Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewegung/ und Wärme/ zu bringen/ als die auf hohen Gebirgen/ welche in
grosser Dünnung stehet/ ihre Schnellfederlein freyer öffnet/ und folglich eine
geringere Kraft in unterligenden Schnee und Eis/ ja auch in die flüssigen
Säfte der Thieren und Pflantzen außübet. Von diser Betrachtung ist
meines bedunkens sonderlich herzuleiten die Ursach/ warum der Schnee eher
schmilze in nidrig ligenden/ aber ebenen Landen/ wie die Niderlande seyn/ als
aufhohen Bergen.

Nun komme zu denen Eisbergen des Schweitzerlands/ welche eins der
vornehmsten Naturwunderen/ so in unseren Landen sich finden/ außmachen/
und deßwegen verdienen/ aufs genaueste beschrieben zuwerden.

-- -- -- Glacies heic Matris ab alvo
Excipit, & teneros durat in frigoris artus
Custodum pecoris: siccos quum Sirius ardens
Urit agrosalibi, rigidis in cautibus illic,
Regna tenet deformis Hyems, Caurique furentes
Bella ferunt, altaeque Nives in montibus altis
Extractae terramque gravant & horrida saxa:
Ipse fremens sonitu caput inter nubila condit
Phoebeosque procul scopulos intercipit Ignes:
Innumeris circum Glacies Crystallina seclis
Indurata riget.

Chytrae Itiner. Venet. p. 54. 55. Dises ewige Eis nennet man in un-
serer Alpvölkeren Sprach gemeinlich Gletscher/ Glettscher/ und die
Eisberg selbs Glettscher/ Glettscheri, zweifelsohne von Glacie, Eis/ wie
also auch muthmasset Simler de Alpib. p. 74. b. Ein gelehrter Herr und
Freund J. H. H. M. D. welcher von den Gletscheren eine besondere Disserta-
tion
geschrieben/ haltet darvor/ das Gletscher/ Glesser seye ein alt
Schweitzerisch Celtisches Wort/ und komme her vom Glaß/ welches die
alten Teutschen Gleß genennet vom glantzen/ gleissen/ glantzen/ weil es gleich
einem Glaß glantzend durchsichtig. Zu bekräftigung dessen kan dienen/ daß
die Pündtner in Engadein die Gletscher heissen Wadret/ und die Filisurer
Wadrez von Waider, welches bedeutet vitrum ein Glaß/ andere Pündtner
Vedreg, die Jtaliener Vedretto, von vedro, vetro, vitro. Wie wann
dises Wort Glettscher so vil bedeutete als galazios, oder mit außschliessung
des ersten a glazios, wormit die jüngeren Griechen benennen eine grünblaue
Farb/ kallainon, in Manuelis Malaxi Chron. Msc? Dann unser Bergeis
galaizei, colorem galazoprasinon, eine solche grüne Farb an sich hat/ welche
auch an dem Nord-Eis gewahret Isaac Peirerius de Groenland. p. 14. 15.

Martens

Bewegung/ und Waͤrme/ zu bringen/ als die auf hohen Gebirgen/ welche in
groſſer Dünnung ſtehet/ ihre Schnellfederlein freyer oͤffnet/ und folglich eine
geringere Kraft in unterligenden Schnee und Eis/ ja auch in die fluͤſſigen
Saͤfte der Thieren und Pflantzen außuͤbet. Von diſer Betrachtung iſt
meines bedunkens ſonderlich herzuleiten die Urſach/ warum der Schnee eher
ſchmilze in nidrig ligenden/ aber ebenen Landen/ wie die Niderlande ſeyn/ als
aufhohen Bergen.

Nun komme zu denen Eisbergen des Schweitzerlands/ welche eins der
vornehmſten Naturwunderen/ ſo in unſeren Landen ſich finden/ außmachen/
und deßwegen verdienen/ aufs genaueſte beſchrieben zuwerden.

— — — Glacies hîc Matris ab alvo
Excipit, & teneros durat in frigoris artus
Cuſtodum pecoris: ſiccos quum Sirius ardens
Urit agroſalibi, rigidis in cautibus illic,
Regna tenet deformis Hyems, Caurique furentes
Bella ferunt, altæque Nives in montibus altis
Extractæ terramque gravant & horrida ſaxa:
Ipſe fremens ſonitu caput inter nubila condit
Phœbeoſque procul ſcopulos intercipit Ignes:
Innumeris circum Glacies Cryſtallina ſeclis
Indurata riget.

