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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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Die Räuber,
Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich
macht; diese Offenheit die seine Seele auf dem
Auge spiegelt, diese Weichheit des Gefühls, die
ihn bey jedem Leiden in weinende Sympathie da-
hinschmelzt, dieser männlichen Muth der ihn auf
den Wipfel hundertjähriger Eichen treibet, und über
Gräben und Pallisaden und reißende Flüße jagt,
dieser kindiche Ehrgeitz, dieser unüberwindliche
Starrsinn, und alle diese schöne glänzende Tugen-
den, die im Vatersöhnchen keimten, werden ihn
dereinst zu einem warmen Freund eines Freundes,
zu einem treflichen Bürger, zu einem Helden,
zu einem großen großen Manne machen -- seht
ihrs nun Vater! -- der feurige Geist hat sich ent-
wickelt, ausgebreitet, herrliche Früchte hat er ge-
tragen. Seht diese Offenheit, wie hübsch sie sich
zur Frechheit herumgedreht hat, seht diese Weichheit
wie zärtlich sie für Koketten girret, wie so empfind-
sam für die Reitze einer Phryne! Seht dieses
feurige Genie, wie es das Oel seines Lebens in
sechs Jährgen so rein weggebrannt hat, daß er bei
lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leu-
te, und sind so unverschämt und sagen: c'est l'amour
qui a fait ca!
Ah! seht doch diesen kühnen unter-
nehmenden Kopf, wie er Plane schmiedet und aus-
führt, vor denen die Heldenthaten eines Karton-
ches und Howards verschwinden! -- Und wenn erst
diese prächtigen Keime zur vollen Reife erwachsen,
-- was
Die Raͤuber,
Reiz von Groͤße und Schoͤnheit ſo empfindlich
macht; dieſe Offenheit die ſeine Seele auf dem
Auge ſpiegelt, dieſe Weichheit des Gefuͤhls, die
ihn bey jedem Leiden in weinende Sympathie da-
hinſchmelzt, dieſer maͤnnlichen Muth der ihn auf
den Wipfel hundertjaͤhriger Eichen treibet, und uͤber
Graͤben und Palliſaden und reißende Fluͤße jagt,
dieſer kindiche Ehrgeitz, dieſer unuͤberwindliche
Starrſinn, und alle dieſe ſchoͤne glaͤnzende Tugen-
den, die im Vaterſoͤhnchen keimten, werden ihn
dereinſt zu einem warmen Freund eines Freundes,
zu einem treflichen Buͤrger, zu einem Helden,
zu einem großen großen Manne machen — ſeht
ihrs nun Vater! — der feurige Geiſt hat ſich ent-
wickelt, ausgebreitet, herrliche Fruͤchte hat er ge-
tragen. Seht dieſe Offenheit, wie huͤbſch ſie ſich
zur Frechheit herumgedreht hat, ſeht dieſe Weichheit
wie zaͤrtlich ſie fuͤr Koketten girret, wie ſo empfind-
ſam fuͤr die Reitze einer Phryne! Seht dieſes
feurige Genie, wie es das Oel ſeines Lebens in
ſechs Jaͤhrgen ſo rein weggebrannt hat, daß er bei
lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leu-
te, und ſind ſo unverſchaͤmt und ſagen: c'eſt l'amour
qui a fait ça!
Ah! ſeht doch dieſen kuͤhnen unter-
nehmenden Kopf, wie er Plane ſchmiedet und aus-
fuͤhrt, vor denen die Heldenthaten eines Karton-
ches und Howards verſchwinden! — Und wenn erſt
dieſe praͤchtigen Keime zur vollen Reife erwachſen,
— was
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[6/0028] Die Raͤuber, Reiz von Groͤße und Schoͤnheit ſo empfindlich macht; dieſe Offenheit die ſeine Seele auf dem Auge ſpiegelt, dieſe Weichheit des Gefuͤhls, die ihn bey jedem Leiden in weinende Sympathie da- hinſchmelzt, dieſer maͤnnlichen Muth der ihn auf den Wipfel hundertjaͤhriger Eichen treibet, und uͤber Graͤben und Palliſaden und reißende Fluͤße jagt, dieſer kindiche Ehrgeitz, dieſer unuͤberwindliche Starrſinn, und alle dieſe ſchoͤne glaͤnzende Tugen- den, die im Vaterſoͤhnchen keimten, werden ihn dereinſt zu einem warmen Freund eines Freundes, zu einem treflichen Buͤrger, zu einem Helden, zu einem großen großen Manne machen — ſeht ihrs nun Vater! — der feurige Geiſt hat ſich ent- wickelt, ausgebreitet, herrliche Fruͤchte hat er ge- tragen. Seht dieſe Offenheit, wie huͤbſch ſie ſich zur Frechheit herumgedreht hat, ſeht dieſe Weichheit wie zaͤrtlich ſie fuͤr Koketten girret, wie ſo empfind- ſam fuͤr die Reitze einer Phryne! Seht dieſes feurige Genie, wie es das Oel ſeines Lebens in ſechs Jaͤhrgen ſo rein weggebrannt hat, daß er bei lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leu- te, und ſind ſo unverſchaͤmt und ſagen: c'eſt l'amour qui a fait ça! Ah! ſeht doch dieſen kuͤhnen unter- nehmenden Kopf, wie er Plane ſchmiedet und aus- fuͤhrt, vor denen die Heldenthaten eines Karton- ches und Howards verſchwinden! — Und wenn erſt dieſe praͤchtigen Keime zur vollen Reife erwachſen, — was

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/28>, abgerufen am 24.11.2024.