Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

Bild:
<< vorherige Seite

zen genamset: bey solchen Sultzen hinderhalten und verbergen sich die Jäger
mit ihren Büchsen und Geschütz/ so dann die Gemsen nach gewohnheit herzu-
traben/ schiessen sie es unbewarter sach zu tod. Deme ist also/ wie Gessner schrei-
bet. Hin und wider auf denen hohen Alpen finden sich dergleichen sandichte
Felsen/ die also von denen Gemszungen außgeschaben sind/ daß man gewaltige
Schrammen oder hölinen darinn sihet: Die Pündtner heissen solche Ort
Gläck; andere nennen sie Sultzen/ Sultzläckinen/ Läckinen. Dise Fel-
sen sind nicht/ wie einiche wollen/ oder sehr selten/ salzicht/ sondern nur san-
dicht/ und urtheilet Gessner ganz wol/ daß dergleichen Sultzen den Gemsen
dienen zu vermehrung der Essenslust/ oder auch/ wie er im Lateinischen Exem-
plar meldet/ zu ablösung des Schleims/ der ihnen möchte am Gaumen kle-
ben: ich sage noch über diß/ zu beförderung der däuung. Bekant ist/ wie
die Vögel allerhand Sand- und Kiselsteinlein insich schlucken/ zu keinem an-
deren end/ als damit die harten Säm- und Körnlein dardurch zwischen
ihrem starken Magen/ als zwischen Müllesteinen zermalmet/ desto eher und
besser in einen Nehrsaft gekochet werden. Nun ist bekant/ daß die Wider-
käuende Thier/ under welchen auch die Gemse/ keine Zähne haben in dem
oberen Mund/ folglich die eingenommene/ meistens trockene/ lange und zäche
Speisen nicht wol können zerschneiden/ weßwegen/ damit gleichwol auß ih-
nen ein guter Nahrungs saft bereitet werde/ dergleichen Thiere von dem
Schöpfer begabet worden mit einem überauß kunstlichen vierfachen Magen/
aber auch mit einer eingepflanzten lust/ vom Salz oder Sand einzuschluken/
und also den mangel der Koch-Jnstrumenten darmit zuersetzen; wie wir
dann sehen/ daß die Kühe/ Geissen/ und alles übrige Hornvithe/ von allen vor-
kommenden/ sonderlich Salpetrischen Mauren mit grosser Begierd schaben/
und das abgelekte einschlucken. Dises vortheils müssen sich die Gemse be-
dienen um so vil destomehr/ weilen ihnen niemand Saltz vorstrecket/ und sie
sich sonderlich zu Winterszeit an statt der Speise bedienen trukener/ zäher/
Kräuteren und Wurzen.

P. S. Bey anlas eines Mond-hoffs/ oder Rings/ so den 2. April abends um 9.
und 10 uhr gesehen worden/ und darauf erfolgten/ Wind und regnichter Kälte/ beliebe der
geehrte Leser zu bemerken/ wie sich bekräftige das/ was N. 1. pag. 4. von dergleichen Mondes-
Ringen und ihrer bedeutung gemeldet worden.

