Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell. Tübingen, 1804.
Rastlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen, Dann erst genieß ich meines Lebens recht, Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute. Hedwig Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht, Die sich indessen, deiner wartend, härmt, Denn mich erfüllts mit Grausen, was die Knechte Von euren Wagefahrten sich erzählen. Bei jedem Abschied zittert mir das Herz, Daß du mir nimmer werdest wiederkehren. Ich sehe dich im wilden Eisgebirg, Verirrt, von einer Klippe zu der andern Den Fehlsprung thun, seh wie die Gemse dich Rückspringend mit sich in den Abgrund reißt, Wie eine Windlawine dich verschüttet, Wie unter die der trügerische Firn Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig Begrabner, in die schauerliche Gruft -- Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,
Raſtlos muß ich ein fluͤchtig Ziel verfolgen, Dann erſt genieß ich meines Lebens recht, Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute. Hedwig Und an die Angſt der Hausfrau denkſt du nicht, Die ſich indeſſen, deiner wartend, haͤrmt, Denn mich erfuͤllts mit Grauſen, was die Knechte Von euren Wagefahrten ſich erzaͤhlen. Bei jedem Abſchied zittert mir das Herz, Daß du mir nimmer werdeſt wiederkehren. Ich ſehe dich im wilden Eisgebirg, Verirrt, von einer Klippe zu der andern Den Fehlſprung thun, ſeh wie die Gemſe dich Ruͤckſpringend mit ſich in den Abgrund reißt, Wie eine Windlawine dich verſchuͤttet, Wie unter die der truͤgeriſche Firn Einbricht und du hinabſinkſt, ein lebendig Begrabner, in die ſchauerliche Gruft — Ach, den verwegnen Alpenjaͤger haſcht Der Tod in hundert wechſelnden Geſtalten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#TEL"> <p><pb facs="#f0119" n="105"/> Raſtlos muß ich ein fluͤchtig Ziel verfolgen,<lb/> Dann erſt genieß ich meines Lebens recht,<lb/> Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute.</p><lb/> </sp> <sp who="#HED"> <speaker> <hi rendition="#g">Hedwig</hi> </speaker><lb/> <p>Und an die Angſt der Hausfrau denkſt du nicht,<lb/> Die ſich indeſſen, deiner wartend, haͤrmt,<lb/> Denn mich erfuͤllts mit Grauſen, was die Knechte<lb/> Von euren Wagefahrten ſich erzaͤhlen.<lb/> Bei jedem Abſchied zittert mir das Herz,<lb/> Daß du mir nimmer werdeſt wiederkehren.<lb/> Ich ſehe dich im wilden Eisgebirg,<lb/> Verirrt, von einer Klippe zu der andern<lb/> Den Fehlſprung thun, ſeh wie die Gemſe dich<lb/> Ruͤckſpringend mit ſich in den Abgrund reißt,<lb/> Wie eine Windlawine dich verſchuͤttet,<lb/> Wie unter die der truͤgeriſche Firn<lb/> Einbricht und du hinabſinkſt, ein lebendig<lb/> Begrabner, in die ſchauerliche Gruft —<lb/> Ach, den verwegnen Alpenjaͤger haſcht<lb/> Der Tod in hundert wechſelnden Geſtalten,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0119]
Raſtlos muß ich ein fluͤchtig Ziel verfolgen,
Dann erſt genieß ich meines Lebens recht,
Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute.
Hedwig
Und an die Angſt der Hausfrau denkſt du nicht,
Die ſich indeſſen, deiner wartend, haͤrmt,
Denn mich erfuͤllts mit Grauſen, was die Knechte
Von euren Wagefahrten ſich erzaͤhlen.
Bei jedem Abſchied zittert mir das Herz,
Daß du mir nimmer werdeſt wiederkehren.
Ich ſehe dich im wilden Eisgebirg,
Verirrt, von einer Klippe zu der andern
Den Fehlſprung thun, ſeh wie die Gemſe dich
Ruͤckſpringend mit ſich in den Abgrund reißt,
Wie eine Windlawine dich verſchuͤttet,
Wie unter die der truͤgeriſche Firn
Einbricht und du hinabſinkſt, ein lebendig
Begrabner, in die ſchauerliche Gruft —
Ach, den verwegnen Alpenjaͤger haſcht
Der Tod in hundert wechſelnden Geſtalten,
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell. Tübingen, 1804, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_tell_1804/119>, abgerufen am 25.07.2024. |