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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708.

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N. 9.)



Schweizerische
Berg-Reisen.


SEine Gefehrten waren in grossen Aengsten/ sie konten dem ehrlichen
Störi/ den sie auß dem Gesicht verlohren/ nicht helffen/ und versahen
sich nichts anders/ als daß er bereits tod/ oder in leisten Zügen were/
oder bäldest umkommen werde/ theils von dem Fall/ theils von der Kälte/
befahlen also seine Seele Gott. Gleichwolen/ damit sie das jenige mögliche
vorkehreten/ welches zu rettung des gefallenen dienen könte/ eileten sie zu der
nächsten Sennhütten/ so eine Meil von dannen abgelegen ware/ um daselbst
Raht und Hilff zu suchen. Allhier funden sie nichts als eine rauhe Bett-
decke/ welche sie in Riemen zerschnitten/ und mit sich zuruck nahmen/ um sie
in den Firen-Spalt hinunter zu lassen. Währender der Zeit war unser
Störi von Kälte halb erstarret/ bis auf halben Leib in dem Eiswasser/
dessen übrige Tieffe er mit den Augen nicht ergründen möchte/ mit dem obe-
ren Leib und Armen sperrete er sich beyderseits an den Eiswänden/ sande
sich also in einem grimmigkalten/ engen/ und doch unergründtlich tieffen/
Kerker/ inwelchem wider ihne stritten das Wasser/ die Luft/ und das Eis/
von welchen Elementen das erste ihne wolte verschlingen/ das andere erste-
cken/ und durch aufligende Schwerkraft vertrucken/ das dritte wegen seiner
Schlipferigkeit nicht halten. Wie ihm hierbey zu Muht gewesen/ kan ein
jeder leicht bey sich selbs ermessen. Er verfahe sich nichts anders/ als des
Tods/ und empfahle seine Seel in die Hand Gottes/ welche ihne also in sei-
nen engen Nöhten stärkte/ daß er den von seinen Gefehrten herabgelassenen
Riemen könte um den Leib anbinden. Durch dises Mittel wurde der gute
Jäger auß der Grube heraufgezogen/ in so weit/ daß man ihn schier errei-
chen könte. Was geschihet? Als ex fast zu oberst ware/ bricht der Hülffs-
Riemen entzwey/ und fallet unser Candidatus Mortis widerum in das Eis-
grab herunter. Bey diser Begebenheit vergrösserte sich die Gefahr aufs
neue. Einen Theil des gebrochenen Riemen nahme er zu allem Unglück mit
sich/ und ware das übrige/ in Händen seiner Helfferen gebliebene Stück nicht
lang genug hinab zu reichen. Nebst deme brache dem Jäger in disem neuen
Fall der Arm entzwey. Bey so bewandten Dingen entfallet denen Gefehr-
ten der Muht noch nicht/ sie schneiden die Riemen noch einmahl der länge
nach entzwey/ und lassen sie herunter. Dise bindet der Jäger mit dem gebro-

chenen
N. 9.)



Schweizeriſche
Berg-Reiſen.


SEine Gefehrten waren in groſſen Aengſten/ ſie konten dem ehrlichen
Stoͤri/ den ſie auß dem Geſicht verlohren/ nicht helffen/ und verſahen
ſich nichts anders/ als daß er bereits tod/ oder in leiſten Zuͤgen were/
oder baͤldeſt umkommen werde/ theils von dem Fall/ theils von der Kaͤlte/
befahlen alſo ſeine Seele Gott. Gleichwolen/ damit ſie das jenige moͤgliche
vorkehreten/ welches zu rettung des gefallenen dienen koͤnte/ eileten ſie zu der
naͤchſten Sennhütten/ ſo eine Meil von dannen abgelegen ware/ um daſelbſt
Raht und Hilff zu ſuchen. Allhier funden ſie nichts als eine rauhe Bett-
decke/ welche ſie in Riemen zerſchnitten/ und mit ſich zuruck nahmen/ um ſie
in den Firen-Spalt hinunter zu laſſen. Waͤhrender der Zeit war unſer
Stoͤri von Kaͤlte halb erſtarꝛet/ bis auf halben Leib in dem Eiswaſſer/
deſſen uͤbrige Tieffe er mit den Augen nicht ergruͤnden moͤchte/ mit dem obe-
ren Leib und Armen ſperꝛete er ſich beyderſeits an den Eiswaͤnden/ ſande
ſich alſo in einem grimmigkalten/ engen/ und doch unergruͤndtlich tieffen/
Kerker/ inwelchem wider ihne ſtritten das Waſſer/ die Luft/ und das Eis/
von welchen Elementen das erſte ihne wolte verſchlingen/ das andere erſte-
cken/ und durch aufligende Schwerkraft vertrucken/ das dritte wegen ſeiner
Schlipferigkeit nicht halten. Wie ihm hierbey zu Muht geweſen/ kan ein
jeder leicht bey ſich ſelbs ermeſſen. Er verfahe ſich nichts anders/ als des
Tods/ und empfahle ſeine Seel in die Hand Gottes/ welche ihne alſo in ſei-
nen engen Noͤhten ſtaͤrkte/ daß er den von ſeinen Gefehrten herabgelaſſenen
Riemen koͤnte um den Leib anbinden. Durch diſes Mittel wurde der gute
Jaͤger auß der Grube heraufgezogen/ in ſo weit/ daß man ihn ſchier erꝛei-
chen koͤnte. Was geſchihet? Als ex faſt zu oberſt ware/ bricht der Hülffs-
Riemen entzwey/ und fallet unſer Candidatus Mortis widerum in das Eis-
grab herunter. Bey diſer Begebenheit vergroͤſſerte ſich die Gefahr aufs
neue. Einen Theil des gebrochenen Riemen nahme er zu allem Ungluͤck mit
ſich/ und ware das uͤbrige/ in Haͤnden ſeiner Helfferen gebliebene Stuͤck nicht
lang genug hinab zu reichen. Nebſt deme brache dem Jaͤger in diſem neuen
Fall der Arm entzwey. Bey ſo bewandten Dingen entfallet denen Gefehr-
ten der Muht noch nicht/ ſie ſchneiden die Riemen noch einmahl der laͤnge
nach entzwey/ und laſſen ſie herunter. Diſe bindet der Jaͤger mit dem gebro-

