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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
se seinen Geist auskeuchte, die Schaam schien ihr
scheues Auge vor ihm zuzublinzen -- du ruftest
Wehe über ihn aus. Ruf dis Bild noch einmal
ganz in deine Seele zurück, und Karl steht vor
dir! -- Seine Küsse sind Pest, seine Lippen ver-
giften die deinen!
Amalia schlägt ihn. Schaamloser Lästerer!
Franz. Graut dir vor diesem Karl? Eckelt dir
schon von dem matten Gemälde? Geh, gaff ihn
selbst an, deinen schönen, englischen göttlichen
Karl! Geh, sauge seinen balsamischen Athem ein,
und laß dich von den Ambrosia-Düften begraben,
die aus seinem Rachen dampfen! der blose Hauch
seines Mundes wird dich in jenen schwarzen tod-
ähnlichen Schwindel hauchen, der den Geruch ei-
nes berstenden Aaases und den A#blick eines Lei-
chenvollen Wahlplatzes begleitet.
Amalia we#det ihr Gesicht ab.
Franz. Welches Aufwallen der Liebe! Welche
Wollust in der Umarmung -- aber ist es nicht
ungerecht einen Menschen um seiner siechen Aus-
senseite willen zu verdammen? Auch im elendesten
Aesopischen Krüppel kann eine grose liebenswürdi-
ge Seele, wie ein Rubin aus dem Schlamme
glänzen, boshaft kächelnd. Auch aus blattrichten Lip-
pen kann ja die Liebe --

Freylich, wenn das Laster auch die Festen des
Karakters erschüttert, wenn mit der Keuschheit auch
die
ein Schauſpiel.
ſe ſeinen Geiſt auskeuchte, die Schaam ſchien ihr
ſcheues Auge vor ihm zuzublinzen — du rufteſt
Wehe uͤber ihn aus. Ruf dis Bild noch einmal
ganz in deine Seele zuruͤck, und Karl ſteht vor
dir! — Seine Kuͤſſe ſind Peſt, ſeine Lippen ver-
giften die deinen!
Amalia ſchlaͤgt ihn. Schaamloſer Laͤſterer!
Franz. Graut dir vor dieſem Karl? Eckelt dir
ſchon von dem matten Gemaͤlde? Geh, gaff ihn
ſelbſt an, deinen ſchoͤnen, engliſchen goͤttlichen
Karl! Geh, ſauge ſeinen balſamiſchen Athem ein,
und laß dich von den Ambroſia-Duͤften begraben,
die aus ſeinem Rachen dampfen! der bloſe Hauch
ſeines Mundes wird dich in jenen ſchwarzen tod-
aͤhnlichen Schwindel hauchen, der den Geruch ei-
nes berſtenden Aaaſes und den A#blick eines Lei-
chenvollen Wahlplatzes begleitet.
Amalia we#det ihr Geſicht ab.
Franz. Welches Aufwallen der Liebe! Welche
Wolluſt in der Umarmung — aber iſt es nicht
ungerecht einen Menſchen um ſeiner ſiechen Auſ-
ſenſeite willen zu verdammen? Auch im elendeſten
Aeſopiſchen Kruͤppel kann eine groſe liebenswuͤrdi-
ge Seele, wie ein Rubin aus dem Schlamme
glaͤnzen, boshaft kaͤchelnd. Auch aus blattrichten Lip-
pen kann ja die Liebe —

Freylich, wenn das Laſter auch die Feſten des
Karakters erſchuͤttert, wenn mit der Keuſchheit auch
die
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[47/0069] ein Schauſpiel. ſe ſeinen Geiſt auskeuchte, die Schaam ſchien ihr ſcheues Auge vor ihm zuzublinzen — du rufteſt Wehe uͤber ihn aus. Ruf dis Bild noch einmal ganz in deine Seele zuruͤck, und Karl ſteht vor dir! — Seine Kuͤſſe ſind Peſt, ſeine Lippen ver- giften die deinen! Amalia ſchlaͤgt ihn. Schaamloſer Laͤſterer! Franz. Graut dir vor dieſem Karl? Eckelt dir ſchon von dem matten Gemaͤlde? Geh, gaff ihn ſelbſt an, deinen ſchoͤnen, engliſchen goͤttlichen Karl! Geh, ſauge ſeinen balſamiſchen Athem ein, und laß dich von den Ambroſia-Duͤften begraben, die aus ſeinem Rachen dampfen! der bloſe Hauch ſeines Mundes wird dich in jenen ſchwarzen tod- aͤhnlichen Schwindel hauchen, der den Geruch ei- nes berſtenden Aaaſes und den A#blick eines Lei- chenvollen Wahlplatzes begleitet. Amalia we#det ihr Geſicht ab. Franz. Welches Aufwallen der Liebe! Welche Wolluſt in der Umarmung — aber iſt es nicht ungerecht einen Menſchen um ſeiner ſiechen Auſ- ſenſeite willen zu verdammen? Auch im elendeſten Aeſopiſchen Kruͤppel kann eine groſe liebenswuͤrdi- ge Seele, wie ein Rubin aus dem Schlamme glaͤnzen, boshaft kaͤchelnd. Auch aus blattrichten Lip- pen kann ja die Liebe — Freylich, wenn das Laſter auch die Feſten des Karakters erſchuͤttert, wenn mit der Keuſchheit auch die

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/69>, abgerufen am 26.11.2024.