Tröpflein. Ein solcher Kühlhelm seyn die mit Schnee und Eis belegte Spitzen unserer Bergen; weren dise nicht/ so wurden die aus dem Eingeweid der Erden/ durch die holen Gänge der Bergen/ aufsteigende Dünste aller Ohrten durchbrechen/ und in freyer Luft verfliegen/ folglich weder Brünnen/ noch Bäche/ noch Flüsse entspringen/ und unsere Berge und Thäler theils auß mangel des Wassers verdorren/ theils von grosser Kälte erstarren. Nicht nur aber dienet dise Schnee- und Eiskälte zu hinderhaltung der sonst außfliegenden Wassertheilen/ und samlung derselben in Brünnen/ Bäche/ folglich auch zur Nahrung der Pflanzen/ sondern es wird die zum Leben der Ge- wächsen und Thieren nöthige Erdenwärme durch sothane aufligende Kälte/ und über diß noch unter Begleit beständiger winden/ zurukgehalten/ daß sie nicht leicht außfliege/ sondern vilmehr zurukgetrieben in die Mundlöchlein der Wurtzen mit desto grösserer Kraft eintringe/ und die Bläßlein der Pflantzen auftreibe. Fraget man nach denen Ursachen/ warum der Schnee aufho- hen Gebirgen ewig bleibe/ da doch dieselben ihre Spizen so hoch in die Luft erheben/ daß sie von den Sonnenstralen allzeit können beschinnen werden/ obvii surgenti Phoebo? Ein in der Natur-Wissenschaft unerfahrner kan sich darein nicht richten/ vermeinende/ daß die jenigen Cörper/ so der Sonnen am nächsten/ auch sollen von derselben ein mehrere Wärme zu geniessen ha- ben. Es begegnet aber diserem Einwurff Seneca Lib. IV. Natural. Quae- stion. da er zeiget/ das die Höhe der Bergen keine proportion, oder gleichmaß habe gegen dem gantzen umkreiß der Erden/ wil geschweigen gegen der un- gläublichen Weite der Sonnen von der Erde. Ein Schullehrer/ deme die bekante Aristotelische Eintheilung der gantzen Luft in drey unterschiedli- che Quartier im Kopf steket/ wird bald sagen/ ihm komme dise Gegenwart des Schnees auf hohen Gebirgen nicht frembd vor/ weilen dort die mittlere Luft/ so von Natur kalt/ und eine Behausung der auch kalten Wolken seye. Es mag aber auch dise Vernünftelung keine scharpfe Prob außstehen. Besser urtheilet hiervon obbenennter weise Seneca, wann[unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen] an angezoge- nem Ohrt schreibet. Aerem, quo editior est sinceriorem puriorem que es- se, itaque Solem non retinere, sed velut per inane transmittere, ideoque mi- nus calefieri. Ad haec altiora loca magis perflari, depressa minus a ventis verberari. Aber auch diß schmeket nach der undeutlichkeit der alten Natur- Weißheit. Wir fassen die Sach also: Erstlich ist zuwissen/ daß auf hohen Gebirgen beständig blaset ein starke kalte Luft/ welche wie sie die Zeugung des Schnees beförderet/ also auch die Schmiltzung desselben hemmet. Daher auch die Alpen bey den Poeten folgende zunahmen bekamen/ ventosae, gelidae, nivosae, horridae, nubigenae, quae nive perpetua frigoribusque rigent. &c.
Troͤpflein. Ein ſolcher Kuͤhlhelm ſeyn die mit Schnee und Eis belegte Spitzen unſerer Bergen; weren diſe nicht/ ſo wurden die aus dem Eingeweid der Erden/ durch die holen Gaͤnge der Bergen/ aufſteigende Duͤnſte aller Ohrten durchbrechen/ und in freyer Luft verfliegen/ folglich weder Bruͤnnen/ noch Baͤche/ noch Flüſſe entſpringen/ und unſere Berge und Thaͤler theils auß mangel des Waſſers verdorꝛen/ theils von groſſer Kaͤlte erſtarꝛen. Nicht nur aber dienet diſe Schnee- und Eiskaͤlte zu hinderhaltung der ſonſt außfliegenden Waſſertheilen/ und ſamlung derſelben in Bruͤnnen/ Baͤche/ folglich auch zur Nahrung der Pflanzen/ ſondern es wird die zum Lebẽ der Ge- waͤchſen und Thieren noͤthige Erdenwaͤrme durch ſothane aufligende Kaͤlte/ und uͤber diß noch unter Begleit beſtaͤndiger winden/ zurukgehalten/ daß ſie nicht leicht außfliege/ ſondern vilmehr zurukgetrieben in die Mundloͤchlein der Wurtzen mit deſto groͤſſerer Kraft eintringe/ und die Blaͤßlein der Pflantzen auftreibe. Fraget man nach denen Urſachen/ warum der Schnee aufho- hen Gebirgen ewig bleibe/ da doch dieſelben ihre Spizen ſo hoch in die Luft erheben/ daß ſie von den Sonnenſtralen allzeit koͤnnen beſchinnen werden/ obvii ſurgenti Phœbo? Ein in der Natur-Wiſſenſchaft unerfahrner kan ſich darein nicht richten/ vermeinende/ daß die jenigen Coͤrper/ ſo der Sonnen am naͤchſten/ auch ſollen von derſelben ein mehrere Waͤrme zu genieſſen ha- ben. Es begegnet aber diſerem Einwurff Seneca Lib. IV. Natural. Quæ- ſtion. da er zeiget/ das die Hoͤhe der Bergen