Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wie? Nach so viel fehlgeschlagenen Versu¬
chen können Sie noch Hoffnung --"

"Hoffnung! -- In meinem Herzen starb
sie längst. Aber auch in jenem? -- Was liegt
daran, ob ich hoffe? -- Bin ich glücklich, so
lange noch ein Schimmer dieser Hoffnung in Anto¬
niens Herzen glimmt? -- Zwey Worte, Freund,
könnten meine Marter enden -- Aber umsonst!
Mein Schicksal wird elend bleiben, bis die Ewigkeit
ihr langes Schweigen bricht, und Gräber für mich
zeugen."

"Ist es diese Gewißheit also, die Sie glücklich
machen kann?"

"Glücklich? O ich zweifle, ob ich es je wieder
seyn kann! -- Aber Ungewißheit ist die schrecklich¬
ste Verdammniß! (Nach einigem Stillschweigen
mäßigte er sich, und fuhr mit Wehmuth fort)
Daß er meine Leiden sähe! -- Kann sie ihn
glücklich machen diese Treue, die das Elend seines
Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Todten
wegen schmachten, der nicht mehr genießen kann?
-- Wüßte er meine Qual -- (hier fing er an,
heftig zu weinen, und drückte sein Gesicht auf mei¬
ne Brust) vielleicht -- ja vielleicht würde er sie
selbst in meine Arme führen."

"Aber sollte dieser Wunsch so ganz unerfüllbar
seyn?"

"Freund! Was sagen Sie? -- Er sah mich
erschrocken an."

"Weit geringere Anlässe, fuhr ich fort, haben
die Abgeschiedenen in das Schicksal der Lebenden

ver¬

„Wie? Nach ſo viel fehlgeſchlagenen Verſu¬
chen können Sie noch Hoffnung —“

„Hoffnung! — In meinem Herzen ſtarb
ſie längſt. Aber auch in jenem? — Was liegt
daran, ob ich hoffe? — Bin ich glücklich, ſo
lange noch ein Schimmer dieſer Hoffnung in Anto¬
niens Herzen glimmt? — Zwey Worte, Freund,
könnten meine Marter enden — Aber umſonſt!
Mein Schickſal wird elend bleiben, bis die Ewigkeit
ihr langes Schweigen bricht, und Gräber für mich
zeugen.“

„Iſt es dieſe Gewißheit alſo, die Sie glücklich
machen kann?“

„Glücklich? O ich zweifle, ob ich es je wieder
ſeyn kann! — Aber Ungewißheit iſt die ſchrecklich¬
ſte Verdammniß! (Nach einigem Stillſchweigen
mäßigte er ſich, und fuhr mit Wehmuth fort)
Daß er meine Leiden ſähe! — Kann ſie ihn
glücklich machen dieſe Treue, die das Elend ſeines
Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Todten
wegen ſchmachten, der nicht mehr genießen kann?
— Wüßte er meine Qual — (hier fing er an,
heftig zu weinen, und drückte ſein Geſicht auf mei¬
ne Bruſt) vielleicht — ja vielleicht würde er ſie
ſelbſt in meine Arme führen.“

„Aber ſollte dieſer Wunſch ſo ganz unerfüllbar
ſeyn?“

„Freund! Was ſagen Sie? — Er ſah mich
erſchrocken an.“

„Weit geringere Anläſſe, fuhr ich fort, haben
die Abgeſchiedenen in das Schickſal der Lebenden

