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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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tasienwelt verschlossen, war er sehr oft ein Fremd¬
ling in der wirklichen -- und weil er wohl wußte,
wie schlecht er beobachtete, so verbot er sich jedes Ur¬
theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬
des. Niemand war mehr dazu gebohren, sich be¬
herrschen zu lassen, ohne schwach zu seyn. Dabey
war er unerschrocken und zuverlässig, sobald er
einmal überzeugt war, und besaß gleich großen
Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und
für ein anderes zu sterben.

Als der dritte Prinz seines Hauses hatte er kei¬
ne wahrscheinliche Aussicht zur Regierung. Sein
Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenschaften
hatten eine andre Richtung genommen.

Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬
gen, drang er den seinigen niemand zum Gesetze
auf; die geräuschlose Ruhe eines zwanglosen Pri¬
vatlebens begränzte alle seine Wünsche. Er las
viel, doch ohne Wahl. Eine nachlässige Erziehung
und frühe Kriegsdienste hatten seinen Geist nicht zur
Reife kommen lassen. Alle Kenntnisse die er nach¬
her schöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos
seiner Begriffe, weil sie auf keinen festen Grund
gebauet waren.

Er war Protestant, wie seine ganze Familie --
durch Geburt, nicht nach Untersuchung, die er nie
angestellt hatte, ob er gleich in einer Epoche seines
Lebens, Schwärmer darin gewesen war. Macon
ist er, so viel ich weiß, nie geworden.


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taſienwelt verſchloſſen, war er ſehr oft ein Fremd¬
ling in der wirklichen — und weil er wohl wußte,
wie ſchlecht er beobachtete, ſo verbot er ſich jedes Ur¬
theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬
des. Niemand war mehr dazu gebohren, ſich be¬
herrſchen zu laſſen, ohne ſchwach zu ſeyn. Dabey
war er unerſchrocken und zuverläſſig, ſobald er
einmal überzeugt war, und beſaß gleich großen
Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und
für ein anderes zu ſterben.

Als der dritte Prinz ſeines Hauſes hatte er kei¬
ne wahrſcheinliche Ausſicht zur Regierung. Sein
Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenſchaften
hatten eine andre Richtung genommen.

Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬
gen, drang er den ſeinigen niemand zum Geſetze
auf; die geräuſchloſe Ruhe eines zwangloſen Pri¬
vatlebens begränzte alle ſeine Wünſche. Er las
viel, doch ohne Wahl. Eine nachläſſige Erziehung
und frühe Kriegsdienſte hatten ſeinen Geiſt nicht zur
Reife kommen laſſen. Alle Kenntniſſe die er nach¬
her ſchöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos
ſeiner Begriffe, weil ſie auf keinen feſten Grund
gebauet waren.

Er war Proteſtant, wie ſeine ganze Familie —
durch Geburt, nicht nach Unterſuchung, die er nie
angeſtellt hatte, ob er gleich in einer Epoche ſeines
Lebens, Schwärmer darin geweſen war. Maçon
iſt er, ſo viel ich weiß, nie geworden.


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[5/0013] taſienwelt verſchloſſen, war er ſehr oft ein Fremd¬ ling in der wirklichen — und weil er wohl wußte, wie ſchlecht er beobachtete, ſo verbot er ſich jedes Ur¬ theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬ des. Niemand war mehr dazu gebohren, ſich be¬ herrſchen zu laſſen, ohne ſchwach zu ſeyn. Dabey war er unerſchrocken und zuverläſſig, ſobald er einmal überzeugt war, und beſaß gleich großen Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und für ein anderes zu ſterben. Als der dritte Prinz ſeines Hauſes hatte er kei¬ ne wahrſcheinliche Ausſicht zur Regierung. Sein Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenſchaften hatten eine andre Richtung genommen. Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬ gen, drang er den ſeinigen niemand zum Geſetze auf; die geräuſchloſe Ruhe eines zwangloſen Pri¬ vatlebens begränzte alle ſeine Wünſche. Er las viel, doch ohne Wahl. Eine nachläſſige Erziehung und frühe Kriegsdienſte hatten ſeinen Geiſt nicht zur Reife kommen laſſen. Alle Kenntniſſe die er nach¬ her ſchöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos ſeiner Begriffe, weil ſie auf keinen feſten Grund gebauet waren. Er war Proteſtant, wie ſeine ganze Familie — durch Geburt, nicht nach Unterſuchung, die er nie angeſtellt hatte, ob er gleich in einer Epoche ſeines Lebens, Schwärmer darin geweſen war. Maçon iſt er, ſo viel ich weiß, nie geworden. Eines A 3

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/13>, abgerufen am 27.11.2024.