keine proportion, oder gleichmaß habe gegen dem gantzen umkreiß der Erden/ wil geſchweigen gegen der un- glaͤublichen Weite der Sonnen von der Erde. Ein Schullehrer/ deme die bekante Ariſtoteliſche Eintheilung der gantzen Luft in drey unterſchiedli- che Quartier im Kopf ſteket/ wird bald ſagen/ ihm komme diſe Gegenwart des Schnees auf hohen Gebirgen nicht frembd vor/ weilen dort die mittlere Luft/ ſo von Natur kalt/ und eine Behauſung der auch kalten Wolken ſeye. Es mag aber auch diſe Vernuͤnftelung keine ſcharpfe Prob außſtehen. Beſſer urtheilet hiervon obbenennter weiſe Seneca, wann[unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen] an angezoge- nem Ohrt ſchreibet. Aerem, quo editior eſt ſinceriorem puriorem que eſ- ſe, itaque Solem non retinere, ſed velut per inane transmittere, ideoque mi- nùs calefieri. Ad hæc altiora loca magis perflari, depreſſa minùs à ventis verberari. Aber auch diß ſchmeket nach der undeutlichkeit der alten Natur- Weißheit. Wir faſſen die Sach alſo: Erſtlich iſt zuwiſſen/ daß auf hohen Gebirgen beſtaͤndig blaſet ein ſtarke kalte Luft/ welche wie ſie die Zeugung des Schnees befoͤrderet/ alſo auch die Schmiltzung deſſelben hemmet. Daher auch die Alpen bey den Poeten folgende zunahmen bekamen/ ventoſæ, gelidæ, nivoſæ, horridæ, nubigenæ, quæ nive perpetua frigoribusque rigent. &c.
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Troͤpflein. Ein ſolcher Kuͤhlhelm ſeyn die mit Schnee und Eis belegte
Spitzen unſerer Bergen; weren diſe nicht/ ſo wurden die aus dem Eingeweid
der Erden/ durch die holen Gaͤnge der Bergen/ aufſteigende Duͤnſte aller
Ohrten durchbrechen/ und in freyer Luft verfliegen/ folglich weder Bruͤnnen/
noch Baͤche/ noch Flüſſe entſpringen/ und unſere Berge und Thaͤler theils
auß mangel des Waſſers verdorꝛen/ theils von groſſer Kaͤlte erſtarꝛen.
Nicht nur aber dienet diſe Schnee- und Eiskaͤlte zu hinderhaltung der ſonſt
außfliegenden Waſſertheilen/ und ſamlung derſelben in Bruͤnnen/ Baͤche/
folglich auch zur Nahrung der Pflanzen/ ſondern es wird die zum Lebẽ der Ge-
waͤchſen und Thieren noͤthige Erdenwaͤrme durch ſothane aufligende Kaͤlte/
und uͤber diß noch unter Begleit beſtaͤndiger winden/ zurukgehalten/ daß ſie
nicht leicht außfliege/ ſondern vilmehr zurukgetrieben in die Mundloͤchlein der
Wurtzen mit deſto groͤſſerer Kraft eintringe/ und die Blaͤßlein der Pflantzen
auftreibe. Fraget man nach denen Urſachen/ warum der Schnee aufho-
hen Gebirgen ewig bleibe/ da doch dieſelben ihre Spizen ſo hoch in die Luft
erheben/ daß ſie von den Sonnenſtralen allzeit koͤnnen beſchinnen werden/
obvii ſurgenti Phœbo? Ein in der Natur-Wiſſenſchaft unerfahrner kan ſich
darein nicht richten/ vermeinende/ daß die jenigen Coͤrper/ ſo der Sonnen
am naͤchſten/ auch ſollen von derſelben ein mehrere Waͤrme zu genieſſen ha-
ben. Es begegnet aber diſerem Einwurff Seneca Lib. IV. Natural. Quæ-
ſtion. da er zeiget/ das die Hoͤhe der Bergen keine proportion, oder gleichmaß
habe gegen dem gantzen umkreiß der Erden/ wil geſchweigen gegen der un-
glaͤublichen Weite der Sonnen von der Erde. Ein Schullehrer/ deme
die bekante Ariſtoteliſche Eintheilung der gantzen Luft in drey unterſchiedli-
che Quartier im Kopf ſteket/ wird bald ſagen/ ihm komme diſe Gegenwart
des Schnees auf hohen Gebirgen nicht frembd vor/ weilen dort die mittlere
Luft/ ſo von Natur kalt/ und eine Behauſung der auch kalten Wolken
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Beſſer urtheilet hiervon obbenennter weiſe Seneca, wann__ an angezoge-
nem Ohrt ſchreibet. Aerem, quo editior eſt ſinceriorem puriorem que eſ-
ſe, itaque Solem non retinere, ſed velut per inane transmittere, ideoque mi-
nùs calefieri. Ad hæc altiora loca magis perflari, depreſſa minùs à ventis
verberari. Aber auch diß ſchmeket nach der undeutlichkeit der alten Natur-
Weißheit. Wir faſſen die Sach alſo: Erſtlich iſt zuwiſſen/ daß auf hohen
Gebirgen beſtaͤndig blaſet ein ſtarke kalte Luft/ welche wie ſie die Zeugung des
Schnees befoͤrderet/ alſo auch die Schmiltzung deſſelben hemmet. Daher
auch die Alpen bey den Poeten folgende zunahmen bekamen/ ventoſæ, gelidæ,
nivoſæ, horridæ, nubigenæ, quæ nive perpetua frigoribusque rigent. &c.
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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten03_1708/132>, abgerufen am 16.02.2025.
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