Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_074.001 Außerdem: das bloße Vergnügen an der Wahrheit der psc_074.004 Ferner: Aristoteles setzt von vornherein voraus, daß psc_074.017 psc_074.001 Außerdem: das bloße Vergnügen an der Wahrheit der psc_074.004 Ferner: Aristoteles setzt von vornherein voraus, daß psc_074.017 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0090" n="74"/><lb n="psc_074.001"/> auf die Erregung von Furcht und Mitleid. Danach corrigirt <lb n="psc_074.002"/> sich, was er hier allgemein sagt.</p> <lb n="psc_074.003"/> <p> Außerdem: das bloße Vergnügen an der Wahrheit der <lb n="psc_074.004"/> Darstellung ist etwas verhältnißmäßig sehr Spätes. Jch <lb n="psc_074.005"/> brauche nur daran zu erinnern, wie wenige Leser noch heute <lb n="psc_074.006"/> unangenehme Schlüsse vertragen können; eine Liebesgeschichte, <lb n="psc_074.007"/> bei der sie sich kriegen, hat mehr Leser als eine solche, bei <lb n="psc_074.008"/> der sie sich nicht kriegen. Viel mehr Menschen sind bereit <lb n="psc_074.009"/> in ein Lustspiel zu gehen als in ein Trauerspiel, und doch <lb n="psc_074.010"/> ist in der Tragödie oft viel mehr Wahrheit. Auf die Wahrheit <lb n="psc_074.011"/> kommts aber dem Publicum nicht so sehr an, als auf <lb n="psc_074.012"/> die Annehmlichkeit der Vorstellungen, mit denen sie die Poesie <lb n="psc_074.013"/> beschäftigt. Doch müssen wir anerkennen, daß die Freude <lb n="psc_074.014"/> an der Richtigkeit der Nachahmung ein Moment für die <lb n="psc_074.015"/> Freude an der Poesie sein kann.</p> <lb n="psc_074.016"/> <p> Ferner: Aristoteles setzt von vornherein voraus, daß <lb n="psc_074.017"/> eine nachahmende Darstellung von einem Publicum beurtheilt <lb n="psc_074.018"/> wird, und daß das Publicum sie mit dem Urbild vergleicht. <lb n="psc_074.019"/> Aber das ist doch nur eine Folge der Poesie. Wie kommt <lb n="psc_074.020"/> der Dichter dazu, seine Freude und seinen Schmerz in einem <lb n="psc_074.021"/> Lied auszudrücken? Thut er das fürs Publicum, damit dieses <lb n="psc_074.022"/> sich von der Wahrheit seiner Darstellung überzeuge? Gewiß <lb n="psc_074.023"/> ist doch eines der Grundverhältnisse der Poesie dies, daß eine <lb n="psc_074.024"/> innere Nöthigung für den Dichter vorliegt, gleichviel ob andere <lb n="psc_074.025"/> da sind seine Gefühle zu theilen oder nicht. Hier könnte die <lb n="psc_074.026"/> Ansicht des Aristoteles immer nur für einen kleinen Theil der <lb n="psc_074.027"/> Poesie gelten. Und wahrscheinlich hat er auch hier schon das <lb n="psc_074.028"/> Drama im Auge.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0090]
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auf die Erregung von Furcht und Mitleid. Danach corrigirt psc_074.002
sich, was er hier allgemein sagt.
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Außerdem: das bloße Vergnügen an der Wahrheit der psc_074.004
Darstellung ist etwas verhältnißmäßig sehr Spätes. Jch psc_074.005
brauche nur daran zu erinnern, wie wenige Leser noch heute psc_074.006
unangenehme Schlüsse vertragen können; eine Liebesgeschichte, psc_074.007
bei der sie sich kriegen, hat mehr Leser als eine solche, bei psc_074.008
der sie sich nicht kriegen. Viel mehr Menschen sind bereit psc_074.009
in ein Lustspiel zu gehen als in ein Trauerspiel, und doch psc_074.010
ist in der Tragödie oft viel mehr Wahrheit. Auf die Wahrheit psc_074.011
kommts aber dem Publicum nicht so sehr an, als auf psc_074.012
die Annehmlichkeit der Vorstellungen, mit denen sie die Poesie psc_074.013
beschäftigt. Doch müssen wir anerkennen, daß die Freude psc_074.014
an der Richtigkeit der Nachahmung ein Moment für die psc_074.015
Freude an der Poesie sein kann.
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Ferner: Aristoteles setzt von vornherein voraus, daß psc_074.017
eine nachahmende Darstellung von einem Publicum beurtheilt psc_074.018
wird, und daß das Publicum sie mit dem Urbild vergleicht. psc_074.019
Aber das ist doch nur eine Folge der Poesie. Wie kommt psc_074.020
der Dichter dazu, seine Freude und seinen Schmerz in einem psc_074.021
Lied auszudrücken? Thut er das fürs Publicum, damit dieses psc_074.022
sich von der Wahrheit seiner Darstellung überzeuge? Gewiß psc_074.023
ist doch eines der Grundverhältnisse der Poesie dies, daß eine psc_074.024
innere Nöthigung für den Dichter vorliegt, gleichviel ob andere psc_074.025
da sind seine Gefühle zu theilen oder nicht. Hier könnte die psc_074.026
Ansicht des Aristoteles immer nur für einen kleinen Theil der psc_074.027
Poesie gelten. Und wahrscheinlich hat er auch hier schon das psc_074.028
Drama im Auge.
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