An-

zen genamſet: bey ſolchen Sultzen hinderhalten und verbergen ſich die Jaͤger
mit ihren Buͤchſen und Geſchuͤtz/ ſo dañ die Gemſen nach gewohnheit herzu-
traben/ ſchieſſen ſie es unbewarter ſach zu tod. Deme iſt alſo/ wie Geſſner ſchrei-
bet. Hin und wider auf denen hohen Alpen finden ſich dergleichen ſandichte
Felſen/ die alſo von denen Gemszungen außgeſchabẽ ſind/ daß man gewaltige
Schrammen oder hoͤlinen darinn ſihet: Die Puͤndtner heiſſen ſolche Ort
Glaͤck; andere nennen ſie Sultzen/ Sultzlaͤckinen/ Laͤckinen. Diſe Fel-
ſen ſind nicht/ wie einiche wollen/ oder ſehr ſelten/ ſalzicht/ ſondern nur ſan-
dicht/ und urtheilet Geſſner ganz wol/ daß dergleichen Sultzen den Gemſen
dienen zu vermehrung der Eſſensluſt/ oder auch/ wie er im Lateiniſchen Exem-
plar meldet/ zu abloͤſung des Schleims/ der ihnen moͤchte am Gaumen kle-
ben: ich ſage noch uͤber diß/ zu befoͤrderung der daͤuung. Bekant iſt/ wie
die Voͤgel allerhand Sand- und Kiſelſteinlein inſich ſchlucken/ zu keinem an-
deren end/ als damit die harten Saͤm- und Koͤrnlein dardurch zwiſchen
ihrem ſtarken Magen/ als zwiſchen Muͤlleſteinen zermalmet/ deſto eher und
beſſer in einen Nehrſaft gekochet werden. Nun iſt bekant/ daß die Wider-
kaͤuende Thier/ under welchen auch die Gemſe/ keine Zaͤhne haben in dem
oberen Mund/ folglich die eingenom̃ene/ meiſtens trockene/ lange und zaͤche
Speiſen nicht wol koͤnnen zerſchneiden/ weßwegen/ damit gleichwol auß ih-
nen ein guter Nahrungs ſaft bereitet werde/ dergleichen Thiere von dem
Schoͤpfer begabet worden mit einem uͤberauß kunſtlichen vierfachen Magen/
aber auch mit einer eingepflanzten luſt/ vom Salz oder Sand einzuſchluken/
und alſo den mangel der Koch-Jnſtrumenten darmit zuerſetzen; wie wir
dann ſehen/ daß die Kuͤhe/ Geiſſen/ und alles uͤbrige Hornvithe/ von allen vor-
kommenden/ ſonderlich Salpetriſchen Mauren mit groſſer Begierd ſchaben/
und das abgelekte einſchlucken. Diſes vortheils muͤſſen ſich die Gemſe be-
dienen um ſo vil deſtomehr/ weilen ihnen niemand Saltz vorſtrecket/ und ſie
ſich ſonderlich zu Winterszeit an ſtatt der Speiſe bedienen trukener/ zaͤher/
Kraͤuteren und Wurzen.

P. S. Bey anlas eines Mond-hoffs/ oder Rings/ ſo den 2. April abends um 9.
und 10 uhr geſehen worden/ und darauf erfolgten/ Wind und regnichter Kaͤlte/ beliebe der
geehrte Leſer zu bemerken/ wie ſich bekraͤftige das/ was N. 1. pag. 4. von dergleichen Mondes-
Ringen und ihrer bedeutung gemeldet worden.