chenen
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[(33)[33]/0043] N. 9.) (Den 2. Mart. 1707. Schweizeriſche Berg-Reiſen. SEine Gefehrten waren in groſſen Aengſten/ ſie konten dem ehrlichen Stoͤri/ den ſie auß dem Geſicht verlohren/ nicht helffen/ und verſahen ſich nichts anders/ als daß er bereits tod/ oder in leiſten Zuͤgen were/ oder baͤldeſt umkommen werde/ theils von dem Fall/ theils von der Kaͤlte/ befahlen alſo ſeine Seele Gott. Gleichwolen/ damit ſie das jenige moͤgliche vorkehreten/ welches zu rettung des gefallenen dienen koͤnte/ eileten ſie zu der naͤchſten Sennhütten/ ſo eine Meil von dannen abgelegen ware/ um daſelbſt Raht und Hilff zu ſuchen. Allhier funden ſie nichts als eine rauhe Bett- decke/ welche ſie in Riemen zerſchnitten/ und mit ſich zuruck nahmen/ um ſie in den Firen-Spalt hinunter zu laſſen. Waͤhrender der Zeit war unſer Stoͤri von Kaͤlte halb erſtarꝛet/ bis auf halben Leib in dem Eiswaſſer/ deſſen uͤbrige Tieffe er mit den Augen nicht ergruͤnden moͤchte/ mit dem obe- ren Leib und Armen ſperꝛete er ſich beyderſeits an den Eiswaͤnden/ ſande ſich alſo in einem grimmigkalten/ engen/ und doch unergruͤndtlich tieffen/ Kerker/ inwelchem wider ihne ſtritten das Waſſer/ die Luft/ und das Eis/ von welchen Elementen das erſte ihne wolte verſchlingen/ das andere erſte- cken/ und durch aufligende Schwerkraft vertrucken/ das dritte wegen ſeiner Schlipferigkeit nicht halten. Wie ihm hierbey zu Muht geweſen/ kan ein jeder leicht bey ſich ſelbs ermeſſen. Er verfahe ſich nichts anders/ als des Tods/ und empfahle ſeine Seel in die Hand Gottes/ welche ihne alſo in ſei- nen engen Noͤhten ſtaͤrkte/ daß er den von ſeinen Gefehrten herabgelaſſenen Riemen koͤnte um den Leib anbinden. Durch diſes Mittel wurde der gute Jaͤger auß der Grube heraufgezogen/ in ſo weit/ daß man ihn ſchier erꝛei- chen koͤnte. Was geſchihet? Als ex faſt zu oberſt ware/ bricht der Hülffs- Riemen entzwey/ und fallet unſer Candidatus Mortis widerum in das Eis- grab herunter. Bey diſer Begebenheit vergroͤſſerte ſich die Gefahr aufs neue. Einen Theil des gebrochenen Riemen nahme er zu allem Ungluͤck mit ſich/ und ware das uͤbrige/ in Haͤnden ſeiner Helfferen gebliebene Stuͤck nicht lang genug hinab zu reichen. Nebſt deme brache dem Jaͤger in diſem neuen Fall der Arm entzwey. Bey ſo bewandten Dingen entfallet denen Gefehr- ten der Muht noch nicht/ ſie ſchneiden die Riemen noch einmahl der laͤnge nach entzwey/ und laſſen ſie herunter. Diſe bindet der Jaͤger mit dem gebro- chenen

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708, S. (33)[33]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten03_1708/43>, abgerufen am 21.11.2024.