Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.Baron von F*** an den Grafen von O***. Fünfter Brief. 1. Julius. Da unser Abschied von Venedig nunmehr mit star¬ weni¬
Baron von F*** an den Grafen von O***. Fünfter Brief. 1. Julius. Da unſer Abſchied von Venedig nunmehr mit ſtar¬ weni¬
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Baron von F*** an den Grafen
von O***.
Fünfter Brief.
1. Julius.
Da unſer Abſchied von Venedig nunmehr mit ſtar¬
ken Schritten herannahet, ſo ſollte dieſe Woche
noch dazu angewandt werden, alles Sehenswürdige
an Gemählden und Gebäuden noch nachzuholen,
was man bey einem langen Aufenthalte immer ver¬
ſchiebt. Beſonders hatte man uns mit vieler Be¬
wunderung von der Hochzeit zu Cana des Paul
Veroneſe geſprochen, die auf der Inſel S. Georg
in einem dortigen Benediktinerkloſter zu ſehen iſt.
Erwarten Sie von mir keine Beſchreibung dieſes
außerordentlichen Kunſtwerks, das mir im Ganzen
zwar einen ſehr überraſchenden, aber nicht ſehr ge¬
nußreichen Anblick gegeben hat. Wir hätten ſo
viele Stunden als Minuten gebraucht, um eine
Kompoſition von hundert und zwanzig Figuren zu
umfaßen, die über dreyßig Fuß in der Breite hat.
Welches menſchliche Auge kann ein ſo zuſammenge¬
ſetztes Ganze erreichen, und die ganze Schönheit,
die der Künſtler darin verſchwendet hat, in Einem
Eindruck genießen! Schade iſt es indeſſen, daß ein
Werk von dieſem Gehalte, das an einem öffentli¬
chen Orte glänzen und von jedermann genoſſen wer¬
den ſollte, keine beſſere Beſtimmung hat, als eine
Anzahl Mönche in ihrem Refektorium zu vergnü¬
gen. Auch die Kirche dieſes Kloſters verdient nicht
weni¬
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