Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_053.001 Horazens Ars poetica wurde ferner das Vorbild für psc_053.027 psc_053.001 Horazens Ars poetica wurde ferner das Vorbild für psc_053.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0069" n="53"/><lb n="psc_053.001"/> eine vollständige Poetik zu liefern, obgleich man die Schrift <lb n="psc_053.002"/> oft so angesehn hat. Eigentlich ist es nur eine Warnung <lb n="psc_053.003"/> vor Dilettantismus, an die Brüder Piso gerichtet. Nach <lb n="psc_053.004"/> Porphyrio liegen die <hi rendition="#aq">Praecepta Neoptolemi</hi> <foreign xml:lang="grc">τοῦ Παριανοῦ</foreign> <lb n="psc_053.005"/> <hi rendition="#aq">de arte poetica</hi> zu Grunde, von denen wir nichts wissen. <lb n="psc_053.006"/> Daß dies Compendium, wenn Horaz es benutzt hat, von <lb n="psc_053.007"/> Aristoteles beeinflußt war, daß jedenfalls Aristoteles' Poetik <lb n="psc_053.008"/> auf Horaz, wenn auch vielleicht nur indirect und jedenfalls <lb n="psc_053.009"/> sehr allgemein, eingewirkt hat, das liegt offen zu Tage. Wie <lb n="psc_053.010"/> Aristoteles behandelt er die Tragödie ausführlich als Paradigma <lb n="psc_053.011"/> der Poesie überhaupt. Als Zweck der Dichtkunst stellt <lb n="psc_053.012"/> er <hi rendition="#aq">prodesse</hi> oder <hi rendition="#aq">delectare</hi> oder Verbindung von beiden <lb n="psc_053.013"/> hin, und das letztere, die Verbindung des Nützlichen mit dem <lb n="psc_053.014"/> Angenehmen, empfiehlt er am meisten. Von der Würde der <lb n="psc_053.015"/> Poesie und ihrem Segen für die Menschheit hat er hohe Vorstellungen. <lb n="psc_053.016"/> Die Frage, ob ein gutes Gedicht mehr dem <lb n="psc_053.017"/> Genie oder mehr den Regeln zu verdanken habe — <hi rendition="#aq">natura <lb n="psc_053.018"/> fieret laudabile carmen an arte, quaesitum est</hi> — beantwortet <lb n="psc_053.019"/> er damit: sie sind beide nöthig; weder <hi rendition="#aq">studium</hi> <lb n="psc_053.020"/> allein noch <hi rendition="#aq">ingenium</hi> allein kann etwas leisten. Und so fast <lb n="psc_053.021"/> überall: maßvolle mittlere Weisheit, sehr viel gesunder <lb n="psc_053.022"/> Menschenverstand; aus diesen Eigenschaften floß die gewaltige <lb n="psc_053.023"/> Autorität des Gedichtes. Diese Autorität war so groß, daß <lb n="psc_053.024"/> aus dem Zusammenhang herausgerissene Worte wie <hi rendition="#aq">ut pictura <lb n="psc_053.025"/> poesis</hi> für ganze Zeitalter verhängnißvoll wurden.</p> <lb n="psc_053.026"/> <p> Horazens <hi rendition="#aq">Ars poetica</hi> wurde ferner das Vorbild für <lb n="psc_053.027"/> alle Lehrgedichte über Poesie; diese Gattung wurde später vielfältig <lb n="psc_053.028"/> gepflegt.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0069]
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eine vollständige Poetik zu liefern, obgleich man die Schrift psc_053.002
oft so angesehn hat. Eigentlich ist es nur eine Warnung psc_053.003
vor Dilettantismus, an die Brüder Piso gerichtet. Nach psc_053.004
Porphyrio liegen die Praecepta Neoptolemi τοῦ Παριανοῦ psc_053.005
de arte poetica zu Grunde, von denen wir nichts wissen. psc_053.006
Daß dies Compendium, wenn Horaz es benutzt hat, von psc_053.007
Aristoteles beeinflußt war, daß jedenfalls Aristoteles' Poetik psc_053.008
auf Horaz, wenn auch vielleicht nur indirect und jedenfalls psc_053.009
sehr allgemein, eingewirkt hat, das liegt offen zu Tage. Wie psc_053.010
Aristoteles behandelt er die Tragödie ausführlich als Paradigma psc_053.011
der Poesie überhaupt. Als Zweck der Dichtkunst stellt psc_053.012
er prodesse oder delectare oder Verbindung von beiden psc_053.013
hin, und das letztere, die Verbindung des Nützlichen mit dem psc_053.014
Angenehmen, empfiehlt er am meisten. Von der Würde der psc_053.015
Poesie und ihrem Segen für die Menschheit hat er hohe Vorstellungen. psc_053.016
Die Frage, ob ein gutes Gedicht mehr dem psc_053.017
Genie oder mehr den Regeln zu verdanken habe — natura psc_053.018
fieret laudabile carmen an arte, quaesitum est — beantwortet psc_053.019
er damit: sie sind beide nöthig; weder studium psc_053.020
allein noch ingenium allein kann etwas leisten. Und so fast psc_053.021
überall: maßvolle mittlere Weisheit, sehr viel gesunder psc_053.022
Menschenverstand; aus diesen Eigenschaften floß die gewaltige psc_053.023
Autorität des Gedichtes. Diese Autorität war so groß, daß psc_053.024
aus dem Zusammenhang herausgerissene Worte wie ut pictura psc_053.025
poesis für ganze Zeitalter verhängnißvoll wurden.
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Horazens Ars poetica wurde ferner das Vorbild für psc_053.027
alle Lehrgedichte über Poesie; diese Gattung wurde später vielfältig psc_053.028
gepflegt.
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