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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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N. 10.)



Seltsamer Naturgeschichten
Des Schweizer-Lands
Wochentliche Erzehlung.


Von den Bergneblen und Wolken.

ES zerzanken sich unter einander die Naturlehrer wegen der Wolken/
woher sie kommen? worauß sie bestehen? wie sie in freyer Luft können schwe-
ben? Das meiste aber/ das sie hierüber der Welt vortragen/ seyn in
dem Hirn gesponnene Grillen. Jch bitte/ sie spatzieren selbs auf die hohen Ge-
birge/ oder begeben sich in die Schul der Aelpleren/ wann es ihrem hohen An-
sehen nicht zuwider/ so werden sie eins und anders erfahren/ ja mit Augen se-
hen/ was zum Fundament der sach dienet. Dise einfaltige Leuthe werden
ihnen mit den Fingeren zeigen/ wie die Wolken anders nichts seyen/ als Ne-
bel/ wie sie nicht so vast von dem Meer her durch die Luft getragen an die
Berge anstossen/ als aber auß den Bergen selbs aufsteigen in form kleiner
zertheilter Neblen/ welche hernach sich weiter auf- und in wolken zusamen zeu-
hen. Jch habe mich in meinen Reisen hierüber zum öfteren verwundert/ und
mit lust zugesehen/ wie dise außdempfungen etwan den ganzen Berg/ auf de-
me domals gereiset/ überzogen/ und mich selbs eingewicklet haben/ daß kaum
20. oder 30. Schritt weit vor mir sehen können/ da ich doch kurz vorher bey
30.40. und mehr kleine dünne Nebelein bey klarem Wetter habe gesehen
aufsteigen/ bald auch/ nach deme die Wolken durchreiset hab/ widerum einen
hellen Prospect/ oder weite außsicht vor mir gehabt. Es hat mich disere
wolkichte außdämpfung erinneret an die sichtbare außrauchungen unserer
Flüssen/ und auch Felderen/ welche gewahret werden zu anfang des Winters/
wann nammlich die aufsteigenden Dünste durch die kalte Luft verdickeret/ gleich
unserem eigenen Athem/ sichtbar werden/ welche in Sommerlichen und an-
deren warmen Tagen sich zertheilen/ und auß unseren augen sich verlieren.
Jn mehrerem nachdenken habe mir selbs die Fragen vorgeleget/ welche auch
andern zuerörteren überlasse/ ob nicht bey disen unseren Bergwolken könne

ge-
N. 10.)



Seltſamer Naturgeſchichten
Des Schweizer-Lands
Wochentliche Erzehlung.


Von den Bergneblen und Wolken.

ES zerzanken ſich unter einander die Naturlehrer wegen der Wolken/
woher ſie kom̃en? worauß ſie beſtehen? wie ſie in freyer Luft koͤñen ſchwe-
ben? Das meiſte aber/ das ſie hieruͤber der Welt vortragen/ ſeyn in
dem Hirn geſponnene Grillen. Jch bitte/ ſie ſpatzieren ſelbs auf die hohen Ge-
birge/ oder begeben ſich in die Schul der Aelpleren/ wann es ihrem hohen An-
ſehen nicht zuwider/ ſo werden ſie eins und anders erfahren/ ja mit Augen ſe-
hen/ was zum Fundament der ſach dienet. Diſe einfaltige Leuthe werden
ihnen mit den Fingeren zeigen/ wie die Wolken anders nichts ſeyen/ als Ne-
bel/ wie ſie nicht ſo vaſt von dem Meer her durch die Luft getragen an die
Berge anſtoſſen/ als aber auß den Bergen ſelbs aufſteigen in form kleiner
zertheilter Neblen/ welche hernach ſich weiter auf- und in wolken zuſamen zeu-
hen. Jch habe mich in meinen Reiſen hieruͤber zum oͤfteren verwundert/ und
mit luſt zugeſehen/ wie diſe außdempfungen etwan den ganzen Berg/ auf de-
me domals gereiſet/ uͤberzogen/ und mich ſelbs eingewicklet haben/ daß kaum
20. oder 30. Schritt weit vor mir ſehen koͤnnen/ da ich doch kurz vorher bey
30.40. und mehr kleine duͤnne Nebelein bey klarem Wetter habe geſehen
aufſteigen/ bald auch/ nach deme die Wolken durchreiſet hab/ widerum einen
hellen Proſpect/ oder weite außſicht vor mir gehabt. Es hat mich diſere
wolkichte außdaͤmpfung erinneret an die ſichtbare außrauchungen unſerer
Fluͤſſen/ und auch Felderen/ welche gewahret werden zu anfang des Winters/
wann nam̃lich die aufſteigenden Duͤnſte durch die kalte Luft verdickeret/ gleich
unſerem eigenen Athem/ ſichtbar werden/ welche in Sommerlichen und an-
deren warmen Tagen ſich zertheilen/ und auß unſeren augen ſich verlieren.
Jn mehrerem nachdenken habe mir ſelbs die Fragen vorgeleget/ welche auch
andern zueroͤrteren uͤberlaſſe/ ob nicht bey diſen unſeren Bergwolken koͤnne

