Schiller, Friedrich: Dom Karlos, Infant von Spanien. Leipzig, 1787.Dom Karlos. Großinquisitor. Nein! Ich bin nicht mit Ihnen zufrieden -- Ihren ganzen vorigen Regentenlauf zu lästern! Wo war damals der Philipp, dessen feste Seele wie der Angelstern am Himmel unverändert und ewig um sich selber treibt? War eine ganze Vergangenheit versunken hinter Ihnen? War in dem Augenblick die Welt nicht mehr die nämliche, da Sie die Hand ihm boten? Gift nicht mehr Gift? War zwischen Gut und Übel und Wahr und Falsch die Scheidewand gefal- len? Was ist ein Vorsatz? Was Beständigkeit? Was Männertreue, wenn in einer lauen Minute eine sechzigjähr'ge Regel wie eines Weibes Laune schmilzt? König. Ich sah in seine Augen -- Halten Sie mir diesen Rückfall in die Sterblichkeit zu gut. Die Welt hat einen Zugang weniger zu Ihnen. Ihre Augen sind erloschen. Dom Karlos. Großinquiſitor. Nein! Ich bin nicht mit Ihnen zufrieden — Ihren ganzen vorigen Regentenlauf zu läſtern! Wo war damals der Philipp, deſſen feſte Seele wie der Angelſtern am Himmel unverändert und ewig um ſich ſelber treibt? War eine ganze Vergangenheit verſunken hinter Ihnen? War in dem Augenblick die Welt nicht mehr die nämliche, da Sie die Hand ihm boten? Gift nicht mehr Gift? War zwiſchen Gut und Übel und Wahr und Falſch die Scheidewand gefal- len? Was iſt ein Vorſatz? Was Beſtändigkeit? Was Männertreue, wenn in einer lauen Minute eine ſechzigjähr’ge Regel wie eines Weibes Laune ſchmilzt? König. Ich ſah in ſeine Augen — Halten Sie mir dieſen Rückfall in die Sterblichkeit zu gut. Die Welt hat einen Zugang weniger zu Ihnen. Ihre Augen ſind erloſchen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0500" n="488"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dom Karlos</hi>.</fw><lb/> <sp who="#GROSS"> <speaker><hi rendition="#g">Großinquiſitor</hi>.</speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Nein! Ich bin nicht mit Ihnen</hi><lb/> zufrieden — Ihren ganzen vorigen<lb/> Regentenlauf zu läſtern! Wo war damals<lb/> der Philipp, deſſen feſte Seele wie<lb/> der Angelſtern am Himmel unverändert<lb/> und ewig um ſich ſelber treibt? War eine<lb/> ganze<lb/> Vergangenheit verſunken hinter Ihnen?<lb/> War in dem Augenblick die Welt nicht mehr<lb/> die nämliche, da Sie die Hand ihm boten?<lb/> Gift nicht mehr Gift? War zwiſchen Gut<lb/> und Übel<lb/> und Wahr und Falſch die Scheidewand gefal-<lb/> len?<lb/> Was iſt ein Vorſatz? Was Beſtändigkeit?<lb/> Was Männertreue, wenn in einer lauen<lb/> Minute eine ſechzigjähr’ge Regel<lb/> wie eines Weibes Laune ſchmilzt?</p> </sp><lb/> <sp who="#KOENIG"> <speaker><hi rendition="#g">König</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich ſah in ſeine Augen — Halten Sie<lb/> mir dieſen Rückfall in die Sterblichkeit<lb/> zu gut. Die Welt hat einen Zugang weniger<lb/> zu Ihnen. Ihre Augen ſind erloſchen.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [488/0500]
Dom Karlos.
Großinquiſitor.
Nein! Ich bin nicht mit Ihnen
zufrieden — Ihren ganzen vorigen
Regentenlauf zu läſtern! Wo war damals
der Philipp, deſſen feſte Seele wie
der Angelſtern am Himmel unverändert
und ewig um ſich ſelber treibt? War eine
ganze
Vergangenheit verſunken hinter Ihnen?
War in dem Augenblick die Welt nicht mehr
die nämliche, da Sie die Hand ihm boten?
Gift nicht mehr Gift? War zwiſchen Gut
und Übel
und Wahr und Falſch die Scheidewand gefal-
len?
Was iſt ein Vorſatz? Was Beſtändigkeit?
Was Männertreue, wenn in einer lauen
Minute eine ſechzigjähr’ge Regel
wie eines Weibes Laune ſchmilzt?
König.
Ich ſah in ſeine Augen — Halten Sie
mir dieſen Rückfall in die Sterblichkeit
zu gut. Die Welt hat einen Zugang weniger
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