ver¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0072" n="64"/>
          <p>&#x201E;Wie? Nach &#x017F;o viel fehlge&#x017F;chlagenen Ver&#x017F;<lb/>
chen können Sie noch Hoffnung &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hoffnung! &#x2014; In <hi rendition="#g">meinem</hi> Herzen &#x017F;tarb<lb/>
&#x017F;ie läng&#x017F;t. Aber auch in jenem? &#x2014; Was liegt<lb/>
daran, ob <hi rendition="#g">ich</hi> hoffe? &#x2014; Bin ich glücklich, &#x017F;o<lb/>
lange noch ein Schimmer die&#x017F;er Hoffnung in Anto¬<lb/>
niens Herzen glimmt? &#x2014; Zwey Worte, Freund,<lb/>
könnten meine Marter enden &#x2014; Aber um&#x017F;on&#x017F;t!<lb/>
Mein Schick&#x017F;al wird elend bleiben, bis die Ewigkeit<lb/>
ihr langes Schweigen bricht, und Gräber für mich<lb/>
zeugen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;I&#x017F;t es die&#x017F;e Gewißheit al&#x017F;o, die Sie glücklich<lb/>
machen kann?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Glücklich? O ich zweifle, ob ich es je wieder<lb/>
&#x017F;eyn kann! &#x2014; Aber Ungewißheit i&#x017F;t die &#x017F;chrecklich¬<lb/>
&#x017F;te Verdammniß! (Nach einigem Still&#x017F;chweigen<lb/>
mäßigte er &#x017F;ich, und fuhr mit Wehmuth fort)<lb/>
Daß er meine Leiden &#x017F;ähe! &#x2014; Kann &#x017F;ie <hi rendition="#g">ihn</hi><lb/>
glücklich machen die&#x017F;e Treue, die das Elend &#x017F;eines<lb/>
Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Todten<lb/>
wegen &#x017F;chmachten, der nicht mehr genießen kann?<lb/>
&#x2014; Wüßte er meine Qual &#x2014; (hier fing er an,<lb/>
heftig zu weinen, und drückte &#x017F;ein Ge&#x017F;icht auf mei¬<lb/>
ne Bru&#x017F;t) vielleicht &#x2014; ja vielleicht würde er &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in meine Arme führen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber &#x017F;ollte die&#x017F;er Wun&#x017F;ch &#x017F;o ganz unerfüllbar<lb/>
&#x017F;eyn?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Freund! Was &#x017F;agen Sie? &#x2014; Er &#x017F;ah mich<lb/>
er&#x017F;chrocken an.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Weit geringere Anlä&#x017F;&#x017F;e, fuhr ich fort, haben<lb/>
die Abge&#x017F;chiedenen in das Schick&#x017F;al der Lebenden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver¬<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0072] „Wie? Nach ſo viel fehlgeſchlagenen Verſu¬ chen können Sie noch Hoffnung —“ „Hoffnung! — In meinem Herzen ſtarb ſie längſt. Aber auch in jenem? — Was liegt daran, ob ich hoffe? — Bin ich glücklich, ſo lange noch ein Schimmer dieſer Hoffnung in Anto¬ niens Herzen glimmt? — Zwey Worte, Freund, könnten meine Marter enden — Aber umſonſt! Mein Schickſal wird elend bleiben, bis die Ewigkeit ihr langes Schweigen bricht, und Gräber für mich zeugen.“ „Iſt es dieſe Gewißheit alſo, die Sie glücklich machen kann?“ „Glücklich? O ich zweifle, ob ich es je wieder ſeyn kann! — Aber Ungewißheit iſt die ſchrecklich¬ ſte Verdammniß! (Nach einigem Stillſchweigen mäßigte er ſich, und fuhr mit Wehmuth fort) Daß er meine Leiden ſähe! — Kann ſie ihn glücklich machen dieſe Treue, die das Elend ſeines Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Todten wegen ſchmachten, der nicht mehr genießen kann? — Wüßte er meine Qual — (hier fing er an, heftig zu weinen, und drückte ſein Geſicht auf mei¬ ne Bruſt) vielleicht — ja vielleicht würde er ſie ſelbſt in meine Arme führen.“ „Aber ſollte dieſer Wunſch ſo ganz unerfüllbar ſeyn?“ „Freund! Was ſagen Sie? — Er ſah mich erſchrocken an.“ „Weit geringere Anläſſe, fuhr ich fort, haben die Abgeſchiedenen in das Schickſal der Lebenden ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/72
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/72>, abgerufen am 28.11.2024.