An-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="40"/>
zen genam&#x017F;et: bey &#x017F;olchen Sultzen hinderhalten und verbergen &#x017F;ich die Ja&#x0364;ger<lb/>
mit ihren Bu&#x0364;ch&#x017F;en und Ge&#x017F;chu&#x0364;tz/ &#x017F;o dan&#x0303; die Gem&#x017F;en nach gewohnheit herzu-<lb/>
traben/ &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie es unbewarter &#x017F;ach zu tod. Deme i&#x017F;t al&#x017F;o/ wie Ge&#x017F;&#x017F;ner &#x017F;chrei-<lb/>
bet. Hin und wider auf denen hohen Alpen finden &#x017F;ich dergleichen &#x017F;andichte<lb/>
Fel&#x017F;en/ die al&#x017F;o von denen Gemszungen außge&#x017F;chabe&#x0303; &#x017F;ind/ daß man gewaltige<lb/>
Schrammen oder ho&#x0364;linen darinn &#x017F;ihet: Die Pu&#x0364;ndtner hei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olche Ort<lb/><hi rendition="#fr">Gla&#x0364;ck;</hi> andere nennen &#x017F;ie <hi rendition="#fr">Sultzen/ Sultzla&#x0364;ckinen/ La&#x0364;ckinen.</hi> Di&#x017F;e Fel-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ind nicht/ wie einiche wollen/ oder &#x017F;ehr &#x017F;elten/ &#x017F;alzicht/ &#x017F;ondern nur &#x017F;an-<lb/>
dicht/ und urtheilet Ge&#x017F;&#x017F;ner ganz wol/ daß dergleichen Sultzen den Gem&#x017F;en<lb/>
dienen zu vermehrung der E&#x017F;&#x017F;enslu&#x017F;t/ oder auch/ wie er im Lateini&#x017F;chen Exem-<lb/>
plar meldet/ zu ablo&#x0364;&#x017F;ung des Schleims/ der ihnen mo&#x0364;chte am Gaumen kle-<lb/>
ben: ich &#x017F;age noch u&#x0364;ber diß/ zu befo&#x0364;rderung der da&#x0364;uung. Bekant i&#x017F;t/ wie<lb/>
die Vo&#x0364;gel allerhand Sand- und Ki&#x017F;el&#x017F;teinlein in&#x017F;ich &#x017F;chlucken/ zu keinem an-<lb/>
deren end/ als damit die harten Sa&#x0364;m- und Ko&#x0364;rnlein dardurch zwi&#x017F;chen<lb/>
ihrem &#x017F;tarken Magen/ als zwi&#x017F;chen Mu&#x0364;lle&#x017F;teinen zermalmet/ de&#x017F;to eher und<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er in einen Nehr&#x017F;aft gekochet werden. Nun i&#x017F;t bekant/ daß die Wider-<lb/>
ka&#x0364;uende Thier/ under welchen auch die Gem&#x017F;e/ keine Za&#x0364;hne haben in dem<lb/>
oberen Mund/ folglich die eingenom&#x0303;ene/ mei&#x017F;tens trockene/ lange und za&#x0364;che<lb/>
Spei&#x017F;en nicht wol ko&#x0364;nnen zer&#x017F;chneiden/ weßwegen/ damit gleichwol auß ih-<lb/>
nen ein guter Nahrungs &#x017F;aft bereitet werde/ dergleichen Thiere von dem<lb/>
Scho&#x0364;pfer begabet worden mit einem u&#x0364;berauß kun&#x017F;tlichen vierfachen Magen/<lb/>
aber auch mit einer eingepflanzten lu&#x017F;t/ vom Salz oder Sand einzu&#x017F;chluken/<lb/>
und al&#x017F;o den mangel der Koch-Jn&#x017F;trumenten darmit zuer&#x017F;etzen; wie wir<lb/>
dann &#x017F;ehen/ daß die Ku&#x0364;he/ Gei&#x017F;&#x017F;en/ und alles u&#x0364;brige Hornvithe/ von allen vor-<lb/>
kommenden/ &#x017F;onderlich Salpetri&#x017F;chen Mauren mit gro&#x017F;&#x017F;er Begierd &#x017F;chaben/<lb/>
und das abgelekte ein&#x017F;chlucken. Di&#x017F;es vortheils mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die Gem&#x017F;e be-<lb/>
dienen um &#x017F;o vil de&#x017F;tomehr/ weilen ihnen niemand Saltz vor&#x017F;trecket/ und &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;onderlich zu Winterszeit an &#x017F;tatt der Spei&#x017F;e bedienen trukener/ za&#x0364;her/<lb/>
