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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Das begreif ich.

"Erfüllt also das moralische Wesen die Bedin¬
gungen seiner Glückseligkeit, so tritt es eben da¬
durch wieder in den Plan der Natur ein, dem es
durch diesen abgesonderten Plan entzogen zu seyn
schien, eben so wie der Erdkörper durch den Fall
seiner Theile zu ihrem Centrum fähig gemacht wird,
die Ekliptik zu beschreiben. Durch Schmerz und
Vergnügen erfährt also das moralische Wesen jedes¬
mal nur die Verhältnisse seines gegenwärtigen Zu¬
standes zu dem Zustande seiner höchsten Vollkom¬
menheit, welcher einerley ist mit dem Zwecke der
Natur. Diesen Weiser hat und bedarf das orga¬
nische Wesen nicht, weil es sich durch sich selbst
dem Zustand seiner Vollkommenheit, d. i. Glückse¬
ligkeit voraus, mit dieser aber auch die Warnung,
wenn es davon abweicht, oder das Leiden. Hätte
eine elastische Kugel das Bewußtseyn ihres Zustan¬
des, so würde der Fingerdruck, der ihr eine flache
Form aufdringt, sie schmerzen, so würde sie mit
einem Gefühle von Wollust zu ihrer schönsten Rün¬
dung zurückkehren."

Ihre elastische Kraft dient ihr statt jenes
Gefühles.

"Aber eben so wenig Aehnlichkeit die schnelle
Bewegung, die wir Feuer nennen, mit der Em¬
pfindung des Brennens, oder die kubische Form ei¬
nes Salzes mit seinem bittern Geschmacke hat, eben
so wenig Aehnlichkeit hat das Gefühl, das wir
Glückseligkeit nennen, mit dem Zustand unsrer in¬
nern Vollkommenheit, den es begleitet, oder mit

dem

Das begreif ich.

„Erfüllt alſo das moraliſche Weſen die Bedin¬
gungen ſeiner Glückſeligkeit, ſo tritt es eben da¬
durch wieder in den Plan der Natur ein, dem es
durch dieſen abgeſonderten Plan entzogen zu ſeyn
ſchien, eben ſo wie der Erdkörper durch den Fall
ſeiner Theile zu ihrem Centrum fähig gemacht wird,
die Ekliptik zu beſchreiben. Durch Schmerz und
Vergnügen erfährt alſo das moraliſche Weſen jedes¬
mal nur die Verhältniſſe ſeines gegenwärtigen Zu¬
ſtandes zu dem Zuſtande ſeiner höchſten Vollkom¬
menheit, welcher einerley iſt mit dem Zwecke der
Natur. Dieſen Weiſer hat und bedarf das orga¬
niſche Weſen nicht, weil es ſich durch ſich ſelbſt
dem Zuſtand ſeiner Vollkommenheit, d. i. Glückſe¬
ligkeit voraus, mit dieſer aber auch die Warnung,
wenn es davon abweicht, oder das Leiden. Hätte
eine elaſtiſche Kugel das Bewußtſeyn ihres Zuſtan¬
des, ſo würde der Fingerdruck, der ihr eine flache
Form aufdringt, ſie ſchmerzen, ſo würde ſie mit
einem Gefühle von Wolluſt zu ihrer ſchönſten Rün¬
dung zurückkehren.“

Ihre elaſtiſche Kraft dient ihr ſtatt jenes
Gefühles.

„Aber eben ſo wenig Aehnlichkeit die ſchnelle
Bewegung, die wir Feuer nennen, mit der Em¬
pfindung des Brennens, oder die kubiſche Form ei¬
nes Salzes mit ſeinem bittern Geſchmacke hat, eben
ſo wenig Aehnlichkeit hat das Gefühl, das wir
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[134/0142] Das begreif ich. „Erfüllt alſo das moraliſche Weſen die Bedin¬ gungen ſeiner Glückſeligkeit, ſo tritt es eben da¬ durch wieder in den Plan der Natur ein, dem es durch dieſen abgeſonderten Plan entzogen zu ſeyn ſchien, eben ſo wie der Erdkörper durch den Fall ſeiner Theile zu ihrem Centrum fähig gemacht wird, die Ekliptik zu beſchreiben. Durch Schmerz und Vergnügen erfährt alſo das moraliſche Weſen jedes¬ mal nur die Verhältniſſe ſeines gegenwärtigen Zu¬ ſtandes zu dem Zuſtande ſeiner höchſten Vollkom¬ menheit, welcher einerley iſt mit dem Zwecke der Natur. Dieſen Weiſer hat und bedarf das orga¬ niſche Weſen nicht, weil es ſich durch ſich ſelbſt dem Zuſtand ſeiner Vollkommenheit, d. i. Glückſe¬ ligkeit voraus, mit dieſer aber auch die Warnung, wenn es davon abweicht, oder das Leiden. Hätte eine elaſtiſche Kugel das Bewußtſeyn ihres Zuſtan¬ des, ſo würde der Fingerdruck, der ihr eine flache Form aufdringt, ſie ſchmerzen, ſo würde ſie mit einem Gefühle von Wolluſt zu ihrer ſchönſten Rün¬ dung zurückkehren.“ Ihre elaſtiſche Kraft dient ihr ſtatt jenes Gefühles. „Aber eben ſo wenig Aehnlichkeit die ſchnelle Bewegung, die wir Feuer nennen, mit der Em¬ pfindung des Brennens, oder die kubiſche Form ei¬ nes Salzes mit ſeinem bittern Geſchmacke hat, eben ſo wenig Aehnlichkeit hat das Gefühl, das wir Glückſeligkeit nennen, mit dem Zuſtand unſrer in¬ nern Vollkommenheit, den es begleitet, oder mit dem

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/142>, abgerufen am 24.11.2024.