Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Unsere Sprache ist entweder mechanisch, atomistisch, oder dynamisch. Die ächt poetische Sprache soll aber organisch, lebendig seyn. Wie oft fühlt man die Armuth an Worten, um mehre Jdeen mit Einem Schlage zu treffen. Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spätere Zeiten haben sie getrennt. Der ächte Dichter ist aber immer Priester, so wie der ächte Priester immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den alten Zustand der Dinge wieder herbeyführen? Schriften sind die Gedanken des Staats, die Archive sein Gedächtniß. Je mehr sich unsere Sinne verfeinern, desto fähiger werden sie zur Unterscheidung der Jndividuen. Der höchste Sinn wäre die höchste Empfänglichkeit für eigenthümliche Natur. Jhm entspräche das Talent der Fixirung des Jndividuums, dessen Fertigkeit und Energie relativ ist. Wenn der Wille sich in Beziehung auf diesen Sinn äußert, so entstehn die Leidenschaften für oder gegen Jndividualitäten: Liebe und Haß. Die Meisterschaft im Spiel seiner eignen Rolle verdankt man der Richtung dieses Sinns auf sich selbst bey herrschender Vernunft. Nichts ist zur wahren Religiosität unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet. Unsere Sprache ist entweder mechanisch, atomistisch, oder dynamisch. Die aͤcht poetische Sprache soll aber organisch, lebendig seyn. Wie oft fuͤhlt man die Armuth an Worten, um mehre Jdeen mit Einem Schlage zu treffen. Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spaͤtere Zeiten haben sie getrennt. Der aͤchte Dichter ist aber immer Priester, so wie der aͤchte Priester immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den alten Zustand der Dinge wieder herbeyfuͤhren? Schriften sind die Gedanken des Staats, die Archive sein Gedaͤchtniß. Je mehr sich unsere Sinne verfeinern, desto faͤhiger werden sie zur Unterscheidung der Jndividuen. Der hoͤchste Sinn waͤre die hoͤchste Empfaͤnglichkeit fuͤr eigenthuͤmliche Natur. Jhm entspraͤche das Talent der Fixirung des Jndividuums, dessen Fertigkeit und Energie relativ ist. Wenn der Wille sich in Beziehung auf diesen Sinn aͤußert, so entstehn die Leidenschaften fuͤr oder gegen Jndividualitaͤten: Liebe und Haß. Die Meisterschaft im Spiel seiner eignen Rolle verdankt man der Richtung dieses Sinns auf sich selbst bey herrschender Vernunft. Nichts ist zur wahren Religiositaͤt unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0101" n="90"/> <p>Unsere Sprache ist entweder mechanisch, atomistisch, oder dynamisch. Die aͤcht poetische Sprache soll aber organisch, lebendig seyn. Wie oft fuͤhlt man die Armuth an Worten, um mehre Jdeen mit Einem Schlage zu treffen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spaͤtere Zeiten haben sie getrennt. Der aͤchte Dichter ist aber immer Priester, so wie der aͤchte Priester immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den alten Zustand der Dinge wieder herbeyfuͤhren?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Schriften sind die Gedanken des Staats, die Archive sein Gedaͤchtniß.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Je mehr sich unsere Sinne verfeinern, desto faͤhiger werden sie zur Unterscheidung der Jndividuen. Der hoͤchste Sinn waͤre die hoͤchste Empfaͤnglichkeit fuͤr eigenthuͤmliche Natur. Jhm entspraͤche das Talent der Fixirung des Jndividuums, dessen Fertigkeit und Energie relativ ist. Wenn der Wille sich in Beziehung auf diesen Sinn aͤußert, so entstehn die Leidenschaften fuͤr oder gegen Jndividualitaͤten: Liebe und Haß. Die Meisterschaft im Spiel seiner eignen Rolle verdankt man der Richtung dieses Sinns auf sich selbst bey herrschender Vernunft.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Nichts ist zur wahren Religiositaͤt unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0101]
Unsere Sprache ist entweder mechanisch, atomistisch, oder dynamisch. Die aͤcht poetische Sprache soll aber organisch, lebendig seyn. Wie oft fuͤhlt man die Armuth an Worten, um mehre Jdeen mit Einem Schlage zu treffen.
Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spaͤtere Zeiten haben sie getrennt. Der aͤchte Dichter ist aber immer Priester, so wie der aͤchte Priester immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den alten Zustand der Dinge wieder herbeyfuͤhren?
Schriften sind die Gedanken des Staats, die Archive sein Gedaͤchtniß.
Je mehr sich unsere Sinne verfeinern, desto faͤhiger werden sie zur Unterscheidung der Jndividuen. Der hoͤchste Sinn waͤre die hoͤchste Empfaͤnglichkeit fuͤr eigenthuͤmliche Natur. Jhm entspraͤche das Talent der Fixirung des Jndividuums, dessen Fertigkeit und Energie relativ ist. Wenn der Wille sich in Beziehung auf diesen Sinn aͤußert, so entstehn die Leidenschaften fuͤr oder gegen Jndividualitaͤten: Liebe und Haß. Die Meisterschaft im Spiel seiner eignen Rolle verdankt man der Richtung dieses Sinns auf sich selbst bey herrschender Vernunft.
Nichts ist zur wahren Religiositaͤt unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/101>, abgerufen am 16.02.2025. |