Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.nen er sich während seines ganzen Lebens nie ganz Her¬
nen er ſich während ſeines ganzen Lebens nie ganz Her¬
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0101" n="93"/> nen er ſich während ſeines ganzen Lebens nie ganz<lb/> losmachen konnte. Religiöſe Melancholie war eine<lb/> Erbkrankheit in ſeiner Familie; die Erziehung, wel¬<lb/> che man ihm und ſeinen Brüdern geben ließ, war<lb/> dieſer Diſpoſition angemeſſen, die Menſchen, denen<lb/> man ſie anvertraute, aus dieſem Geſichtspunkte<lb/> gewählt, alſo entweder Schwärmer oder Heuchler.<lb/> Alle Lebhaftigkeit des Knaben in einem dumpfen<lb/> Geiſteszwange zu erſticken, war das einzige Mittel,<lb/> ſich der höchſten Zufriedenheit der fürſtlichen Ael¬<lb/> tern zu verſichern. Dieſe ſchwarze nächtliche Ge¬<lb/> ſtalt hatte die ganze Jugendzeit unſers Prinzen;<lb/> ſelbſt aus ſeinen Spielen war die Freude ver¬<lb/> bannt. Alle ſeine Vorſtellungen von Religion hat¬<lb/> ten etwas Fürchterliches an ſich, und eben das<lb/> Grauenvolle und Derbe war es, was ſich ſeiner<lb/> lebhaften Einbildungskraft zuerſt bemächtigte, und<lb/> ſich auch am längſten darin erhielt. Sein Gott<lb/> war ein Schreckbild, ein ſtrafendes Weſen; ſeine<lb/> Gottesverehrung knechtiſches Zittern oder blinde,<lb/> alle Kraft und Kühnheit erſtickende Ergebung.<lb/> Auf allen ſeinen kindiſchen und jugendlichen Nei¬<lb/> gungen, denen ein derber Körper und eine blühen¬<lb/> de Geſundheit um ſo kraftvollere Exploſionen gab,<lb/> ſtand ihm die Religion im Wege; mit allem, wor¬<lb/> an ſein jugendliches Herz ſich hing, lag ſie im<lb/> Streite, er lernte ſie nie als eine Wohlthat, nur<lb/> als eine Geißel ſeiner Leidenſchaften kennen. So<lb/> entbrannte allmählig eine ſtille Indignation gegen<lb/> ſie in ſeinem Herzen, welche mit einem reſpektvol¬<lb/> len Glauben und blinder Furcht in ſeinem Kopf und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Her¬<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0101]
nen er ſich während ſeines ganzen Lebens nie ganz
losmachen konnte. Religiöſe Melancholie war eine
Erbkrankheit in ſeiner Familie; die Erziehung, wel¬
che man ihm und ſeinen Brüdern geben ließ, war
dieſer Diſpoſition angemeſſen, die Menſchen, denen
man ſie anvertraute, aus dieſem Geſichtspunkte
gewählt, alſo entweder Schwärmer oder Heuchler.
Alle Lebhaftigkeit des Knaben in einem dumpfen
Geiſteszwange zu erſticken, war das einzige Mittel,
ſich der höchſten Zufriedenheit der fürſtlichen Ael¬
tern zu verſichern. Dieſe ſchwarze nächtliche Ge¬
ſtalt hatte die ganze Jugendzeit unſers Prinzen;
ſelbſt aus ſeinen Spielen war die Freude ver¬
bannt. Alle ſeine Vorſtellungen von Religion hat¬
ten etwas Fürchterliches an ſich, und eben das
Grauenvolle und Derbe war es, was ſich ſeiner
lebhaften Einbildungskraft zuerſt bemächtigte, und
ſich auch am längſten darin erhielt. Sein Gott
war ein Schreckbild, ein ſtrafendes Weſen; ſeine
Gottesverehrung knechtiſches Zittern oder blinde,
alle Kraft und Kühnheit erſtickende Ergebung.
Auf allen ſeinen kindiſchen und jugendlichen Nei¬
gungen, denen ein derber Körper und eine blühen¬
de Geſundheit um ſo kraftvollere Exploſionen gab,
ſtand ihm die Religion im Wege; mit allem, wor¬
an ſein jugendliches Herz ſich hing, lag ſie im
Streite, er lernte ſie nie als eine Wohlthat, nur
als eine Geißel ſeiner Leidenſchaften kennen. So
entbrannte allmählig eine ſtille Indignation gegen
ſie in ſeinem Herzen, welche mit einem reſpektvol¬
len Glauben und blinder Furcht in ſeinem Kopf und
Her¬
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