Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.an ihrem Mittelpunkte, so würde sich nie ein Welt¬ Aber wissen Sie auch, gnädigster Prinz, daß "Nichts weniger. Ich bestimme nichts, ich ne
an ihrem Mittelpunkte, ſo würde ſich nie ein Welt¬ Aber wiſſen Sie auch, gnädigſter Prinz, daß „Nichts weniger. Ich beſtimme nichts, ich ne
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0144" n="136"/> an ihrem Mittelpunkte, ſo würde ſich nie ein Welt¬<lb/> meer bewegt haben.“</p><lb/> <p>Aber wiſſen Sie auch, gnädigſter Prinz, <hi rendition="#g">daß</hi><lb/> Sie bisher nur gegen ſich ſelbſt bewieſen haben?<lb/> Wenn es wahr iſt, wie Sie ſagen, daß der Menſch<lb/> nicht aus ſeinem Mittelpunkte weichen kann, wo¬<lb/> her Ihre eigene Anmaßung den Gang der Natur zu<lb/> beſtimmen? Wie können Sie es dann unternehmen,<lb/> die Regel feſt ſetzen zu wollen, nach der ſie<lb/> handelt?</p><lb/> <p>„Nichts weniger. Ich beſtimme nichts, ich<lb/> nehme ja nur hinweg, was die Menſchen mit <hi rendition="#g">ihr</hi><lb/> verwechſelt haben, was ſie aus ihrer eignen Bruſt<lb/> genommen, und durch praleriſche Titel aufge¬<lb/> ſchmückt haben. Was mir vorherging und was<lb/> mir folgen wird, ſehe ich als zwey ſchwarze un¬<lb/> durchdringliche Decken an, die an beyden Gränzen<lb/> des menſchlichen Lebens herunter hängen, und wel¬<lb/> che noch kein Lebender aufgezogen hat. Schon<lb/> viele hundert Generationen ſtehen mit der Fackel<lb/> davor, und rathen und rathen, was etwa dahin¬<lb/> ter ſeyn möchte. Viele ſehen ihren eigenen Schat¬<lb/> ten, die Geſtalten ihrer Leidenſchaft, vergrößert<lb/> auf der Decke der Zukunft ſich bewegen, und fah¬<lb/> ren ſchaudernd vor ihrem eigenen Bilde zuſammen.<lb/> Dichter, Philoſophen und Staatenſtifter haben ſie<lb/> mit ihren Träumen bemahlt, lachender oder fin¬<lb/> ſtrer, wie der Himmel über ihnen trüber oder<lb/> heiterer war; und von weitem täuſchte die Perſpek¬<lb/> tive. Auch manche Gaukler nüzten dieſe allgemei¬<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ne<lb/></fw> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [136/0144]
an ihrem Mittelpunkte, ſo würde ſich nie ein Welt¬
meer bewegt haben.“
Aber wiſſen Sie auch, gnädigſter Prinz, daß
Sie bisher nur gegen ſich ſelbſt bewieſen haben?
Wenn es wahr iſt, wie Sie ſagen, daß der Menſch
nicht aus ſeinem Mittelpunkte weichen kann, wo¬
her Ihre eigene Anmaßung den Gang der Natur zu
beſtimmen? Wie können Sie es dann unternehmen,
die Regel feſt ſetzen zu wollen, nach der ſie
handelt?
„Nichts weniger. Ich beſtimme nichts, ich
nehme ja nur hinweg, was die Menſchen mit ihr
verwechſelt haben, was ſie aus ihrer eignen Bruſt
genommen, und durch praleriſche Titel aufge¬
ſchmückt haben. Was mir vorherging und was
mir folgen wird, ſehe ich als zwey ſchwarze un¬
durchdringliche Decken an, die an beyden Gränzen
des menſchlichen Lebens herunter hängen, und wel¬
che noch kein Lebender aufgezogen hat. Schon
viele hundert Generationen ſtehen mit der Fackel
davor, und rathen und rathen, was etwa dahin¬
ter ſeyn möchte. Viele ſehen ihren eigenen Schat¬
ten, die Geſtalten ihrer Leidenſchaft, vergrößert
auf der Decke der Zukunft ſich bewegen, und fah¬
ren ſchaudernd vor ihrem eigenen Bilde zuſammen.
Dichter, Philoſophen und Staatenſtifter haben ſie
mit ihren Träumen bemahlt, lachender oder fin¬
ſtrer, wie der Himmel über ihnen trüber oder
heiterer war; und von weitem täuſchte die Perſpek¬
tive. Auch manche Gaukler nüzten dieſe allgemei¬
ne
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