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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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dem gräflichen Hause von C***tti zu erfüllen,
brauchte nur ein Name geändert zu werden; der
Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht,
Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬
nymos Gattinn heißen. Die schwache Möglich¬
keit
einer Wiedererscheinung des leztern kam ge¬
gen das gewisse und dringende Uebel, den gänz¬
lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung,
und der alte Marchese, der die Annäherung des
Todes mit jedem Tag stärker fühlte, wünschte mit
Ungeduld [v]on dieser Unruhe wenigstens frey zu
sterben."

"Wer diesen Schritt allein verzögerte und am
hartnäckigsten bekämpfte, war derjenige, der das
meiste dabey gewann -- Lorenzo. Ungerührt von
dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich selbst
gegen den Besitz des liebenswürdigsten Geschöpfs,
das seinen Armen überliefert werden sollte, weigerte er
sich mit der edelmüthigsten Gewissenhaftigkeit, einen
Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre,
und sein Eigenthum zurück fodern könnte. Ist das
Schicksal meines theuern Jeronymo, sagte er, durch
diese lange Gefangenschaft nicht schon schrecklich ge¬
nug, daß ich es noch durch einen Diebstahl verbit¬
tern sollte, der ihn um alles bringt, was ihm das
theuerste war? Mit welchem Herzen würde ich
den Himmel um seine Wiederkunft anflehen, wenn
sein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher
Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns
zurück bringt, entgegen eilen? Und gesezt, er ist

uns

dem gräflichen Hauſe von C***tti zu erfüllen,
brauchte nur ein Name geändert zu werden; der
Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht,
Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬
nymos Gattinn heißen. Die ſchwache Möglich¬
keit
einer Wiedererſcheinung des leztern kam ge¬
gen das gewiſſe und dringende Uebel, den gänz¬
lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung,
und der alte Marcheſe, der die Annäherung des
Todes mit jedem Tag ſtärker fühlte, wünſchte mit
Ungeduld [v]on dieſer Unruhe wenigſtens frey zu
ſterben.“

„Wer dieſen Schritt allein verzögerte und am
hartnäckigſten bekämpfte, war derjenige, der das
meiſte dabey gewann — Lorenzo. Ungerührt von
dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich ſelbſt
gegen den Beſitz des liebenswürdigſten Geſchöpfs,
das ſeinen Armen überliefert werden ſollte, weigerte er
ſich mit der edelmüthigſten Gewiſſenhaftigkeit, einen
Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre,
und ſein Eigenthum zurück fodern könnte. Iſt das
Schickſal meines theuern Jeronymo, ſagte er, durch
dieſe lange Gefangenſchaft nicht ſchon ſchrecklich ge¬
nug, daß ich es noch durch einen Diebſtahl verbit¬
tern ſollte, der ihn um alles bringt, was ihm das
theuerſte war? Mit welchem Herzen würde ich
den Himmel um ſeine Wiederkunft anflehen, wenn
ſein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher
Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns
zurück bringt, entgegen eilen? Und geſezt, er iſt

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[59/0067] dem gräflichen Hauſe von C***tti zu erfüllen, brauchte nur ein Name geändert zu werden; der Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht, Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬ nymos Gattinn heißen. Die ſchwache Möglich¬ keit einer Wiedererſcheinung des leztern kam ge¬ gen das gewiſſe und dringende Uebel, den gänz¬ lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung, und der alte Marcheſe, der die Annäherung des Todes mit jedem Tag ſtärker fühlte, wünſchte mit Ungeduld von dieſer Unruhe wenigſtens frey zu ſterben.“ „Wer dieſen Schritt allein verzögerte und am hartnäckigſten bekämpfte, war derjenige, der das meiſte dabey gewann — Lorenzo. Ungerührt von dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich ſelbſt gegen den Beſitz des liebenswürdigſten Geſchöpfs, das ſeinen Armen überliefert werden ſollte, weigerte er ſich mit der edelmüthigſten Gewiſſenhaftigkeit, einen Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre, und ſein Eigenthum zurück fodern könnte. Iſt das Schickſal meines theuern Jeronymo, ſagte er, durch dieſe lange Gefangenſchaft nicht ſchon ſchrecklich ge¬ nug, daß ich es noch durch einen Diebſtahl verbit¬ tern ſollte, der ihn um alles bringt, was ihm das theuerſte war? Mit welchem Herzen würde ich den Himmel um ſeine Wiederkunft anflehen, wenn ſein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns zurück bringt, entgegen eilen? Und geſezt, er iſt uns

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/67>, abgerufen am 28.11.2024.