befriedigte Sehnsucht, die glückliche Liebe (voti sententia compos). Sie ist ganz der Anmuth geweiht, und der Leidenschaft. Nachläßig und reizbar wie sie ist, liebt sie erotische Tändeleyen und verirrt auch wohl in priapejische Gemählde. Da die Natur der Elegie so historisch, und da Goethe dem Propertius so aͤhnlich ist, scheint es beynah uͤberfluͤßig, vor dem irrigen Sprachgebrauch der Neuern, und den damit verknuͤpften Vorurtheilen, wie vor allen nicht geschichtlichen Begriffen von der Elegie zu warnen. Jener Sprachgebrauch scheint das Wesen der Elegie in klagende Empfindsamkeit zu setzen, welche in dem großen Gebiet der alten nur eine sehr kleine Stelle einnimmt. Zwar redet auch im Mimnermos und Solon eine schoͤne Trauer uͤber die Nichtigkeit des fluͤchtigen Lebens; und zur Zeit des Simonides, Pindaros, Euripides und Antimachos verstand man unter Elegie oft vorzugsweise Klaggesaͤnge, besonders uͤber verstorbene Geliebte. Aber wie vieles umfaßte nicht selbst die alte und mittlere Elegie der Griechen, was außerhalb der Graͤnzen jenes Begriffs liegt? Schlachtgesaͤnge voll befehlender Wuͤrde und gefluͤgelter Kraft, wie die von Kallinos und Tyrtaeos, sinnreiche Bemerkungen und Einfaͤlle uͤber die Natur sittlicher und uͤber die sittlichen Verhaͤltnisse natuͤrlicher Dinge, wie die von Theognis und viele von Solon und Mimnermos. Und die Muse der spaͤtern Elegie, welche die sonst das Aeltere gern vorziehenden Griechen am hoͤchsten schaͤtzten, und die Roͤmer mit Bewunderung nachbildeten, ist die befriedigte Sehnsucht, die gluͤckliche Liebe (voti sententia compos). Sie ist ganz der Anmuth geweiht, und der Leidenschaft. Nachlaͤßig und reizbar wie sie ist, liebt sie erotische Taͤndeleyen und verirrt auch wohl in priapejische Gemaͤhlde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0121" n="110"/> <p>Da die Natur der Elegie so historisch, und da Goethe dem Propertius so aͤhnlich ist, scheint es beynah uͤberfluͤßig, vor dem irrigen Sprachgebrauch der Neuern, und den damit verknuͤpften Vorurtheilen, wie vor allen nicht geschichtlichen Begriffen von der Elegie zu warnen. Jener Sprachgebrauch scheint das Wesen der Elegie in klagende Empfindsamkeit zu setzen, welche in dem großen Gebiet der alten nur eine sehr kleine Stelle einnimmt. Zwar redet auch im Mimnermos und Solon eine schoͤne Trauer uͤber die Nichtigkeit des fluͤchtigen Lebens; und zur Zeit des Simonides, Pindaros, Euripides und Antimachos verstand man unter Elegie oft vorzugsweise Klaggesaͤnge, besonders uͤber verstorbene Geliebte. Aber wie vieles umfaßte nicht selbst die alte und mittlere Elegie der Griechen, was außerhalb der Graͤnzen jenes Begriffs liegt? Schlachtgesaͤnge voll befehlender Wuͤrde und gefluͤgelter Kraft, wie die von Kallinos und Tyrtaeos, sinnreiche Bemerkungen und Einfaͤlle uͤber die Natur sittlicher und uͤber die sittlichen Verhaͤltnisse natuͤrlicher Dinge, wie die von Theognis und viele von Solon und Mimnermos. Und die Muse der spaͤtern Elegie, welche die sonst das Aeltere gern vorziehenden Griechen am hoͤchsten schaͤtzten, und die Roͤmer mit Bewunderung nachbildeten, ist die befriedigte Sehnsucht, die gluͤckliche Liebe (<foreign xml:lang="la">voti sententia compos</foreign>). Sie ist ganz der Anmuth geweiht, und der Leidenschaft. Nachlaͤßig und reizbar wie sie ist, liebt sie erotische Taͤndeleyen und verirrt auch wohl in priapejische Gemaͤhlde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0121]
Da die Natur der Elegie so historisch, und da Goethe dem Propertius so aͤhnlich ist, scheint es beynah uͤberfluͤßig, vor dem irrigen Sprachgebrauch der Neuern, und den damit verknuͤpften Vorurtheilen, wie vor allen nicht geschichtlichen Begriffen von der Elegie zu warnen. Jener Sprachgebrauch scheint das Wesen der Elegie in klagende Empfindsamkeit zu setzen, welche in dem großen Gebiet der alten nur eine sehr kleine Stelle einnimmt. Zwar redet auch im Mimnermos und Solon eine schoͤne Trauer uͤber die Nichtigkeit des fluͤchtigen Lebens; und zur Zeit des Simonides, Pindaros, Euripides und Antimachos verstand man unter Elegie oft vorzugsweise Klaggesaͤnge, besonders uͤber verstorbene Geliebte. Aber wie vieles umfaßte nicht selbst die alte und mittlere Elegie der Griechen, was außerhalb der Graͤnzen jenes Begriffs liegt? Schlachtgesaͤnge voll befehlender Wuͤrde und gefluͤgelter Kraft, wie die von Kallinos und Tyrtaeos, sinnreiche Bemerkungen und Einfaͤlle uͤber die Natur sittlicher und uͤber die sittlichen Verhaͤltnisse natuͤrlicher Dinge, wie die von Theognis und viele von Solon und Mimnermos. Und die Muse der spaͤtern Elegie, welche die sonst das Aeltere gern vorziehenden Griechen am hoͤchsten schaͤtzten, und die Roͤmer mit Bewunderung nachbildeten, ist die befriedigte Sehnsucht, die gluͤckliche Liebe (voti sententia compos). Sie ist ganz der Anmuth geweiht, und der Leidenschaft. Nachlaͤßig und reizbar wie sie ist, liebt sie erotische Taͤndeleyen und verirrt auch wohl in priapejische Gemaͤhlde.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/121>, abgerufen am 16.02.2025. |