Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55.Grunde, und dieses macht seinen Dichterberuf mit Recht Elegische Dichtung. Setzt der Dichter die Natur der Kunst und das Ideal Grunde, und dieſes macht ſeinen Dichterberuf mit Recht Elegiſche Dichtung. Setzt der Dichter die Natur der Kunſt und das Ideal <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="20"/> Grunde, und dieſes macht ſeinen Dichterberuf mit Recht<lb/> verdaͤchtig. Wir begegnen immer nur ſeinem Verſtande,<lb/> nicht ſeinem Gefuͤhl. Es zeigt ſich kein Ideal unter je-<lb/> ner luftigen Huͤlle, und kaum etwas abſolut Feſtes in je-<lb/> ner ewigen Bewegung. Seine wunderbare Mannichfal-<lb/> tigkeit in aͤuſern Formen, weit entfernt fuͤr die innere<lb/> Fuͤlle ſeines Geiſtes etwas zu beweiſen, legt vielmehr ein<lb/> bedenkliches Zeugniß dagegen ab, denn ungeachtet aller<lb/> jener Formen hat er auch nicht Eine gefunden, worinn<lb/> er ein Herz haͤtte abdruͤcken koͤnnen. Beynahe muß man<lb/> alſo fuͤrchten, es war in dieſem reichen Genius nur die<lb/> Armuth des Herzens, die ſeinen Beruf zur Satyre be-<lb/> ſtimmte. Waͤre es anders, ſo haͤtte er doch irgend auf<lb/> ſeinem weiten Weg aus dieſem engen Geleiſe treten muͤſ-<lb/> ſen. Aber bey allem noch ſo groſen Wechſel des Stoffes<lb/> und der aͤuſern Form ſehen wir dieſe innere Form in<lb/> ewigem, duͤrftigem Einerley wiederkehren, und trotz ſei-<lb/> ner voluminoͤſen Laufbahn hat er doch den Kreis der<lb/> Menſchheit in ſich ſelbſt nicht erfuͤllt, den man in den<lb/> obenerwaͤhnten Satyrikern mit Freuden durchlaufen findet.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Elegiſche Dichtung</hi>.</head><lb/> <p>Setzt der Dichter die Natur der Kunſt und das Ideal<lb/> der Wirklichkeit ſo entgegen, daß die Darſtellung des erſten<lb/> uͤberwiegt, und das Wohlgefallen an demſelben herrſchende<lb/> Empfindung wird, ſo nenne ich ihn <hi rendition="#g">elegiſch</hi>. Auch dieſe<lb/> Gattung hat wie die Satyre zwey Klaſſen unter ſich.<lb/> Entweder iſt die Natur und das Ideal ein Gegenſtand<lb/> der Trauer, wenn jene als verloren, dieſes als unerreicht<lb/> dargeſtellt wird. Oder beyde ſind ein Gegenſtand der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0027]
Grunde, und dieſes macht ſeinen Dichterberuf mit Recht
verdaͤchtig. Wir begegnen immer nur ſeinem Verſtande,
nicht ſeinem Gefuͤhl. Es zeigt ſich kein Ideal unter je-
ner luftigen Huͤlle, und kaum etwas abſolut Feſtes in je-
ner ewigen Bewegung. Seine wunderbare Mannichfal-
tigkeit in aͤuſern Formen, weit entfernt fuͤr die innere
Fuͤlle ſeines Geiſtes etwas zu beweiſen, legt vielmehr ein
bedenkliches Zeugniß dagegen ab, denn ungeachtet aller
jener Formen hat er auch nicht Eine gefunden, worinn
er ein Herz haͤtte abdruͤcken koͤnnen. Beynahe muß man
alſo fuͤrchten, es war in dieſem reichen Genius nur die
Armuth des Herzens, die ſeinen Beruf zur Satyre be-
ſtimmte. Waͤre es anders, ſo haͤtte er doch irgend auf
ſeinem weiten Weg aus dieſem engen Geleiſe treten muͤſ-
ſen. Aber bey allem noch ſo groſen Wechſel des Stoffes
und der aͤuſern Form ſehen wir dieſe innere Form in
ewigem, duͤrftigem Einerley wiederkehren, und trotz ſei-
ner voluminoͤſen Laufbahn hat er doch den Kreis der
Menſchheit in ſich ſelbſt nicht erfuͤllt, den man in den
obenerwaͤhnten Satyrikern mit Freuden durchlaufen findet.
Elegiſche Dichtung.
Setzt der Dichter die Natur der Kunſt und das Ideal
der Wirklichkeit ſo entgegen, daß die Darſtellung des erſten
uͤberwiegt, und das Wohlgefallen an demſelben herrſchende
Empfindung wird, ſo nenne ich ihn elegiſch. Auch dieſe
Gattung hat wie die Satyre zwey Klaſſen unter ſich.
Entweder iſt die Natur und das Ideal ein Gegenſtand
der Trauer, wenn jene als verloren, dieſes als unerreicht
dargeſtellt wird. Oder beyde ſind ein Gegenſtand der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |