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Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 3:] Beschluß. In: Die Horen 1796, 1. St., T. VII., S. 75-122.

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und sentimentalische Dichter.
was die Natur mit sich bringt, sondern was der Mensch
will, denn er kann ja auch nicht wollen, was seyn muß.
Man wird ihn also wieder fragen können: warum willst
du denn, was seyn muß? Warum unterwirft sich dein
freyer Wille dieser Naturnothwendigkeit, da er sich ihr
eben so gut, (wenn gleich ohne Erfolg, von dem hier
auch gar nicht die Rede ist) entgegensetzen könnte, und
sich in Millionen deiner Brüder derselben wirklich entge-
gensetzt? Du kannst nicht sagen, weil alle andern Na-
turwesen sich derselben unterwerfen, denn du allein hast
einen Willen, ja du fühlst, daß deine Unterwerfung
eine freywillige seyn soll. Du unterwirfst dich also,
wenn es freywillig geschieht, nicht der Naturnothwen-
digkeit selbst, sondern der Idee derselben; denn jene
zwingt dich bloß blind, wie sie den Wurm zwingt, dei-
nem Willen aber kann sie nichts anhaben, da du, selbst
von ihr zermalmt, einen andern Willen haben kannst.
Woher bringst du aber jene Idee der Naturnothwendig-
keit; aus der Erfahrung doch wohl nicht, die dir nur
einzelne Naturwirkungen aber keine Natur (als Ganzes)
und nur einzelne Wirklichkeiten aber keine Nothwendig-
keit liefert. Du gehst also über die Natur hinaus, und
bestimmst dich idealisch, so oft du entweder moralisch
handeln
oder nur nicht blind leiden willst. Es ist
also offenbar, daß der Realist würdiger handelt, als er
seiner Theorie nach zugiebt, so wie der Realist erhabener
denkt, als er handelt. Ohne es sich selbst zu gestehen,
beweißt jener durch die ganze Haltung seines Lebens die

und ſentimentaliſche Dichter.
was die Natur mit ſich bringt, ſondern was der Menſch
will, denn er kann ja auch nicht wollen, was ſeyn muß.
Man wird ihn alſo wieder fragen koͤnnen: warum willſt
du denn, was ſeyn muß? Warum unterwirft ſich dein
freyer Wille dieſer Naturnothwendigkeit, da er ſich ihr
eben ſo gut, (wenn gleich ohne Erfolg, von dem hier
auch gar nicht die Rede iſt) entgegenſetzen koͤnnte, und
ſich in Millionen deiner Bruͤder derſelben wirklich entge-
genſetzt? Du kannſt nicht ſagen, weil alle andern Na-
turweſen ſich derſelben unterwerfen, denn du allein haſt
einen Willen, ja du fuͤhlſt, daß deine Unterwerfung
eine freywillige ſeyn ſoll. Du unterwirfſt dich alſo,
wenn es freywillig geſchieht, nicht der Naturnothwen-
digkeit ſelbſt, ſondern der Idee derſelben; denn jene
zwingt dich bloß blind, wie ſie den Wurm zwingt, dei-
nem Willen aber kann ſie nichts anhaben, da du, ſelbſt
von ihr zermalmt, einen andern Willen haben kannſt.
Woher bringſt du aber jene Idee der Naturnothwendig-
keit; aus der Erfahrung doch wohl nicht, die dir nur
einzelne Naturwirkungen aber keine Natur (als Ganzes)
und nur einzelne Wirklichkeiten aber keine Nothwendig-
keit liefert. Du gehſt alſo uͤber die Natur hinaus, und
beſtimmſt dich idealiſch, ſo oft du entweder moraliſch
handeln
oder nur nicht blind leiden willſt. Es iſt
alſo offenbar, daß der Realiſt wuͤrdiger handelt, als er
ſeiner Theorie nach zugiebt, ſo wie der Realiſt erhabener
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[117/0052] und ſentimentaliſche Dichter. was die Natur mit ſich bringt, ſondern was der Menſch will, denn er kann ja auch nicht wollen, was ſeyn muß. Man wird ihn alſo wieder fragen koͤnnen: warum willſt du denn, was ſeyn muß? Warum unterwirft ſich dein freyer Wille dieſer Naturnothwendigkeit, da er ſich ihr eben ſo gut, (wenn gleich ohne Erfolg, von dem hier auch gar nicht die Rede iſt) entgegenſetzen koͤnnte, und ſich in Millionen deiner Bruͤder derſelben wirklich entge- genſetzt? Du kannſt nicht ſagen, weil alle andern Na- turweſen ſich derſelben unterwerfen, denn du allein haſt einen Willen, ja du fuͤhlſt, daß deine Unterwerfung eine freywillige ſeyn ſoll. Du unterwirfſt dich alſo, wenn es freywillig geſchieht, nicht der Naturnothwen- digkeit ſelbſt, ſondern der Idee derſelben; denn jene zwingt dich bloß blind, wie ſie den Wurm zwingt, dei- nem Willen aber kann ſie nichts anhaben, da du, ſelbſt von ihr zermalmt, einen andern Willen haben kannſt. Woher bringſt du aber jene Idee der Naturnothwendig- keit; aus der Erfahrung doch wohl nicht, die dir nur einzelne Naturwirkungen aber keine Natur (als Ganzes) und nur einzelne Wirklichkeiten aber keine Nothwendig- keit liefert. Du gehſt alſo uͤber die Natur hinaus, und beſtimmſt dich idealiſch, ſo oft du entweder moraliſch handeln oder nur nicht blind leiden willſt. Es iſt alſo offenbar, daß der Realiſt wuͤrdiger handelt, als er ſeiner Theorie nach zugiebt, ſo wie der Realiſt erhabener denkt, als er handelt. Ohne es ſich ſelbſt zu geſtehen, beweißt jener durch die ganze Haltung ſeines Lebens die

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 3:] Beschluß. In: Die Horen 1796, 1. St., T. VII., S. 75-122, hier S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive03_1796/52>, abgerufen am 22.11.2024.