ja keine Frage an die Erscheinung zu thun. Den Engländer und mich (gegen uns beyde schien er das meiste Mißtrauen zu hegen) ersuchte er, zwey bloße Degen unverrückt und kreuzweise, einen Zoll hoch, über seinem Scheitel zu halten, so lange die Hand¬ lung dauern würde. Wir standen in einem halben Mond um ihn herum, der russische Offizier dräng¬ te sich dicht an den Engländer, und stand zunächst an dem Altar. Das Gesicht gegen Morgen ge¬ richtet, stellte sich der Magier jezt auf den Teppich, sprengte Weihwasser nach allen vier Weltgegenden, und neigte sich dreymal gegen die Bibel. Eine halbe Viertelstunde dauerte die Beschwörung, von welcher wir nichts verstanden; nach Endigung der¬ selben gab er denen, die zunächst hinter ihm stan¬ den, ein Zeichen, daß sie ihn jezt fest bey den Haa¬ ren fassen sollten. Unter den heftigsten Zuckungen rief er den Verstorbenen dreymal mit Namen, und das drittemal streckte er nach dem Kruzifixe die Hand aus -- --
Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen Streich, wie vom Blitze, daß unsere Hände aus¬ einander flogen; ein plötzlicher Donnerschlag er¬ schütterte das Haus, alle Schlösser klangen, alle Thüren schlugen zusammen, der Deckel an der Kapsel fiel zu, das Licht löschte aus, und an der entgegenstehenden Wand, über dem Kamine, zeig¬ te sich eine menschliche Figur, in blutigem Hemde, bleich und mit dem Gesicht eines Sterbenden.
"Wer ruft mich?" sagte eine hohle, kaum hör¬ bare Stimme.
"Dein
ja keine Frage an die Erſcheinung zu thun. Den Engländer und mich (gegen uns beyde ſchien er das meiſte Mißtrauen zu hegen) erſuchte er, zwey bloße Degen unverrückt und kreuzweiſe, einen Zoll hoch, über ſeinem Scheitel zu halten, ſo lange die Hand¬ lung dauern würde. Wir ſtanden in einem halben Mond um ihn herum, der ruſſiſche Offizier dräng¬ te ſich dicht an den Engländer, und ſtand zunächſt an dem Altar. Das Geſicht gegen Morgen ge¬ richtet, ſtellte ſich der Magier jezt auf den Teppich, ſprengte Weihwaſſer nach allen vier Weltgegenden, und neigte ſich dreymal gegen die Bibel. Eine halbe Viertelſtunde dauerte die Beſchwörung, von welcher wir nichts verſtanden; nach Endigung der¬ ſelben gab er denen, die zunächſt hinter ihm ſtan¬ den, ein Zeichen, daß ſie ihn jezt feſt bey den Haa¬ ren faſſen ſollten. Unter den heftigſten Zuckungen rief er den Verſtorbenen dreymal mit Namen, und das drittemal ſtreckte er nach dem Kruzifixe die Hand aus — —
Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen Streich, wie vom Blitze, daß unſere Hände aus¬ einander flogen; ein plötzlicher Donnerſchlag er¬ ſchütterte das Haus, alle Schlöſſer klangen, alle Thüren ſchlugen zuſammen, der Deckel an der Kapſel fiel zu, das Licht löſchte aus, und an der entgegenſtehenden Wand, über dem Kamine, zeig¬ te ſich eine menſchliche Figur, in blutigem Hemde, bleich und mit dem Geſicht eines Sterbenden.
„Wer ruft mich?“ ſagte eine hohle, kaum hör¬ bare Stimme.
