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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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einem solchen Abende geschah es, daß er ungewöhn¬
lich lang' ausblieb. Man schickte Boten nach ihm
aus, Fahrzeuge suchten ihn auf der See; niemand
wollte ihn gesehen haben; von seinen Bedienten
wurde keiner vermißt, daß ihn also keiner begleitet
haben konnte. Es wurde Nacht, und er erschien
nicht. Es wurde Morgen -- es wurde Mittag
und Abend, und noch kein Jeronymo. Schon fing
man an, den schrecklichsten Muthmaßungen Raum
zu geben, als die Nachricht einlief, ein algieri¬
scher Korsar habe vorigen Tages an dieser Küste ge¬
landet, und verschiedene von den Einwohnern seyen
gefangen weggeführt worden. Sogleich werden
zwey Galeeren bemannt, die eben segelfertig lie¬
gen; der alte Marchese besteigt selbst die erste, ent¬
schlossen, seinen Sohn mit Gefahr seines eigenen
Lebens zu befreyen. Am dritten Morgen erblick¬
ten sie den Korsaren, vor welchem sie den Vortheil
des Windes voraus haben; sie haben ihn bald er¬
reicht, sie kommen ihm so nahe, daß Lorenzo, der
sich auf der ersten Galeere befindet, das Zeichen
seines Bruders auf dem feindlichen Ver¬
deck zu erkennen glaubt, als plötzlich ein Sturm
sie wieder von einander trennt. Mit Mühe stehen
ihn die beschädigten Schiffe aus; aber die Prise ist
verschwunden, und die Noth zwingt sie, auf Mal¬
tha zu landen. Der Schmerz der Familie ist ohne
Grenzen; trostlos rauft sich der alte Marchese die
eisgrauen Haare aus, man fürchtet für das Leben
der jungen Gräfin."

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einem ſolchen Abende geſchah es, daß er ungewöhn¬
lich lang' ausblieb. Man ſchickte Boten nach ihm
aus, Fahrzeuge ſuchten ihn auf der See; niemand
wollte ihn geſehen haben; von ſeinen Bedienten
wurde keiner vermißt, daß ihn alſo keiner begleitet
haben konnte. Es wurde Nacht, und er erſchien
nicht. Es wurde Morgen — es wurde Mittag
und Abend, und noch kein Jeronymo. Schon fing
man an, den ſchrecklichſten Muthmaßungen Raum
zu geben, als die Nachricht einlief, ein algieri¬
ſcher Korſar habe vorigen Tages an dieſer Küſte ge¬
landet, und verſchiedene von den Einwohnern ſeyen
gefangen weggeführt worden. Sogleich werden
zwey Galeeren bemannt, die eben ſegelfertig lie¬
gen; der alte Marcheſe beſteigt ſelbſt die erſte, ent¬
ſchloſſen, ſeinen Sohn mit Gefahr ſeines eigenen
Lebens zu befreyen. Am dritten Morgen erblick¬
ten ſie den Korſaren, vor welchem ſie den Vortheil
des Windes voraus haben; ſie haben ihn bald er¬
reicht, ſie kommen ihm ſo nahe, daß Lorenzo, der
ſich auf der erſten Galeere befindet, das Zeichen
ſeines Bruders auf dem feindlichen Ver¬
deck zu erkennen glaubt, als plötzlich ein Sturm
ſie wieder von einander trennt. Mit Mühe ſtehen
ihn die beſchädigten Schiffe aus; aber die Priſe iſt
verſchwunden, und die Noth zwingt ſie, auf Mal¬
tha zu landen. Der Schmerz der Familie iſt ohne
Grenzen; troſtlos rauft ſich der alte Marcheſe die
eisgrauen Haare aus, man fürchtet für das Leben
der jungen Gräfin.“

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[57/0065] einem ſolchen Abende geſchah es, daß er ungewöhn¬ lich lang' ausblieb. Man ſchickte Boten nach ihm aus, Fahrzeuge ſuchten ihn auf der See; niemand wollte ihn geſehen haben; von ſeinen Bedienten wurde keiner vermißt, daß ihn alſo keiner begleitet haben konnte. Es wurde Nacht, und er erſchien nicht. Es wurde Morgen — es wurde Mittag und Abend, und noch kein Jeronymo. Schon fing man an, den ſchrecklichſten Muthmaßungen Raum zu geben, als die Nachricht einlief, ein algieri¬ ſcher Korſar habe vorigen Tages an dieſer Küſte ge¬ landet, und verſchiedene von den Einwohnern ſeyen gefangen weggeführt worden. Sogleich werden zwey Galeeren bemannt, die eben ſegelfertig lie¬ gen; der alte Marcheſe beſteigt ſelbſt die erſte, ent¬ ſchloſſen, ſeinen Sohn mit Gefahr ſeines eigenen Lebens zu befreyen. Am dritten Morgen erblick¬ ten ſie den Korſaren, vor welchem ſie den Vortheil des Windes voraus haben; ſie haben ihn bald er¬ reicht, ſie kommen ihm ſo nahe, daß Lorenzo, der ſich auf der erſten Galeere befindet, das Zeichen ſeines Bruders auf dem feindlichen Ver¬ deck zu erkennen glaubt, als plötzlich ein Sturm ſie wieder von einander trennt. Mit Mühe ſtehen ihn die beſchädigten Schiffe aus; aber die Priſe iſt verſchwunden, und die Noth zwingt ſie, auf Mal¬ tha zu landen. Der Schmerz der Familie iſt ohne Grenzen; troſtlos rauft ſich der alte Marcheſe die eisgrauen Haare aus, man fürchtet für das Leben der jungen Gräfin.“ „Fünf D 5

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/65>, abgerufen am 25.11.2024.