in den beyden übrigen wurde das Genie des Künst¬ lers bewundert, bey diesem vergaß er den Künstler und seine Kunst, um ganz im Anschauen seines Werks zu leben. Er war ganz wunderbar davon gerührt; er konnte sich von dem Stücke kaum los reißen. Der Künstler, dem man wohl ansah, daß er das Urtheil des Prinzen im Herzen bekräftigte, hatte den Eigensinn, die drey Stücke nicht trennen zu wollen, und foderte 1500 Zechinen für alle. Die Hälfte both ihm der Prinz für dieses einzige an -- der Künstler bestand auf seine Bedingung, und wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn sich nicht ein entschlossener Käufer gefunden hätte. Zwey Stunden darauf waren alle drey Stücke weg; wir haben sie nicht mehr gesehen. Dieses Gemählde kam dem Prinzen jetzt in Erinnerung.
"Ich stand," fuhr er fort, "ich stand in ihren Anblick verloren. Sie bemerkte mich nicht, sie ließ sich durch meine Dazwischenkunft nicht stören, so ganz war sie in ihrer Andacht vertieft. Sie bethete zu ihrer Gottheit und ich bethete zu ihr -- Ja, ich bethete sie an -- Alle diese Bilder der Heiligen, diese Altäre, diese brennenden Kerzen hatten mich nicht daran erinnert; jetzt zum ersten¬ mal ergriff mich's, als ob ich in einem Heiligthum wäre. Soll ich es Ihnen gestehen? Ich glaubte in diesem Augenblicke felsenfest an den, den ihre schöne Hand umfaßt hielt. Ich las ja seine Ant¬ wort in ihren Augen. Dank ihrer reitzenden An¬ dacht! Sie machte mir ihn wirklich -- ich folgte ihr nach durch alle seine Himmel."
"Sie
in den beyden übrigen wurde das Genie des Künſt¬ lers bewundert, bey dieſem vergaß er den Künſtler und ſeine Kunſt, um ganz im Anſchauen ſeines Werks zu leben. Er war ganz wunderbar davon gerührt; er konnte ſich von dem Stücke kaum los reißen. Der Künſtler, dem man wohl anſah, daß er das Urtheil des Prinzen im Herzen bekräftigte, hatte den Eigenſinn, die drey Stücke nicht trennen zu wollen, und foderte 1500 Zechinen für alle. Die Hälfte both ihm der Prinz für dieſes einzige an — der Künſtler beſtand auf ſeine Bedingung, und wer weiß, was noch geſchehen wäre, wenn ſich nicht ein entſchloſſener Käufer gefunden hätte. Zwey Stunden darauf waren alle drey Stücke weg; wir haben ſie nicht mehr geſehen. Dieſes Gemählde kam dem Prinzen jetzt in Erinnerung.
„Ich ſtand,“ fuhr er fort, „ich ſtand in ihren Anblick verloren. Sie bemerkte mich nicht, ſie ließ ſich durch meine Dazwiſchenkunft nicht ſtören, ſo ganz war ſie in ihrer Andacht vertieft. Sie bethete zu ihrer Gottheit und ich bethete zu ihr — Ja, ich bethete ſie an — Alle dieſe Bilder der Heiligen, dieſe Altäre, dieſe brennenden Kerzen hatten mich nicht daran erinnert; jetzt zum erſten¬ mal ergriff mich's, als ob ich in einem Heiligthum wäre. Soll ich es Ihnen geſtehen? Ich glaubte in dieſem Augenblicke felſenfeſt an den, den ihre ſchöne Hand umfaßt hielt. Ich las ja ſeine Ant¬ wort in ihren Augen. Dank ihrer reitzenden An¬ dacht! Sie machte mir ihn wirklich — ich folgte ihr nach durch alle ſeine Himmel.“
„Sie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0181"n="173"/>
in den beyden übrigen wurde das Genie des Künſt¬<lb/>
lers bewundert, bey dieſem vergaß er den Künſtler<lb/>
und ſeine Kunſt, um ganz im Anſchauen ſeines<lb/>