„Dein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0036"n="28"/>
ja keine Frage an die Erſcheinung zu thun. Den<lb/>
Engländer und mich (gegen uns beyde ſchien er das<lb/>
meiſte Mißtrauen zu hegen) erſuchte er, zwey bloße<lb/>
Degen unverrückt und kreuzweiſe, einen Zoll hoch,<lb/>
über ſeinem Scheitel zu halten, ſo lange die Hand¬<lb/>
lung dauern würde. Wir ſtanden in einem halben<lb/>
Mond um ihn herum, der ruſſiſche Offizier dräng¬<lb/>
te ſich dicht an den Engländer, und ſtand zunächſt<lb/>
an dem Altar. Das Geſicht gegen Morgen ge¬<lb/>
richtet, ſtellte ſich der Magier jezt auf den Teppich,<lb/>ſprengte Weihwaſſer nach allen vier Weltgegenden,<lb/>
und neigte ſich dreymal gegen die Bibel. Eine<lb/>
halbe Viertelſtunde dauerte die Beſchwörung, von<lb/>
welcher wir nichts verſtanden; nach Endigung der¬<lb/>ſelben gab er denen, die zunächſt hinter ihm ſtan¬<lb/>
den, ein Zeichen, daß ſie ihn jezt feſt bey den Haa¬<lb/>
ren faſſen ſollten. Unter den heftigſten Zuckungen<lb/>
rief er den Verſtorbenen dreymal mit Namen, und<lb/>
das drittemal ſtreckte er nach dem Kruzifixe<lb/>
die Hand aus ——</p><lb/><p>Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen<lb/>
Streich, wie vom Blitze, daß unſere Hände aus¬<lb/>
einander flogen; ein plötzlicher Donnerſchlag er¬<lb/>ſchütterte das Haus, alle Schlöſſer klangen, alle<lb/>
Thüren ſchlugen zuſammen, der Deckel an der<lb/>
Kapſel fiel zu, das Licht löſchte aus, und an der<lb/>
entgegenſtehenden Wand, über dem Kamine, zeig¬<lb/>
te ſich eine menſchliche Figur, in blutigem Hemde,<lb/>
bleich und mit dem Geſicht eines Sterbenden.</p><lb/><p>„Wer ruft mich?“ſagte eine hohle, kaum hör¬<lb/>
bare Stimme.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">„Dein<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[28/0036]
ja keine Frage an die Erſcheinung zu thun. Den
Engländer und mich (gegen uns beyde ſchien er das
meiſte Mißtrauen zu hegen) erſuchte er, zwey bloße
Degen unverrückt und kreuzweiſe, einen Zoll hoch,
über ſeinem Scheitel zu halten, ſo lange die Hand¬
lung dauern würde. Wir ſtanden in einem halben
Mond um ihn herum, der ruſſiſche Offizier dräng¬
te ſich dicht an den Engländer, und ſtand zunächſt
an dem Altar. Das Geſicht gegen Morgen ge¬
richtet, ſtellte ſich der Magier jezt auf den Teppich,
ſprengte Weihwaſſer nach allen vier Weltgegenden,
und neigte ſich dreymal gegen die Bibel. Eine
halbe Viertelſtunde dauerte die Beſchwörung, von
welcher wir nichts verſtanden; nach Endigung der¬
ſelben gab er denen, die zunächſt hinter ihm ſtan¬
den, ein Zeichen, daß ſie ihn jezt feſt bey den Haa¬
ren faſſen ſollten. Unter den heftigſten Zuckungen
rief er den Verſtorbenen dreymal mit Namen, und
das drittemal ſtreckte er nach dem Kruzifixe
die Hand aus — —
Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen
Streich, wie vom Blitze, daß unſere Hände aus¬
einander flogen; ein plötzlicher Donnerſchlag er¬
ſchütterte das Haus, alle Schlöſſer klangen, alle
Thüren ſchlugen zuſammen, der Deckel an der
Kapſel fiel zu, das Licht löſchte aus, und an der
entgegenſtehenden Wand, über dem Kamine, zeig¬
te ſich eine menſchliche Figur, in blutigem Hemde,
bleich und mit dem Geſicht eines Sterbenden.
„Wer ruft mich?“ ſagte eine hohle, kaum hör¬
bare Stimme.
„Dein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/36>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.