Chytræ Itiner. Venet. p. 54. 55. Diſes ewige Eis nennet man in un-
ſerer Alpvoͤlkeren Sprach gemeinlich Gletſcher/ Glettſcher/ und die
Eisberg ſelbs Glettſcher/ Glettſcheri, zweifelsohne von Glacie, Eis/ wie
alſo auch muthmaſſet Simler de Alpib. p. 74. b. Ein gelehrter Herꝛ und
Freund J. H. H. M. D. welcher von den Gletſcheren eine beſondere Diſſerta-
tion
geſchrieben/ haltet darvor/ das Gletſcher/ Gleſſer ſeye ein alt
Schweitzeriſch Celtiſches Wort/ und komme her vom Glaß/ welches die
alten Teutſchen Gleß genennet vom glantzen/ gleiſſen/ glantzen/ weil es gleich
einem Glaß glantzend durchſichtig. Zu bekraͤftigung deſſen kan dienen/ daß
die Puͤndtner in Engadein die Gletſcher heiſſen Wadret/ und die Filiſurer
Wadrez von Waider, welches bedeutet vitrum ein Glaß/ andere Puͤndtner
Vedreg, die Jtaliener Vedretto, von vedro, vetro, vitro. Wie wann
diſes Wort Glettſcher ſo vil bedeutete als γαλάζιος, oder mit außſchlieſſung
des erſten α γλάζιος, wormit die juͤngeren Griechen benennen eine gruͤnblaue
Farb/ καλλαίνον, in Manuelis Malaxi Chron. Mſc? Dann unſer Bergeis
γαλαίζει, colorem γαλαζοπράσινον, eine ſolche gruͤne Farb an ſich hat/ welche
auch an dem Nord-Eis gewahret Iſaac Peirerius de Groenland. p. 14. 15.