Werks zu leben. Er war ganz wunderbar davon<lb/>
gerührt; er konnte ſich von dem Stücke kaum los<lb/>
reißen. Der Künſtler, dem man wohl anſah, daß<lb/>
er das Urtheil des Prinzen im Herzen bekräftigte,<lb/>
hatte den Eigenſinn, die drey Stücke nicht trennen<lb/>
zu wollen, und foderte 1500 Zechinen für alle.<lb/>
Die Hälfte both ihm der Prinz für dieſes einzige<lb/>
an — der Künſtler beſtand auf ſeine Bedingung,<lb/>
und wer weiß, was noch geſchehen wäre, wenn ſich<lb/>
nicht ein entſchloſſener Käufer gefunden hätte.<lb/>
Zwey Stunden darauf waren alle drey Stücke<lb/>
weg; wir haben ſie nicht mehr geſehen. Dieſes<lb/>
Gemählde kam dem Prinzen jetzt in Erinnerung.</p><lb/><p>„Ich ſtand,“ fuhr er fort, „ich ſtand in ihren<lb/>
Anblick verloren. Sie bemerkte mich nicht, ſie<lb/>
ließ ſich durch meine Dazwiſchenkunft nicht ſtören,<lb/>ſo ganz war ſie in ihrer Andacht vertieft. Sie<lb/>
bethete zu ihrer Gottheit und ich bethete zu ihr —<lb/>
Ja, ich bethete ſie an — Alle dieſe Bilder der<lb/>
Heiligen, dieſe Altäre, dieſe brennenden Kerzen<lb/>
hatten mich nicht daran erinnert; jetzt zum erſten¬<lb/>
mal ergriff mich's, als ob ich in einem Heiligthum<lb/>
wäre. Soll ich es Ihnen geſtehen? Ich glaubte<lb/>
in dieſem Augenblicke felſenfeſt an den, den ihre<lb/>ſchöne Hand umfaßt hielt. Ich las ja ſeine Ant¬<lb/>
wort in ihren Augen. Dank ihrer reitzenden An¬<lb/>
dacht! Sie machte mir ihn wirklich — ich folgte<lb/>
ihr nach durch alle ſeine Himmel.“</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">„Sie<lb/></fw></div></div></div></body></text></TEI>
[173/0181]
in den beyden übrigen wurde das Genie des Künſt¬
lers bewundert, bey dieſem vergaß er den Künſtler
und ſeine Kunſt, um ganz im Anſchauen ſeines
Werks zu leben. Er war ganz wunderbar davon
gerührt; er konnte ſich von dem Stücke kaum los
reißen. Der Künſtler, dem man wohl anſah, daß
er das Urtheil des Prinzen im Herzen bekräftigte,
hatte den Eigenſinn, die drey Stücke nicht trennen
zu wollen, und foderte 1500 Zechinen für alle.
Die Hälfte both ihm der Prinz für dieſes einzige
an — der Künſtler beſtand auf ſeine Bedingung,
und wer weiß, was noch geſchehen wäre, wenn ſich
nicht ein entſchloſſener Käufer gefunden hätte.
Zwey Stunden darauf waren alle drey Stücke
weg; wir haben ſie nicht mehr geſehen. Dieſes
Gemählde kam dem Prinzen jetzt in Erinnerung.
„Ich ſtand,“ fuhr er fort, „ich ſtand in ihren
Anblick verloren. Sie bemerkte mich nicht, ſie
ließ ſich durch meine Dazwiſchenkunft nicht ſtören,
ſo ganz war ſie in ihrer Andacht vertieft. Sie
bethete zu ihrer Gottheit und ich bethete zu ihr —
Ja, ich bethete ſie an — Alle dieſe Bilder der
Heiligen, dieſe Altäre, dieſe brennenden Kerzen
hatten mich nicht daran erinnert; jetzt zum erſten¬
mal ergriff mich's, als ob ich in einem Heiligthum
wäre. Soll ich es Ihnen geſtehen? Ich glaubte
in dieſem Augenblicke felſenfeſt an den, den ihre
ſchöne Hand umfaßt hielt. Ich las ja ſeine Ant¬
wort in ihren Augen. Dank ihrer reitzenden An¬
dacht! Sie machte mir ihn wirklich — ich folgte
ihr nach durch alle ſeine Himmel.“
„Sie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/181>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.