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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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ihren Todfeind vorsich sehen/ der ihnen den Rugkweg abschneidet. Jn disem
fall braucht es bey dem Birger/ (dann also nennet man an verschiedenen Or-
ten die Gemsjäger) grosse klug- und herzhaftigkeit; weilen das verzweifelte
Thiere ihne leicht kan anfallen/ und über die Fels-wand abstürzen. Bey so
gefährlicher begegnuß leget er sich entweder der länge nach zu boden/ damit
die Gemse über ihne hinüber ohne anstoß können springen/ und so ihr eigen/
und ihres Feindes leben retten/ oder er stehet aufrecht so nahe an der wand
als möglich/ damit das Thier/ wann es keinen raum zwischen dem Jäger
und der Wand merket/ ausser ihme müsse vorbey springen/ da er dann den
Vortheil ergreift/ und dem vorüber springenden Thiere einen stoß gibt/ das
es sich stürzen muß: Wo aber das Gems zwischen dem Jäger/ und dem
Felsen/ einen kleinen schlupf findet/ da tringt es sich hinein/ und stürzet ihne
hinunter/ daß der dem Gems eine Gruben gegraben/ nun selbs darein gefäl-
let wird. Hiervon hat folgende Reimen gemacht Räbmann. Gespräch
von Berg.
p. 458.

Das Stein-Wildpret steigt überhoch/
Oder steht in ein Felsig Loch/
Und über höchste Felsen springt
Mit Lift der Jäger nach her tringt/
Und wann er mit geschwinder Hand/
Ein Gems getriben an ein Wand/
Daß sie nicht weiter weichen kan/
So fahet sie zu trähnen an/
Und plerret doch/ und wisplet nicht/
So aber ung'ferd sie durchsicht
Zwischen dem Jäger/ und der Wand/
Mit starkem sprung sie durchhin rant/
Und stürzt den Jäger in das Thal
Zuseinem gwissen Todesfall.
Wird aber mit fürsichtigkeit
Das Gemsthier an dem Orterleit/
So falt es oft ab Felsen hoch/
Da d'heut gemeinlich ganz bleiben noch.

Jch

ihren Todfeind vorſich ſehen/ der ihnen den Rugkweg abſchneidet. Jn diſem
fall braucht es bey dem Birger/ (dann alſo nennet man an verſchiedenen Or-
ten die Gemsjaͤger) groſſe klug- und herzhaftigkeit; weilen das verzweifelte
Thiere ihne leicht kan anfallen/ und uͤber die Fels-wand abſtuͤrzen. Bey ſo
gefaͤhrlicher begegnuß leget er ſich entweder der laͤnge nach zu boden/ damit
die Gemſe uͤber ihne hinuͤber ohne anſtoß koͤnnen ſpringen/ und ſo ihr eigen/
und ihres Feindes leben retten/ oder er ſtehet aufrecht ſo nahe an der wand
als moͤglich/ damit das Thier/ wann es keinen raum zwiſchen dem Jaͤger
und der Wand merket/ auſſer ihme muͤſſe vorbey ſpringen/ da er dann den
Vortheil ergreift/ und dem voruͤber ſpringenden Thiere einen ſtoß gibt/ das
es ſich ſtuͤrzen muß: Wo aber das Gems zwiſchen dem Jaͤger/ und dem
Felſen/ einen kleinen ſchlupf findet/ da tringt es ſich hinein/ und ſtuͤrzet ihne
hinunter/ daß der dem Gems eine Gruben gegraben/ nun ſelbs darein gefaͤl-
let wird. Hiervon hat folgende Reimen gemacht Raͤbmañ. Geſpraͤch
von Berg.
p. 458.

Das Stein-Wildpret ſteigt uͤberhoch/
Oder ſteht in ein Felſig Loch/
Und uͤber hoͤchſte Felſen ſpringt
Mit Lift der Jaͤger nach her tringt/
Und wann er mit geſchwinder Hand/
Ein Gems getriben an ein Wand/
Daß ſie nicht weiter weichen kan/
So fahet ſie zu traͤhnen an/
Und plerꝛet doch/ und wiſplet nicht/
So aber ung’ferd ſie durchſicht
Zwiſchen dem Jaͤger/ und der Wand/
Mit ſtarkem ſprung ſie durchhin rant/
Und ſtuͤrzt den Jaͤger in das Thal
Zuſeinem gwiſſen Todesfall.
Wird aber mit fuͤrſichtigkeit
Das Gemsthier an dem Orterleit/
So falt es oft ab Felſen hoch/
Da d’heut gemeinlich ganz bleiben noch.

Jch
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[42/0057] ihren Todfeind vorſich ſehen/ der ihnen den Rugkweg abſchneidet. Jn diſem fall braucht es bey dem Birger/ (dann alſo nennet man an verſchiedenen Or- ten die Gemsjaͤger) groſſe klug- und herzhaftigkeit; weilen das verzweifelte Thiere ihne leicht kan anfallen/ und uͤber die Fels-wand abſtuͤrzen. Bey ſo gefaͤhrlicher begegnuß leget er ſich entweder der laͤnge nach zu boden/ damit die Gemſe uͤber ihne hinuͤber ohne anſtoß koͤnnen ſpringen/ und ſo ihr eigen/ und ihres Feindes leben retten/ oder er ſtehet aufrecht ſo nahe an der wand als moͤglich/ damit das Thier/ wann es keinen raum zwiſchen dem Jaͤger und der Wand merket/ auſſer ihme muͤſſe vorbey ſpringen/ da er dann den Vortheil ergreift/ und dem voruͤber ſpringenden Thiere einen ſtoß gibt/ das es ſich ſtuͤrzen muß: Wo aber das Gems zwiſchen dem Jaͤger/ und dem Felſen/ einen kleinen ſchlupf findet/ da tringt es ſich hinein/ und ſtuͤrzet ihne hinunter/ daß der dem Gems eine Gruben gegraben/ nun ſelbs darein gefaͤl- let wird. Hiervon hat folgende Reimen gemacht Raͤbmañ. Geſpraͤch von Berg. p. 458. Das Stein-Wildpret ſteigt uͤberhoch/ Oder ſteht in ein Felſig Loch/ Und uͤber hoͤchſte Felſen ſpringt Mit Lift der Jaͤger nach her tringt/ Und wann er mit geſchwinder Hand/ Ein Gems getriben an ein Wand/ Daß ſie nicht weiter weichen kan/ So fahet ſie zu traͤhnen an/ Und plerꝛet doch/ und wiſplet nicht/ So aber ung’ferd ſie durchſicht Zwiſchen dem Jaͤger/ und der Wand/ Mit ſtarkem ſprung ſie durchhin rant/ Und ſtuͤrzt den Jaͤger in das Thal Zuſeinem gwiſſen Todesfall. Wird aber mit fuͤrſichtigkeit Das Gemsthier an dem Orterleit/ So falt es oft ab Felſen hoch/ Da d’heut gemeinlich ganz bleiben noch. Jch

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/57>, abgerufen am 24.11.2024.