Baron von F*** an den Grafen von O***. Erster Brief.
May 17**.
Dank Ihnen, sehr verehrter Freund, daß Sie mir die Erlaubniß ertheilt haben, auch abwesend den vertrauten Umgang mit Ihnen fortzusetzen, der während Ihres Hierseyns meine beste Freude aus¬ machte. Hier, das wissen Sie, ist niemand, ge¬ gen den ich es wagen dürfte, mich über gewisse Dinge herauszulassen -- was Sie mir auch dagegen sagen mögen, dieses Volk ist mir verhaßt. Seitdem der Prinz einer davon geworden ist, und seitdem vol¬ lends Sie uns entrissen sind, bin ich mitten in die¬ ser volkreichen Stadt verlassen. Z*** nimmt es leichter, und die Schönen in Venedig wissen ihm die Kränkungen vergessen zu machen, die er zu Hause mit mir theilen muß. Und was hätte er sich auch darüber zu grämen? Er sieht und verlangt in dem Prinzen nichts, als einen Herrn, den er überall findet -- aber ich! Sie wissen, wie nahe ich das Wohl und Weh unsers Prinzen an meinem Herzen fühle, und wie sehr ich Ursache dazu habe. Sechszehn Jahre sind's, daß ich um seine Person lebe, daß ich nur für ihn lebe. Als ein neunjäh¬ riger Knabe kam ich in seine Dienste, und seit die¬ ser Zeit hat mich kein Schicksal von ihm getrennt. Unter seinen Augen bin ich geworden; ein langer Umgang hat mich ihm zugebildet; alle seine großen
und
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Baron von F*** an den Grafen von O***. Erſter Brief.
May 17**.
Dank Ihnen, ſehr verehrter Freund, daß Sie mir die Erlaubniß ertheilt haben, auch abweſend den vertrauten Umgang mit Ihnen fortzuſetzen, der während Ihres Hierſeyns meine beſte Freude aus¬ machte. Hier, das wiſſen Sie, iſt niemand, ge¬ gen den ich es wagen dürfte, mich über gewiſſe Dinge herauszulaſſen — was Sie mir auch dagegen ſagen mögen, dieſes Volk iſt mir verhaßt. Seitdem der Prinz einer davon geworden iſt, und ſeitdem vol¬ lends Sie uns entriſſen ſind, bin ich mitten in die¬ ſer volkreichen Stadt verlaſſen. Z*** nimmt es leichter, und die Schönen in Venedig wiſſen ihm die Kränkungen vergeſſen zu machen, die er zu Hauſe mit mir theilen muß. Und was hätte er ſich auch darüber zu grämen? Er ſieht und verlangt in dem Prinzen nichts, als einen Herrn, den er überall findet — aber ich! Sie wiſſen, wie nahe ich das Wohl und Weh unſers Prinzen an meinem Herzen fühle, und wie ſehr ich Urſache dazu habe. Sechszehn Jahre ſind's, daß ich um ſeine Perſon lebe, daß ich nur für ihn lebe. Als ein neunjäh¬ riger Knabe kam ich in ſeine Dienſte, und ſeit die¬ ſer Zeit hat mich kein Schickſal von ihm getrennt. Unter ſeinen Augen bin ich geworden; ein langer Umgang hat mich ihm zugebildet; alle ſeine großen
und
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Baron von F*** an den Grafen
von O***.
Erſter Brief.
May 17**.
Dank Ihnen, ſehr verehrter Freund, daß Sie
mir die Erlaubniß ertheilt haben, auch abweſend
den vertrauten Umgang mit Ihnen fortzuſetzen, der
während Ihres Hierſeyns meine beſte Freude aus¬
machte. Hier, das wiſſen Sie, iſt niemand, ge¬
gen den ich es wagen dürfte, mich über gewiſſe
Dinge herauszulaſſen — was Sie mir auch dagegen
ſagen mögen, dieſes Volk iſt mir verhaßt. Seitdem
der Prinz einer davon geworden iſt, und ſeitdem vol¬
lends Sie uns entriſſen ſind, bin ich mitten in die¬
ſer volkreichen Stadt verlaſſen. Z*** nimmt
es leichter, und die Schönen in Venedig wiſſen ihm
die Kränkungen vergeſſen zu machen, die er zu
Hauſe mit mir theilen muß. Und was hätte er ſich
auch darüber zu grämen? Er ſieht und verlangt
in dem Prinzen nichts, als einen Herrn, den er
überall findet — aber ich! Sie wiſſen, wie nahe
ich das Wohl und Weh unſers Prinzen an meinem
Herzen fühle, und wie ſehr ich Urſache dazu habe.
Sechszehn Jahre ſind's, daß ich um ſeine Perſon
lebe, daß ich nur für ihn lebe. Als ein neunjäh¬
riger Knabe kam ich in ſeine Dienſte, und ſeit die¬
ſer Zeit hat mich kein Schickſal von ihm getrennt.
Unter ſeinen Augen bin ich geworden; ein langer
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/113>, abgerufen am 22.02.2025.
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