Kra&#x0364;uteren und Wurzen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">P. S.</hi> Bey anlas eines <hi rendition="#fr">Mond-hoffs/</hi> oder <hi rendition="#fr">Rings/</hi> &#x017F;o den 2. April abends um 9.<lb/>
und 10 uhr ge&#x017F;ehen worden/ und darauf erfolgten/ Wind und regnichter Ka&#x0364;lte/ beliebe der<lb/>
geehrte Le&#x017F;er zu bemerken/ wie &#x017F;ich bekra&#x0364;ftige das/ was <hi rendition="#aq">N. 1. pag.</hi> 4. von dergleichen Mondes-<lb/>
Ringen und ihrer bedeutung gemeldet worden.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">An-</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0055] zen genamſet: bey ſolchen Sultzen hinderhalten und verbergen ſich die Jaͤger mit ihren Buͤchſen und Geſchuͤtz/ ſo dañ die Gemſen nach gewohnheit herzu- traben/ ſchieſſen ſie es unbewarter ſach zu tod. Deme iſt alſo/ wie Geſſner ſchrei- bet. Hin und wider auf denen hohen Alpen finden ſich dergleichen ſandichte Felſen/ die alſo von denen Gemszungen außgeſchabẽ ſind/ daß man gewaltige Schrammen oder hoͤlinen darinn ſihet: Die Puͤndtner heiſſen ſolche Ort Glaͤck; andere nennen ſie Sultzen/ Sultzlaͤckinen/ Laͤckinen. Diſe Fel- ſen ſind nicht/ wie einiche wollen/ oder ſehr ſelten/ ſalzicht/ ſondern nur ſan- dicht/ und urtheilet Geſſner ganz wol/ daß dergleichen Sultzen den Gemſen dienen zu vermehrung der Eſſensluſt/ oder auch/ wie er im Lateiniſchen Exem- plar meldet/ zu abloͤſung des Schleims/ der ihnen moͤchte am Gaumen kle- ben: ich ſage noch uͤber diß/ zu befoͤrderung der daͤuung. Bekant iſt/ wie die Voͤgel allerhand Sand- und Kiſelſteinlein inſich ſchlucken/ zu keinem an- deren end/ als damit die harten Saͤm- und Koͤrnlein dardurch zwiſchen ihrem ſtarken Magen/ als zwiſchen Muͤlleſteinen zermalmet/ deſto eher und beſſer in einen Nehrſaft gekochet werden. Nun iſt bekant/ daß die Wider- kaͤuende Thier/ under welchen auch die Gemſe/ keine Zaͤhne haben in dem oberen Mund/ folglich die eingenom̃ene/ meiſtens trockene/ lange und zaͤche Speiſen nicht wol koͤnnen zerſchneiden/ weßwegen/ damit gleichwol auß ih- nen ein guter Nahrungs ſaft bereitet werde/ dergleichen Thiere von dem Schoͤpfer begabet worden mit einem uͤberauß kunſtlichen vierfachen Magen/ aber auch mit einer eingepflanzten luſt/ vom Salz oder Sand einzuſchluken/ und alſo den mangel der Koch-Jnſtrumenten darmit zuerſetzen; wie wir dann ſehen/ daß die Kuͤhe/ Geiſſen/ und alles uͤbrige Hornvithe/ von allen vor- kommenden/ ſonderlich Salpetriſchen Mauren mit groſſer Begierd ſchaben/ und das abgelekte einſchlucken. Diſes vortheils muͤſſen ſich die Gemſe be- dienen um ſo vil deſtomehr/ weilen ihnen niemand Saltz vorſtrecket/ und ſie ſich ſonderlich zu Winterszeit an ſtatt der Speiſe bedienen trukener/ zaͤher/ Kraͤuteren und Wurzen. P. S. Bey anlas eines Mond-hoffs/ oder Rings/ ſo den 2. April abends um 9. und 10 uhr geſehen worden/ und darauf erfolgten/ Wind und regnichter Kaͤlte/ beliebe der geehrte Leſer zu bemerken/ wie ſich bekraͤftige das/ was N. 1. pag. 4. von dergleichen Mondes- Ringen und ihrer bedeutung gemeldet worden. An-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/55
Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/55>, abgerufen am 24.11.2024.