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[37/0052] N. 10.) 15. Apr. 1705. Seltſamer Naturgeſchichten Des Schweizer-Lands Wochentliche Erzehlung. Von den Bergneblen und Wolken. ES zerzanken ſich unter einander die Naturlehrer wegen der Wolken/ woher ſie kom̃en? worauß ſie beſtehen? wie ſie in freyer Luft koͤñen ſchwe- ben? Das meiſte aber/ das ſie hieruͤber der Welt vortragen/ ſeyn in dem Hirn geſponnene Grillen. Jch bitte/ ſie ſpatzieren ſelbs auf die hohen Ge- birge/ oder begeben ſich in die Schul der Aelpleren/ wann es ihrem hohen An- ſehen nicht zuwider/ ſo werden ſie eins und anders erfahren/ ja mit Augen ſe- hen/ was zum Fundament der ſach dienet. Diſe einfaltige Leuthe werden ihnen mit den Fingeren zeigen/ wie die Wolken anders nichts ſeyen/ als Ne- bel/ wie ſie nicht ſo vaſt von dem Meer her durch die Luft getragen an die Berge anſtoſſen/ als aber auß den Bergen ſelbs aufſteigen in form kleiner zertheilter Neblen/ welche hernach ſich weiter auf- und in wolken zuſamen zeu- hen. Jch habe mich in meinen Reiſen hieruͤber zum oͤfteren verwundert/ und mit luſt zugeſehen/ wie diſe außdempfungen etwan den ganzen Berg/ auf de- me domals gereiſet/ uͤberzogen/ und mich ſelbs eingewicklet haben/ daß kaum 20. oder 30. Schritt weit vor mir ſehen koͤnnen/ da ich doch kurz vorher bey 30.40. und mehr kleine duͤnne Nebelein bey klarem Wetter habe geſehen aufſteigen/ bald auch/ nach deme die Wolken durchreiſet hab/ widerum einen hellen Proſpect/ oder weite außſicht vor mir gehabt. Es hat mich diſere wolkichte außdaͤmpfung erinneret an die ſichtbare außrauchungen unſerer Fluͤſſen/ und auch Felderen/ welche gewahret werden zu anfang des Winters/ wann nam̃lich die aufſteigenden Duͤnſte durch die kalte Luft verdickeret/ gleich unſerem eigenen Athem/ ſichtbar werden/ welche in Sommerlichen und an- deren warmen Tagen ſich zertheilen/ und auß unſeren augen ſich verlieren. Jn mehrerem nachdenken habe mir ſelbs die Fragen vorgeleget/ welche auch andern zueroͤrteren uͤberlaſſe/ ob nicht bey diſen unſeren Bergwolken koͤnne ge-

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/52>, abgerufen am 24.11.2024.