Schiller, [Friedrich]: Maria Stuart. Tübingen u. a., 1801. Burleigh. O! auch die heilige Gerechtigkeit Entflieht dem Tadel nicht. Die Meinung hält es Mit dem Unglücklichen, es wird der Neid Stets den obsiegend glücklichen verfolgen. Das Richterschwerdt, womit der Mann sich ziert, Verhaßt ist's in der Frauen Hand. Die Welt Glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes, Sobald ein Weib das Opfer wird. Umsonst, Daß wir, die Richter, nach Gewissen sprachen! Sie hat der Gnade königliches Recht. Sie muß es brauchen, unerträglich ist's, Wenn sie den strengen Lauf läßt dem Gesetze! Paulet. Und also -- Burleigh (rasch einfallend). Also soll sie leben? Nein! Sie darf nicht leben! Nimmermehr! Dieß, eben Dieß ist's, was unsre Königin beängstigt -- Warum der Schlaf ihr Lager flieht -- Ich lese In ihren Augen ihrer Seele Kampf, Ihr Mund wagt ihre Wünsche nicht zu sprechen, Doch vielbedeutend fragt ihr stummer Blick: Ist unter allen meinen Dienern keiner, Der die verhaßte Wahl mir spart, in ew'ger Furcht Burleigh. O! auch die heilige Gerechtigkeit Entflieht dem Tadel nicht. Die Meinung haͤlt es Mit dem Ungluͤcklichen, es wird der Neid Stets den obſiegend gluͤcklichen verfolgen. Das Richterſchwerdt, womit der Mann ſich ziert, Verhaßt iſt's in der Frauen Hand. Die Welt Glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes, Sobald ein Weib das Opfer wird. Umſonſt, Daß wir, die Richter, nach Gewiſſen ſprachen! Sie hat der Gnade koͤnigliches Recht. Sie muß es brauchen, unertraͤglich iſt's, Wenn ſie den ſtrengen Lauf laͤßt dem Geſetze! Paulet. Und alſo — Burleigh (raſch einfallend). Alſo ſoll ſie leben? Nein! Sie darf nicht leben! Nimmermehr! Dieß, eben Dieß iſt's, was unſre Koͤnigin beaͤngſtigt — Warum der Schlaf ihr Lager flieht — Ich leſe In ihren Augen ihrer Seele Kampf, Ihr Mund wagt ihre Wuͤnſche nicht zu ſprechen, Doch vielbedeutend fragt ihr ſtummer Blick: Iſt unter allen meinen Dienern keiner, Der die verhaßte Wahl mir ſpart, in ew'ger Furcht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0064" n="58"/> <sp who="#BURL"> <speaker><hi rendition="#g">Burleigh</hi>.</speaker><lb/> <p>O! auch die heilige Gerechtigkeit<lb/> Entflieht dem Tadel nicht. Die Meinung haͤlt es<lb/> Mit dem Ungluͤcklichen, es wird der Neid<lb/> Stets den obſiegend gluͤcklichen verfolgen.<lb/> Das Richterſchwerdt, womit der Mann ſich ziert,<lb/> Verhaßt iſt's in der Frauen Hand. Die Welt<lb/> Glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes,<lb/> Sobald ein Weib das Opfer wird. Umſonſt,<lb/> Daß wir, die Richter, nach Gewiſſen ſprachen!<lb/> Sie hat der Gnade koͤnigliches Recht.<lb/> Sie muß es brauchen, unertraͤglich iſt's,<lb/> Wenn ſie den ſtrengen Lauf laͤßt dem Geſetze!</p><lb/> </sp> <sp who="#PAU"> <speaker><hi rendition="#g">Paulet</hi>.</speaker><lb/> <p>Und alſo —</p><lb/> </sp> <sp who="#BURL"> <speaker> <hi rendition="#g">Burleigh</hi> </speaker> <stage>(raſch einfallend).</stage><lb/> <p>Alſo ſoll ſie leben? Nein!<lb/> Sie darf nicht leben! Nimmermehr! Dieß, eben<lb/> Dieß iſt's, was unſre Koͤnigin beaͤngſtigt —<lb/> Warum der Schlaf ihr Lager flieht — Ich leſe<lb/> In ihren Augen ihrer Seele Kampf,<lb/> Ihr Mund wagt ihre Wuͤnſche nicht zu ſprechen,<lb/> Doch vielbedeutend fragt ihr ſtummer Blick:<lb/> Iſt unter allen meinen Dienern keiner,<lb/> Der die verhaßte Wahl mir ſpart, in ew'ger Furcht<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0064]
Burleigh.
O! auch die heilige Gerechtigkeit
Entflieht dem Tadel nicht. Die Meinung haͤlt es
Mit dem Ungluͤcklichen, es wird der Neid
Stets den obſiegend gluͤcklichen verfolgen.
Das Richterſchwerdt, womit der Mann ſich ziert,
Verhaßt iſt's in der Frauen Hand. Die Welt
Glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes,
Sobald ein Weib das Opfer wird. Umſonſt,
Daß wir, die Richter, nach Gewiſſen ſprachen!
Sie hat der Gnade koͤnigliches Recht.
Sie muß es brauchen, unertraͤglich iſt's,
Wenn ſie den ſtrengen Lauf laͤßt dem Geſetze!
Paulet.
Und alſo —
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Alſo ſoll ſie leben? Nein!
Sie darf nicht leben! Nimmermehr! Dieß, eben
Dieß iſt's, was unſre Koͤnigin beaͤngſtigt —
Warum der Schlaf ihr Lager flieht — Ich leſe
In ihren Augen ihrer Seele Kampf,
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Zitationshilfe: | Schiller, [Friedrich]: Maria Stuart. Tübingen u. a., 1801, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_stuart_1801/64>, abgerufen am 25.07.2024. |