Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 1:] Über das Naive. In: Die Horen 1795, 11. St., T. VIII., S. 43-76.bung eines Anzuges, eines Schildes, einer Rüstung, Woher wohl dieser verschiedene Geist? Wie kommt bung eines Anzuges, eines Schildes, einer Ruͤſtung, Woher wohl dieſer verſchiedene Geiſt? Wie kommt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035" n="67"/> bung eines Anzuges, eines Schildes, einer Ruͤſtung,<lb/> eines Hausgeraͤthes oder irgend eines mechaniſchen Pro-<lb/> duktes iſt. Er ſcheint, in ſeiner Liebe fuͤr das Objekt,<lb/> keinen Unterſchied zwiſchen demjenigen zu machen, was<lb/> durch ſich ſelbſt und dem was durch die Kunſt und durch<lb/> den menſchlichen Willen iſt. Die Natur ſcheint mehr<lb/> ſeinen Verſtand und ſeine Wißbegierde, als ſein mora-<lb/> liſches Gefuͤhl zu intereſſieren; er haͤngt nicht mit Innig-<lb/> keit, mit Empfindſamkeit, mit ſuͤſſer Wehmuth an derſel-<lb/> ben, wie wir Neuern. Ja, indem er ſie in ihren ein-<lb/> zelnen Erſcheinungen perſonifiziert und vergoͤttert, und<lb/> ihre Wirkungen als Handlungen freyer Weſen darſtellt,<lb/> hebt er die ruhige Nothwendigkeit in ihr auf, durch welche<lb/> ſie fuͤr uns gerade ſo anziehend iſt. Seine ungedultige<lb/> Phantaſie fuͤhrt ihn uͤber ſie hinweg zum Drama des<lb/> menſchlichen Lebens. Nur das Lebendige und Freye, nur<lb/> Charaktere, Handlungen, Schickſale, und Sitten befrie-<lb/> digen ihn, „und wenn <hi rendition="#g">wir</hi> in gewiſſen moraliſchen Stim-<lb/> „mungen des Gemuͤths wuͤnſchen koͤnnen, den Vorzug<lb/> „unſerer Willensfreyheit, der uns ſo vielem Streit mit<lb/> „uns ſelbſt, ſo vielen Unruhen und Verirrungen ausſetzt,<lb/> „gegen die wahlloſe aber ruhige Nothwendigkeit des Ver-<lb/> „nunftloſen hinzugeben, ſo iſt, gerade umgekehrt, die<lb/> „Phantaſie des Griechen geſchaͤftig, die menſchliche Natur<lb/> „ſchon in der unbeſeelten Welt anzufangen, und da,<lb/> „wo eine blinde Nothwendigkeit herrſcht, dem Willen<lb/> „Einfluß zu geben.”</p><lb/> <p>Woher wohl dieſer verſchiedene Geiſt? Wie kommt<lb/> es, daß wir, die in allem was Natur iſt, von den Alten<lb/> ſo unendlich weit uͤbertroffen werden, gerade hier der<lb/> Natur in einem hoͤheren Grade huldigen, mit Innigkeit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [67/0035]
bung eines Anzuges, eines Schildes, einer Ruͤſtung,
eines Hausgeraͤthes oder irgend eines mechaniſchen Pro-
duktes iſt. Er ſcheint, in ſeiner Liebe fuͤr das Objekt,
keinen Unterſchied zwiſchen demjenigen zu machen, was
durch ſich ſelbſt und dem was durch die Kunſt und durch
den menſchlichen Willen iſt. Die Natur ſcheint mehr
ſeinen Verſtand und ſeine Wißbegierde, als ſein mora-
liſches Gefuͤhl zu intereſſieren; er haͤngt nicht mit Innig-
keit, mit Empfindſamkeit, mit ſuͤſſer Wehmuth an derſel-
ben, wie wir Neuern. Ja, indem er ſie in ihren ein-
zelnen Erſcheinungen perſonifiziert und vergoͤttert, und
ihre Wirkungen als Handlungen freyer Weſen darſtellt,
hebt er die ruhige Nothwendigkeit in ihr auf, durch welche
ſie fuͤr uns gerade ſo anziehend iſt. Seine ungedultige
Phantaſie fuͤhrt ihn uͤber ſie hinweg zum Drama des
menſchlichen Lebens. Nur das Lebendige und Freye, nur
Charaktere, Handlungen, Schickſale, und Sitten befrie-
digen ihn, „und wenn wir in gewiſſen moraliſchen Stim-
„mungen des Gemuͤths wuͤnſchen koͤnnen, den Vorzug
„unſerer Willensfreyheit, der uns ſo vielem Streit mit
„uns ſelbſt, ſo vielen Unruhen und Verirrungen ausſetzt,
„gegen die wahlloſe aber ruhige Nothwendigkeit des Ver-
„nunftloſen hinzugeben, ſo iſt, gerade umgekehrt, die
„Phantaſie des Griechen geſchaͤftig, die menſchliche Natur
„ſchon in der unbeſeelten Welt anzufangen, und da,
„wo eine blinde Nothwendigkeit herrſcht, dem Willen
„Einfluß zu geben.”
Woher wohl dieſer verſchiedene Geiſt? Wie kommt
es, daß wir, die in allem was Natur iſt, von den Alten
ſo unendlich weit uͤbertroffen werden, gerade hier der
Natur in einem hoͤheren Grade huldigen, mit Innigkeit
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