Martens
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="106"/>
Bewegung/ und Wa&#x0364;rme/ zu bringen/ als die auf hohen Gebirgen/ welche in<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;er Dünnung &#x017F;tehet/ ihre Schnellfederlein freyer o&#x0364;ffnet/ und folglich eine<lb/>
geringere Kraft in unterligenden Schnee und Eis/ ja auch in die flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen<lb/>
Sa&#x0364;fte der Thieren und Pflantzen außu&#x0364;bet. Von di&#x017F;er Betrachtung i&#x017F;t<lb/>
meines bedunkens &#x017F;onderlich herzuleiten die Ur&#x017F;ach/ warum der Schnee eher<lb/>
&#x017F;chmilze in nidrig ligenden/ aber ebenen Landen/ wie die Niderlande &#x017F;eyn/ als<lb/>
aufhohen Bergen.</p><lb/>
        <p>Nun komme zu denen Eisbergen des Schweitzerlands/ welche eins der<lb/>
vornehm&#x017F;ten Naturwunderen/ &#x017F;o in un&#x017F;eren Landen &#x017F;ich finden/ außmachen/<lb/>
und deßwegen verdienen/ aufs genaue&#x017F;te be&#x017F;chrieben zuwerden.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <l>&#x2014; &#x2014; &#x2014; <hi rendition="#aq">Glacies hîc Matris ab alvo</hi></l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Excipit, &amp; teneros durat in frigoris artus</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Cu&#x017F;todum pecoris: &#x017F;iccos quum Sirius ardens</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Urit agro&#x017F;alibi, rigidis in cautibus illic,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Regna tenet deformis Hyems, Caurique furentes</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Bella ferunt, altæque Nives in montibus altis</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Extractæ terramque gravant &amp; horrida &#x017F;axa:</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Ip&#x017F;e fremens &#x017F;onitu caput inter nubila condit</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Ph&#x0153;beo&#x017F;que procul &#x017F;copulos intercipit Ignes:</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Innumeris circum Glacies Cry&#x017F;tallina &#x017F;eclis</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Indurata riget.</hi> </l>
            </lg>
          </quote>
        </cit><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">Chytræ Itiner. Venet. p.</hi> 54. 55. Di&#x017F;es ewige Eis nennet man in un-<lb/>
&#x017F;erer Alpvo&#x0364;lkeren Sprach gemeinlich <hi rendition="#fr">Glet&#x017F;cher/ Glett&#x017F;cher/</hi> und die<lb/>
Eisberg &#x017F;elbs <hi rendition="#fr">Glett&#x017F;cher/</hi> <hi rendition="#aq">Glett&#x017F;cheri,</hi> zweifelsohne von <hi rendition="#aq">Glacie,</hi> Eis/ wie<lb/>
al&#x017F;o auch muthma&#x017F;&#x017F;et <hi rendition="#aq">Simler de Alpib. p. 74. b.</hi> Ein gelehrter Her&#xA75B; und<lb/>
Freund <hi rendition="#aq">J. H. H. M. D.</hi> welcher von den Glet&#x017F;cheren eine be&#x017F;ondere <hi rendition="#aq">Di&#x017F;&#x017F;erta-<lb/>
tion</hi> ge&#x017F;chrieben/ haltet darvor/ das <hi rendition="#fr">Glet&#x017F;cher/ Gle&#x017F;&#x017F;er</hi> &#x017F;eye ein alt<lb/>
Schweitzeri&#x017F;ch Celti&#x017F;ches Wort/ und komme her vom <hi rendition="#fr">Glaß/</hi> welches die<lb/>
alten Teut&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Gleß</hi> genennet vom glantzen/ glei&#x017F;&#x017F;en/ glantzen/ weil es gleich<lb/>
einem Glaß glantzend durch&#x017F;ichtig. Zu bekra&#x0364;ftigung de&#x017F;&#x017F;en kan dienen/ daß<lb/>
die Pu&#x0364;ndtner in Engadein die Glet&#x017F;cher hei&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">Wadret/</hi> und die Fili&#x017F;urer<lb/><hi rendition="#aq">Wadrez</hi> von <hi rendition="#aq">Waider,</hi> welches bedeutet <hi rendition="#aq">vitrum</hi> ein Glaß/ andere Pu&#x0364;ndtner<lb/><hi rendition="#aq">Vedreg,</hi> die Jtaliener <hi rendition="#aq">Vedretto,</hi> von <hi rendition="#aq">vedro, vetro, vitro.</hi> Wie wann<lb/>
di&#x017F;es Wort Glett&#x017F;cher &#x017F;o vil bedeutete als &#x03B3;&#x03B1;&#x03BB;&#x03AC;&#x03B6;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;, oder mit auß&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
des er&#x017F;ten &#x03B1; &#x03B3;&#x03BB;&#x03AC;&#x03B6;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;, wormit die ju&#x0364;ngeren Griechen benennen eine gru&#x0364;nblaue<lb/>
Farb/ &#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B1;&#x03AF;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD;, in <hi rendition="#aq">Manuelis Malaxi Chron. M&#x017F;c?</hi> Dann un&#x017F;er Bergeis<lb/>
&#x03B3;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B1;&#x03AF;&#x03B6;&#x03B5;&#x03B9;, <hi rendition="#aq">colorem</hi> &#x03B3;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B1;&#x03B6;&#x03BF;&#x03C0;&#x03C1;&#x03AC;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD;, eine &#x017F;olche gru&#x0364;ne Farb an &#x017F;ich hat/ welche<lb/>
auch an dem Nord-Eis gewahret <hi rendition="#aq">I&#x017F;aac Peirerius de Groenland. p.</hi> 14. 15.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">Martens</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0134] Bewegung/ und Waͤrme/ zu bringen/ als die auf hohen Gebirgen/ welche in groſſer Dünnung ſtehet/ ihre Schnellfederlein freyer oͤffnet/ und folglich eine geringere Kraft in unterligenden Schnee und Eis/ ja auch in die fluͤſſigen Saͤfte der Thieren und Pflantzen außuͤbet. Von diſer Betrachtung iſt meines bedunkens ſonderlich herzuleiten die Urſach/ warum der Schnee eher ſchmilze in nidrig ligenden/ aber ebenen Landen/ wie die Niderlande ſeyn/ als aufhohen Bergen. Nun komme zu denen Eisbergen des Schweitzerlands/ welche eins der vornehmſten Naturwunderen/ ſo in unſeren Landen ſich finden/ außmachen/ und deßwegen verdienen/ aufs genaueſte beſchrieben zuwerden. — — — Glacies hîc Matris ab alvo Excipit, & teneros durat in frigoris artus Cuſtodum pecoris: ſiccos quum Sirius ardens Urit agroſalibi, rigidis in cautibus illic, Regna tenet deformis Hyems, Caurique furentes Bella ferunt, altæque Nives in montibus altis Extractæ terramque gravant & horrida ſaxa: Ipſe fremens ſonitu caput inter nubila condit Phœbeoſque procul ſcopulos intercipit Ignes: Innumeris circum Glacies Cryſtallina ſeclis Indurata riget. Chytræ Itiner. Venet. p. 54. 55. Diſes ewige Eis nennet man in un- ſerer Alpvoͤlkeren Sprach gemeinlich Gletſcher/ Glettſcher/ und die Eisberg ſelbs Glettſcher/ Glettſcheri, zweifelsohne von Glacie, Eis/ wie alſo auch muthmaſſet Simler de Alpib. p. 74. b. Ein gelehrter Herꝛ und Freund J. H. H. M. D. welcher von den Gletſcheren eine beſondere Diſſerta- tion geſchrieben/ haltet darvor/ das Gletſcher/ Gleſſer ſeye ein alt Schweitzeriſch Celtiſches Wort/ und komme her vom Glaß/ welches die alten Teutſchen Gleß genennet vom glantzen/ gleiſſen/ glantzen/ weil es gleich einem Glaß glantzend durchſichtig. Zu bekraͤftigung deſſen kan dienen/ daß die Puͤndtner in Engadein die Gletſcher heiſſen Wadret/ und die Filiſurer Wadrez von Waider, welches bedeutet vitrum ein Glaß/ andere Puͤndtner Vedreg, die Jtaliener Vedretto, von vedro, vetro, vitro. Wie wann diſes Wort Glettſcher ſo vil bedeutete als γαλάζιος, oder mit außſchlieſſung des erſten α γλάζιος, wormit die juͤngeren Griechen benennen eine gruͤnblaue Farb/ καλλαίνον, in Manuelis Malaxi Chron. Mſc? Dann unſer Bergeis γαλαίζει, colorem γαλαζοπράσινον, eine ſolche gruͤne Farb an ſich hat/ welche auch an dem Nord-Eis gewahret Iſaac Peirerius de Groenland. p. 14. 15. Martens

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten03_1708
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten03_1708/134
Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten03_1708/134>, abgerufen am 24.11.2024.